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nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 41
55. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Vom unwiderstehlichen Kitzel des ewig Neuen
MaerzMusik 2006 – das Festival für aktuelle Musik
in Berlin
Man muss dem Künstlerischen Leiter der MaerzMusik, Matthias
Osterwold, für dieses wahre Wort dankbar sein. Dass er die
MaerzMusik ein Festival für „aktuelle Musik“ genannt
hat, hebt wieder ins Bewusstsein, wie vergänglich doch die
meiste Musik ist. Die Epoche, in der sich ein noch heute eini-germaßen
verbindlicher Kanon bildete, ist eine historische Ausnahme gewesen.
Die Biennale, jenes Festival, das die MaerzMusik beerbt hat, hatte
zuletzt versucht, durch die Wiederaufführung von Musik aus
der Zeit von 1950 bis 1990 jene Werke zu finden, die paradigmatisch
für ihre Zeit stehen könnten – mit wenig Erfolg.
Nichts sei damit über Wert und Qualität der gesichteten
Partituren gesagt, mehr dagegen darüber, wie sich eine Gesellschaft
in musikalischen Werken gespiegelt sehen will: Offenbar gar nicht.
Das einzige, was einem Publikum überhaupt noch Erregung zu
bieten scheint, ist der Nimbus der Uraufführung, das Aktuelle
also, und wenn es sich festivalmäßig häuft –
um so besser.
Oder auch nicht. Denn je mehr die MaerzMusik den Durchlauf betreibt,
die fortlaufende Vernichtung der Kompositionen durch die sofort
danach erklingende, um so stärker leuchten jene Stücke,
die so unaktuellen Kategorien wie Individualität, Werk oder
Größe verpflichtet sind. Das Konzert des SWR-Sinfonieorchesters
Baden-Baden und Freiburg unter Sylvain Cambreling am Sonnabend in
der Philharmonie wirkte angesichts von Ort und Programm im Rahmen
der MaerzMusik einigermaßen fremd, und war doch überaus
schön. Helmut Lachenmanns „Schreiben“ von 2004
erwies sich als ungeheuer souverän disponierte und in jedem
Moment interessante und überraschende Partitur. Das provokative,
geradezu ideologische Moment, das man an früheren Werken wahrzunehmen
glaubte, macht entspanntem, gleichwohl ernstem Spiel mit einer riesigen
Palette zwischen Geräusch und Klang Platz. Ein heiteres Stück
ist „Schreiben“ gleichwohl nicht: Wenn im Zentrum des
Stücks zwei Posaunen sich über das Orchester hinweg etwas
zurufen, dann wirkt die Kommunikation eher gestört denn als
Modell eines konstruktiven Dialogs. Dass Tragik und das Glück
des Gelungenen zugleich vermittelt werden, ist allerdings in einer
älteren Ästhetik Ausweis größter Meisterschaft
gewesen. Dagegen hatte das Ensem-blekonzert „Poussla“
des Litauers Vykintas Baltakas keinen leichten Stand, aber wie viele
Schüler Wolfgang Rihms hat auch Baltakas gelernt, sich selbst
durch die Materie zu graben: Wie er aus den eigentümlich einreißenden
Haltetönen des Beginns die Form entfaltet, mal die Haltetöne
in den Mittelpunkt stellt, mal den Gestus des Einreißens,
wie er beides immer wieder neu kombiniert, das war zugleich höchst
konsequent wie unbedingt individuell. Dabei bricht der Orchesterklang
immer wieder in die splittrigen Artikulationen eines gleich-sam
konzertierenden Ensembles zusammen, in dem sich die klangliche Substanz
sammelt und wieder auflädt.
Ein dergestalt dialektischer, zwischen Konsequenz und Subjektivität
vermittelnder Begriff von musikalischer Logik ist heute selten.
Im selben Konzert markierte Olivier Messiaens „Chronochromie“
eine niedrigere Stufe kompositorischer Arbeit, brav werden hier
Skalen und Akkorde zusammengebastelt im Sinne einer für alle
gültigen Logik – kein Wunder, dass die Serialisten es
hoch geschätzt haben. Und damit nähern wir uns jenen Festival-Teilen,
die für die MaerzMusik eher typisch sind.
Am Mittwoch und am Donnerstag spielten das Ictus-Ensemble und
das ensemble on_line vienna Musik, zwischen der zu unterscheiden
ein hohes Maß an Differenzierungswillen voraussetzt. Hier
wurden Komponisten gespielt, deren Ausbildungsgänge sich zum
Verwechseln ähneln – das IRCAM haben sie alle besucht
–, und das schlägt erstaunlich direkt auf die uniformierten
Stücke durch. Die Verläufe sind kontrastarm, der Klang
ist, da Verfremdungen obligat sind und die Farben einander annähern,
extrem unspezifisch. Wenn das ensemble on_ line im Konzertsaal Bundesallee
Werke für europäische und japanische Instrumente spielt,
verpufft die kulturelle Begegnung relativ wirkungslos, denn weder
durch die Begegnung der Instrumente, noch durch die instrumentalspezifischen
Spielweisen entstehen Reibungen oder Widerstände, die kompositorisch
interessant gewesen wären. Dazu bedürfte es einer Achtung
des Gewordenen, des Geschichtlichen und dadurch Charakteristischen,
das in einem Festival für aktuelle Musik naturgemäß
keinen Raum hat. Im Mittelstück ihrer vom Ictus-Ensemble im
Kammermusiksaal uraufgeführten „Etheric Blueprint Trilogy“
nimmt die Komponistin Misato Mochizuki einen Gedanken aus dem Buch
„Water knows the answer“ des japanischen Wissenschaftlers
Masaru Emoto auf: Wasser lädt sich in seinen Verwandlungszyklen
mit Energie auf, reichert sich mit Mineralien an und bildet auf
diese Weise ein Art Gedächtnis aus. Es ist interessant, dass
die Komponistin sich von diesem Gedanken fasziniert sieht, aber
eine Musik schreibt, die jedes Gedächtnis löscht und in
einer von allem abgekoppelten Aktualität vor sich hin treibt.
Man mag in der Förderung des komponierenden Fußvolks,
in der sich die MaerzMusik übt, ein Verdienst um Komponisten
sehen, eines um das Hören ist es nicht. Und erst recht nicht,
wenn die Veranstaltungen so schlecht organisiert und dramaturgisch
so ungeschickt aufbereitet sind wie hier. Das Konzert des ensembles
on_line reihte acht in Besetzung und Poetik ähnliche Stücke
und noch traditionelle Musik für Sho und Shakuhachi hintereinander,
da fehlte es an Höhepunkten, um die unweigerlich ersterbende
Aufmerksamkeit zu beleben. Und im Abschlusskonzert mit Filmmusik
von Toru Takemitsu, das das Deutsche Sinfonieorchester unter Ryusuke
Numajiri am Sonntag im Haus der Festspiele bestritt, war es offenbar
nicht möglich, Bilder und Musik we-nigstens annähernd
zu synchronisieren, zumeist ergab die Kombination beider Schichten
gar keinen Sinn.
10.000 Besucher hat man in 33 Veranstaltungen gezählt; wieviel
das pro Veranstaltung sind, ist nicht schwer zu berechnen, und da
man immer dieselben Gesichter sieht, greift man gewiss nicht zu
tief, wenn man von 1.500 Personen ausgeht, die sich von der MaerzMusik
angesprochen fühlen. So groß ist der Kitzel der Aktualität.
Matthias Osterwold spricht dennoch von einem Erfolg.