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nmz-archiv
nmz 2006/05 | Seite 25
55. Jahrgang | Mai
Verbandspolitik
Lobby fürs Neue
Henk Heuvelmans im nmz-Gespräch
Die große Zeit der Rundfunkanstalten als Förderer der
neuen Musik scheint vorbei. Wieder einmal wird deutlich: Zeitgenössische
Musik braucht nicht nur kluge Köpfe und erfindungsreiche Komponisten,
sondern auch eine wirksame Lobby. Seit 1922 nimmt die International
Society for Contemporary Music (ISCM) diese Aufgabe war. Sie ist
auch die Ausrichterin des World New Music Festivals in Stuttgart.
Die neue musikzeitung wollte von Henk Heuvelmans, Generalsskretär
der ISCM, mehr über die Geschichte und die Arbeit seiner Organisation
wissen.
Henk
Heuvelmans, Generalsekretär der ISCM. Foto: ISCM
neue musikzeitung: Die International Society for
Contemporary Music wurde 1922 in Salzburg gegründet. Von wem
und mit welcher Idee? Henk Heuvelmans: Am 11.August 1922 ist die Internationale
Gesellschaft für Neue Musik im Café Bazar in Salzburg
von Rudolf Réti und Egon Wellesz gegründet worden. Weitere
Gründungsmitglieder waren Arthur Bliss, Willem Pijper, Francis
Poulenc, Edward Dent (erster Vorsitzender), Edwin Evans, Jean Wiener,
Werner Reinhart und César Saerchinger. Es waren noch weitere
Leute, wie beispielsweise Hindemith und Webern beteiligt, aber dieser
erste Vorstand formulierte die ersten Ziele und Leitgedanken der
Gesellschaft: „Es wird eine Internationale Musikgesellschaft
als Vereinigung von Komponisten, Interpreten und interessierten
Musikfreunden gegründet zur Förderung zeitgenössischer
Musik aller ästhetischer Richtungen und Tendenzen … In
jedem Lande sollten sich Sektionen der Gesellschaft bilden, deren
Aufgabe die Pflege zeitgenössischer Musik zu sein hat. Im Sinne
der Gründung sollen diese verschiedenen Gruppen nichts anderes
tun, als die lebendigen Kräfte der eigenen Nation fördern
und durch Vorführung von ausgewählten Werken anderer Nationen
neue Anregungen vermitteln.“
nmz: Mitglieder der ISCM sind vorwiegend keine
Einzelpersonen, sondern Verbände und Institutionen. Was kann
man sich unter dem Netzwerk ISCM vorstellen? Heuvelmans: Am Anfang haben sich einzelne Personen
geeinigt, eine Struktur mit Sektionen zu bilden, mit der sich das
zeitgenössische Musikleben weiterentwickeln konnte. Selbstverständlich
gab es Unterschiede in jedem Land. Erst gab es noch vorwiegend Komponistenvereine,
aber später sollte eine Sektion eigentlich „eine unabhängige
Organisation, die die Bestrebungen zur Förderung der Neuen
Musik in einem Lande wirksam auf sich vereinigt“, sein. Und
das wurde immer schwieriger, da das Musikleben sich weiterentwickelte
und eine Zunahme an stilistisch unterschiedlichen Komponisten, Musikern,
Akademikern, Festivals, Konzertveranstaltern, Musikinformationszentren
und so weiter zu verzeichnen war.
Die musikalische Infrastruktur ist heute ganz anders als vor 80
Jahren. In einigen Ländern ist diese Infrastruktur so gewachsen,
dass die ISCM-Sektion eine essenzielle Rolle spielt. Vereinzelt
können Veranstalter Konzerte und Festivals organisieren und
so ein ganzes Land repräsentieren, andere Sektionen aber vertreten
„nur“ bestimmte Komponistengruppen und wieder andere
sind fast überholt worden, durch wichtige Festivals und Veranstalter.
Aus diesen Gründen ist es schwierig, sich als ISCM zu positionieren.
Die ISCM entwickelt sich weiter, weil sie nicht mehr, wie zur Gründung
im Jahre 1922, die einzige Organisation ist. Trotzdem ist die ISCM
weltweit doch ein riesiges Netzwerk von vielen in der Neuen Musik
tätigen Personen, Organisationen, Verbänden und so weiter;
eine Organisation, die an sich viel schaffen kann, aber auch Partner
braucht, um ihre Ziele zu erreichen. Im vergangenen Jahr hat die
ISCM ihre Mitgliedschaftsstruktur verändert, um jetzt auch
kleineren Regionen und kleineren Organisationen die Beteiligung
zu ermöglichen und eine höhere Repräsentativität
in Ländern wie Russland, Amerika und Großbritannien anzustreben,
ebenso in Ländern, in denen es noch keine Sektionen gibt. Das
internationale Netzwerk weitet sich dementsprechend aus und verschafft
der ISCM so eine wachsende Bedeutsamkeit.
nmz: Wie finanziert sich die ISCM? Heuvelmans: Alle Mitglieder zahlen einen Mitgliedschaftsbeitrag
und einige spenden zusätzlich für den „Members Support
Fund“, der es Komponisten und Musikern ermöglicht, an
IGNM-Aktivitäten teilzunehmen, so wie an den World Music Days.
Der Vorstand war vor allem im letzten Jahrzehnt bemüht, die
Mitglieder aktiv zur Zusammenarbeit zu motivieren und ISCM-Aktivitäten
wie das „ISCM-VICC-Composer in Residency Program“, das
„ISCM Ensemble“ und den „ISCM-CASH Young Composer
Award“ bekannt zu machen. Die ISCM hat keine festen Mitarbeiter
und ist somit fast völlig abhängig von ehrenamtlichen
Mitarbeitern.
nmz: Damals war Neue Musik europäische Musik.
Heute gibt es 50 Mitgliedsländer: Europa ist nicht mehr der
Mittelpunkt, ist nicht mehr die musikalische „Leitkultur“.
Wie macht sich das für Ihre Arbeit bemerkbar? Heuvelmans: Wir sind sehr froh, dass die ISCM jetzt
auch Mitglieder in außereuropäischen Länder hat:
Etwa ein Drittel der Mitglieder sind nicht-europäisch. Das
eröffnet wirklich gute Möglichkeiten für die Weiterentwicklung
der Musik, neue Arten von Zusammenarbeit und Gedankenaustausch,
neue Horizonte und so weiter. Das Image der ISCM in dieser Hinsicht
zu ändern, erweist sich jedoch als schwierig. Die Programme
der WMD-Festivals werden diesbezüglich immer vielfältiger,
die Europa-Asien-Linie wird stärker hervorgehoben, Afrika und
arabische Länder werden zurzeit noch etwas vernachlässigt.
Die klassische Musikkultur in vielen nicht-europäischen Ländern
ist stark nach Europa als Leitkultur ausgerichtet, viele Komponisten
haben in Europa studiert; so sagt Jo Kondo beispielsweise, dass
er sich deswegen selbst nicht als japanischen Komponisten sieht.
Oft werden die ISCM-Sektionen von europäisch orientierten Musikern
oder Komponisten organisiert. Aber die ISCM veranstaltet bei- spielsweise
während den WMD Podiumsdiskussionen, bei denen sich Vertreter
verschiedener Kulturen treffen und über ihren kulturellen Hintergrund,
die heutige Musik, über Chancen, Probleme und Herausforderungen
austauschen können.
nmz: Im Oktober 2005 beschloss die Generalversammlung
der UNESCO die Konvention zur kulturellen Vielfalt (Convention on
the Protection and Promotion of the Diversity of Cultural Expressions).
Ist das ein Thema für die ISCM? Heuvelmans: Das ist ja ein sehr wichtiger Punkt:
Neue und traditionelle Musik sowie die Eigenheiten der verschiedenen
Länder und Regionen sind zunehmend gefährdet von kommerzieller
Musik und Marktwirtschaftsdenken. Wir versuchen auch in Zusammenarbeit
mit anderen internationalen Musiknetzwerken wie IAMIC, IMC oder
ECPNM, die Politiker von dieser Gefahr zu überzeugen.
nmz: Die größte Außenwirkung
erreicht die ISCM mit dem World New Music Festival, das dieses Jahr
in Stuttgart stattfindet. Was ist das Besondere am Stuttgarter Konzept?
Heuvelmans: Das WMD-Festival ist ein großes
und aufwändiges Event, das jedes Jahr neue Formen annimmt,
weil die Veranstalter in ihrer Umgebung agieren und das Festival
so einrichten, dass es nicht nur für ISCM, sondern auch für
diese Umgebung Sinn hat. Deswegen wird das Festival in Deutschland
ganz anders sein als im Jahr 2007 in Hongkong. Die Veranstalter
in Stuttgart bringen die Welt zusammen, die 50 ISCM-Mitgliedsländer,
aber auch noch viele andere. Sie informieren durch eine Menge von
Konzerten, aber sie bringen sich auch mit sehr wichtigen Beiträgen
in das Treffen der verschiedenen Kulturen ein, beispielsweise durch
Projekte wie „Global Interplay“ und eine Reihe von Symposien.
Im Jahr 2007 wird das Festival im Rahmen des Asian Composers League
Festival organisiert, mit dem Thema „Musik, die kommuniziert“;
das könnte in diesem Teil der Welt doch etwas ganz anderes
bedeuten als in Deutschland.
nmz: Welche World Music Festivals waren für
Sie von Konzept und Wirkung in der Vergangenheit besonders richtungsweisend? Heuvelmans: Im Jahr 2004 fand das Festival in zehn
Städten der Schweiz statt und wurde vom ganzen schweizerischen
Musikleben getragen, mit all seinen Ensembles und Orchestern und
natürlich dem Publikum. 2001 fand das ganze Festival in Yokohama
in einem Konzertgebäude statt, aber noch nie sind so viele
Komponisten eines Gastlandes mit so unterschiedlichen Stilen und
Instrumentierungen präsentiert worden. Es sind zwei sehr unterschiedliche
Konzepte, beide sind sehr wirksam.
nmz: Welche Wettbewerbe veranstaltet die ISCM,
welche Preise vergibt sie? Heuvelmans: Für jedes World Music Festival
können Sektionen und Privatkomponisten Werke einreichen, aber
es können nicht alle Werke prämiert werden. Gelöst
wird dieses Problem durch eine Art Wettbewerb. Seit 2002 gibt es
den „ISCM-CASH Young Composer Award“: Alle jungen Komponisten,
die im Programm eines WMD-Festivals vertreten sind, sind Kandidaten
für diesen Preis; der Gewinner bekommt ein Preisgeld und einen
Auftrag für eine neue Komposition, die während der Internationalen
Gaudeamus Musikwoche in Amsterdam uraufgeführt wird.