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nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 39-40
55. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Così fan tutte 2006 oder: heute machen alle HipHop
Premiere und Symposium der Theaterpädagogik an der Komischen
Oper Berlin · Von Thomas Heyn
Die Komische Oper Berlin hat Mozarts „Così fan tutte“
als Projekt in einer HipHop-Version herausgebracht. Gearbeitet wird
dabei mit dem Konzept der szenischen Interpretation von Musiktheater
(nach ISIM), einem erfahrungsbezogenen musiktheaterpädagogischen
Konzept, das bereits in Deutschland, Finnland und Großbritannien
sehr erfolgreich erprobt ist.
Unmögliche Begegnungen ermöglichen“ nennt die Theaterpädagogin
Anne-Kathrin Ostrop das Konzept, welches zeigen soll, dass Theaterpädagogik
mehr ist als bloße Vermittlung von Werken, nämlich ein
Katalysator, der Theater- und Lebenswelt miteinander in Kontakt
bringt.
Von
links: Guglielmo (Flowin ImmO) und Despina (Jasmin Shakeri)
rappen, Fiordiligi (Nina von Möllendorf) überzeugt
klassisch. Foto: Monika Rittershaus
Markus Kosuch, der Ideengeber, Projekterfinder und Regisseur der
Hip H’Opera beschreibt seinen Ansatz im zweitägigen gutbesuchten
Begleitsymposium so: Opernhäuser haben neben dem Auftrag, Kunst
zu produzieren auch eine Bildungsverantwortung. Das Konzept des
erfahrungbezogenen Lernens zwingt die Opernhäuser, sich auf
langfristige Strategien umzustellen. Die Oper sei eine Gattung,
die Schülerinnen und Schülern in der Regel eher fremd
ist. Deshalb müsse der Erlebnisraum „Oper“ den
Schülern insgesamt erschlossen werden, die eigene szenische
Interpretation, die dramaturgische Vorbereitung durch die Lehrer,
der Aufführungsbesuch, Gespräche mit den Künstlern
und ein ausführlicher Blick hinter die Kulissen, alles das
diene dazu, die Schwellenängste abzubauen und ein generelles
Interesse von Kindern und Jugendlichen an Musik und Theater zu wecken:
„Bildung zur Kunst“ und „Bildung durch Kunst“
findet statt.
So weit die schöne Theorie. Ein Blick auf die beigefügte
Liste mit den Opern, die nach diesem theoretischen Ansatz erarbeitet
worden sind, zeigt allerdings auch die Schwachpunkte sofort auf.
Funktionieren können nach diesem Konzept nur Nummernopern mit
bestimmen Inhalten, nämlich Partnerverhalten, Beziehungsproblemen,
Gewaltsituationen, weil das die Themen sind, die Jugendliche automatisch
interessant finden. Ideendramen, Stücke ohne Mann-Frau-Themen,
Musikdramen mit quasi „absoluter“ Musik (Wagner, Janácek,
Schostakowitsch) sowie alles, was die lebenden Komponisten schreiben,
können so kaum erschlossen werden. Das Konzept führt also
zu einer radikalen Verengung des Opern-Repertoires. Auch stellt
sich die Frage, ob nicht eher alternative Theater der richtige Adressat
für solche Konzepte sind. Denn die musikalische Qualität
– das wurde gebetsmühlenartig in allen Vorträgen
wiederholt – ist bei diesem Konzept eine eher zweitrangige
Komponente ohne größere Bedeutung. Wer ein Opernhaus
besucht, wird da aber ganz anderer Meinung sein, denn gerade das
Vergnügen am musikalischen Genuss ist doch das wesentliche
Element für einen Opernbesucher. Die begeisterte Publikumsreaktion
in den drei ausverkauften Vorstellungen scheint diesem Argument
zu widersprechen, aber werden die Familienmitglieder, die ihre tanzenden
Kinder beklatscht haben, wirklich vier Wochen später in den
„Freischütz“ gehen oder in den neu inszenierten
„Rosenkavalier“? Doch nun zum Stück. In der auf
zwei Stunden verkürzten Così waren die „hohen“
Frauenrollen mit klassisch ausgebildeten Sängerinnen (Nina
von Möllendorf als Fiordiligi und Vanessa Barkowski als Dorabella
lösten ihre Aufgaben bravourös), die Rolle der Dienerin
Despina mit einer Rapperin (Jasmin Shakeri) besetzt, die keine Mozart-Arien,
sondern zwei neu komponierte Rhythmuspatterns zu rappen hatte.
In umgekehrter Form war bei den Männern die „tiefe“
Partie ein klassisch ausgebildeter Sänger (der exzellent singende
und agierende Bass Hans Griepentrog hinterließ den stärksten
Eindruck des Abends), die beiden Liebhaber (Flowin ImmO als Guglielmo
und Bobmalo als Ferrando) waren Rapper, die durch natürliche
Musikalität, Originalität und starke Bühnenausstrahlung
überzeugten.
Durch die soziologische Brille betrachtet, können diese Figurenkonstellationen
durchaus viel erzählen über Hochkultur und Bildungsferne,
über besser und schlechter gestellte Gesellschaftsschichten,
über Armut und Reichtum, über Traditionen ganz verschiedener
Art und über Kollisionen aller Art von den großen Staatsaktionen
bis in die privaten Details der Annäherung von Frauen und Männern.
Leider wurden viele interessante Details von der Tontechnik behindert.
Mal waren die Mikros zu laut, mal zu leise, mal mischte sich alles
schön rund, mal gar nichts. Auch das Orchester wurde in einer
Weise klanglich verschandelt, die nicht toleriert werden kann. Statt
runder Bläsermischungen fielen einzelne Instrumente vollkommen
heraus, weil die Mikrophone viel zu nahe und an den falschen Instrumenten
(zum Beispiel an der Klarinette statt an der Oboe) standen.
Zum Glück beherrschten die Schüler des Musikgymnasiums
Carl Philipp Emanuel Bach ihre Parts ganz ausgezeichnet, auch wenn
ihnen (und den Sängern und Darstellern) der Dirigent Chatschatur
Kanajan wenig hilfreich zur Seite stand. Der auch als Komponist
genannte Kanajan hat den Schülern offenbar auch nicht erklärt,
dass Pop-Musik nicht im Legato gespielt werden kann, oder wie Synkopen
funktionieren, oder das Betonungen off-Beat gespielt werden müssen.
Nach eigenen Aussagen wußte Kanajan vor vier Monaten noch
gar nicht, was HipHop ist. Das war leider auch zu hören. Einige
originelle Grooves kommen immerhin von den DJ’s SilYan Bori
und DJ craft, die auch im körperlich-gestischen Bereich etwas
von der Coolness des HipHop abstrahlen und damit voll überzeugen.
Zum Schluss bleibt die hervorragende Arbeit des Tanzensembles, der
„Youth Crew“ zu würdigen. Was Nadja Raszewski von
der Tanztangente in wenigen Monaten aus vollkommenen Tanz-Laien
herausgeholt hat, ist schon eine kleine Sensation. Die Fülle
der originellen und „abgefahrenen“ Bewegungen, die Koordination
der großen Truppe, das Umschiffen von vermutlichen zahlreichen
Hürden, all dem gebührt Respekt. „Das Wichtigste
und die größte Herausforderung waren, die jeweiligen
Klischees und festgefahrenen Einstellungen zu HipHop und Oper aufzudecken
und zu formulieren, um sie dann über den Haufen zu werfen und
wirklich etwas Neues zu kreieren“, schreibt die Raszewski
selbst über diese Arbeit. Der Elan und das Engagement der Jugendlichen
tut das Seine zur Wirkung hinzu: dreimal ausverkauftes Haus, Riesenerfolg.
Anything goes: So oder so wird die Gattung Oper eine Zukunft haben.
Und Mozart, der alte Spielmatz, hätte vielleicht sogar seinen
Spaß gehabt.