nmz 2006/05 | Seite 31
55. Jahrgang | Mai
Verband Bayerischer
Sing- und Musikschulen
Gemeinsame Bildungszertifikate
Der Kompetenznachweis Musik würdigt Leistungen ausgewählter
Musikschüler
Von Anton zum Beispiel, der seit zehn Jahren eine öffentliche
Musikschule besucht, Posaune spielt und derzeit eine Ausbildungsstelle
in einem Wirtschaftsunternehmen sucht. Oder Eva, die demnächst
Abitur macht und seit acht Jahren Violoncello an der örtlichen
Musikschule lernt.
Sie bekommen von ihren Musikschulen ein Zertifikat ausgestellt,
das ihre technischen Fertigkeiten im Instrumentalspiel, ihre Entwicklung
von Musikalität und ihre Stärken und Kompetenzen dokumentiert.
Die Musikschulleitungen können die beiden Schüler für
die Auszeichnung mit dem Kompetenznachweis Musik (KNM) vorschlagen,
weil sie sich in besonderer Weise eingebracht haben: Über viele
Jahre haben sie sich im Musikschulunterricht das Handwerkszeug angeeignet,
das man braucht, um mit seinem Instrument musizieren zu können.
Mit ihren Instrumenten sind sie auch groß geworden, haben
regelmäßig geübt und Stück für Stück
dazugelernt. Vom bloßen Üben im „stillen Kämmerlein“
allerdings haben sie sich längst verabschiedet. Mittlerweile
musizieren sie seit vier Jahren regelmäßig in Ensembles.
Das Mitwirken an öffentlichen Auftritten ist fast schon zur
Selbstverständlichkeit geworden. Und wie ein Basketballspieler,
der sich auf einem Garagenvorplatz im Korbwurf perfektioniert hat,
sehnten sich auch die beiden Musikschulschüler danach, das
Erlernte ausprobieren zu können und sich mit anderen zu messen.
Anton absolvierte mehrere Wertungsspiele und bestand die D-2 Prüfung
des Bayerischen Blasmusikverbandes. Bei Eva kam der große
Erfolg mit der Teilnahme am Wettbewerb „Jugend musiziert“.
Sie gewann mehrmals auf Regionalebene und auf Landesebene. Dieser
Musikwettbewerb versammelt so viele Gleichaltrige ein und desselben
Instruments an einem Ort, da lag es nahe, dort eine Standortbestimmung
vorzunehmen: „Ich wollte wissen, wo ich im Vergleich zu anderen
stehe“, erinnert sich Eva. All die musikalischen Fähigkeiten
und Leistungen der beiden Musikschüler dokumentieren die Zertifikate
– und mehr noch: Sie geben Auskunft über zusätzliche
Kompetenzen und Stärken der Jugendlichen. Eva zum Beispiel
hat während ihrer langjährigen Ausbildung an der Musikschule
gelernt, ihre musikalischen Fähigkeiten einzuschätzen
und die Leistungen anderer anzuerkennen. Anton hat beispielsweise
durch die Organisation einiger Auftritte mit seinem Bläserensemble
erfahren, was es bedeutet, Verantwortung zu tragen und neuen Herausforderungen
willensstark zu begegnen. Das alles sind Stärken und Kompetenzen,
die auch außerhalb des Musiklebens hilfreich sein können.
Transfereffekt Schlüsselkompetenzen
„Die tägliche Musikschularbeit zeigt, wie sich Schlüsselkompetenzen
bei Schülern ausprägen können,“ weiß
Hermann Schnabel, Leiter der Musikschule Unterhaching und Mitglied
des Arbeitskreises „Kompetenznachweis Musik“. In der
Musikschule wird zum Beispiel Wahrnehmung, Fantasie und Ausdrucksfähigkeit
des Musikschülers, aber auch dessen Toleranz gefördert
– sei es nun im Zusammenspiel mit anderen Musizierenden oder
im Austausch mit den Lehrern. Das Erarbeiten eines Werkes und dessen
Interpretation im Ensemble verlangt nun einmal Kooperationsfähigkeit,
aber auch den Mut zum Konflikt: Also muss unter anderem über
Tempi, Einsätze, Linienführung diskutiert werden, bis
eine allseits befriedigende Wiedergabe zustande kommen kann.
„Der Wert des Musikschulunterrichts besteht natürlich
in erster Linie im Singen und Musizieren“, betont Josef Dichtl,
VBSM-Geschäftsführer. Sich durch Musik ausdrücken
zu können und sie gemeinsam mit anderen zu erleben, das wollen
die Musikschulen bei ihren Schülern erreichen. Dennoch: Neben
dem eigentlichen Zweck des Musizierens, nämlich Musik zu erleben,
stellen sich bei den Kindern und Jugendlichen bestimmte Zusatzeffekte
ein. So verbessern sich unter anderem die sozialen Beziehungen in
musizierenden Gruppen; die kognitive Entwicklung und die sprachlichen
Fähigkeiten der Kinder werden intensiviert und bei konzentrationsschwachen
Kindern wird die Konzentration gefördert. Die Musikerziehung
ist folglich für die persönliche Entwicklung der Kinder
vorteilhaft. Alois Glück, Präsident des Bayerischen Landtags,
forderte beim Bayerischen Musikschultag in München mehr Beachtung
dieses Tatbestandes sowohl in der pädagogischen Diskussion
als auch bei Eltern und Kommunalpolitikern: „Musikerziehung
ist kein Schönheitspreis, sondern ein zentraler Beitrag zur
Persönlichkeitsbildung der jungen Bevölkerung.“
Mehr Qualifizierung als Bestätigung
Wie sich das Musizieren auf die persönliche Entwicklung der
jungen Leute auswirkt, erleben die Lehrerinnen und Lehrer der 215
Musikschulen in Bayern in ihrer täglichen Arbeit. Was aber
macht man mit dieser Beobachtung? Zur Nachhaltigkeit der öffentlichen
Musikschularbeit gehöre es, so Josef Dichtl, Rechenschaft darüber
abzulegen, wie sich musikalische Bildung auswirkt. Deshalb habe
man vor einem Jahr mit der Erarbeitung des Kompetenznachweises Musik
begonnen. Gedacht ist das Zertifikat als Anerkennung und Würdigung
von außerschulisch erworbenen Kompetenzen. Es dokumentiert
sowohl die instrumentale oder vokale Fachkompetenz als auch zusätzliche
Fähigkeiten und Stärken des Musikschülers. Junge
Erwachsene können das Zertifikat gut ihrer Bewerbungsmappe
beilegen, weil es eine ergänzende Möglichkeit bietet,
sich bei einer Bewerbung zu profilieren.
Das Zertifikat sei keinesfalls nur als Teilnahmebestätigung
für Musikschulunterricht zu verstehen, so der VBSM-Geschäftsführer.
„Wir wollen den Jugendlichen ihre tatsächliche Qualifizierung,
die sie durch die langjährige musikalische Ausbildung erlangt
haben, bescheinigen.“ Da dies aber in der Umsetzung nicht
so einfach ist, dürfen nur dafür geschulte Musikschulleiter
oder beauftragte Lehrkräfte das Verfahren zur Zertifikatsausstellung
durchführen. „Das Dokument soll keine Massenware werden,
das allen Schülern willkürlich in die Hand gegeben wird“,
betont Josef Dichtl. So gelten einerseits für die ausstellenden
Musikschulleiter strenge Verfahrenskriterien. Andererseits müssen
die Schüler bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wie zum
Beispiel mindestens sechs Jahre Regelunterricht an einer Musikschule
absolviert zu haben sowie mindestens vier Jahre kontinuierliche
Ensemblearbeit und herausragende musikalische Leistungen vorweisen
zu können (siehe auch grauer Kasten).
Zwei Ministerien unterzeichnen
„Der Kompetenznachweis Musik der Sing- und Musikschulen
in Bayern ist ein neuartiges Zertifikat, das in Deutschland bisher
einmalig ist“, erklärt Josef Dichtl. Vor allem die Ausgestaltung
des Nachweises und die Mitwirkung der beiden Staatsministerien für
Wissenschaft, Forschung und Kunst sowie für Unterricht und
Kultus, machen das Dokument so einzigartig. Als der VBSM das Konzept
den Ministerien vorstellte, entschieden sich diese nicht nur für
eine Unterstützung dieser qualitätssichernden Maßnahme,
sondern erklärten sich bereit, die Kompetenznachweise zu unterzeichnen.
So werden die Zertifikate nun gemeinsam von den beiden Ministerien
und dem VBSM ausgestellt. Weitere Informationen, Info-Flyer sowie
die nächsten Schulungstermine für Lehrkräfte erhalten
Interessenten in der VBSM-Geschäftsstelle, Tel. 08 81/20 58.
Susanne Lehnfeld
Welche Schüler können den Kompetenznachweis
Musik erwerben?
Der Kompetenznachweis wird an Schülerinnen und Schüler
ab dem 15. Lebensjahr mit herausragenden musikalischen Leistungen
und Fähigkeiten verliehen. Voraussetzungen sind:
Unterricht an einer öffentlichen Sing- und Musikschule:
mindestens sechs Jahre kontinuierlicher Instrumental- beziehungsweise
Gesangsunterricht und mindestens vier Jahre kontinuierliche Mitwirkung
in Musikschulensembles beziehungsweise Ensembles von Kooperationspartnern
Regelmäßige Teilnahme an den öffentlichen Veranstaltungen
der Musikschule beziehungsweise des Trägers
Herausragende musikalische Leistungen – zum Beispiel
Wettbewerbe oder Leistungsprüfungen
Die Fachlehrkraft oder die Musikschulleitung wählen die
Schüler aus, die für den Kompetenznachweis Musik in
Frage kommen könnten. Die Schüler oder ihre Eltern haben
allerdings keinen Anspruch auf die Ausstellung des Kompetenznachweises.