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nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 40
55. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Kunstvolle Verschränkung zweier Welten
Manfred Trojahns neue Rezitative zu Mozarts „La clemenza
di Tito“
Es ist schon merkwürdig. Erstaunlich viele große und
kleine Theater haben im näheren oder weiteren Umkreis des Jubiläums-Jahres
„La clemenza di Tito“, sonst eher ein Stiefkind des
Mozart-Repertoires, angesetzt und weitere Bühnen werden noch
folgen. Aber keine hat – ist es Gedankenfaulheit oder Bequemlichkeit
– sich auseinandergesetzt mit den von Manfred Trojahn komponierten
Orchesterrezitativen, die schon 2002 in Amsterdam uraufgeführt
worden waren und allseits höchste Anerkennung gefunden hatten.
Mit gutem Grund, wie sich jetzt am Staatstheater Braunschweig zeigt,
das als deutsche Erstaufführung die Trojahn-Fassung des „Titus“
aufführt. „Fassung“ – der Ausdruck kann irreführen.
Keine Note von Mozart wird angetastet. Alle musikalischen Nummern
und auch die Accompagnato-Rezitative verbleiben so, wie sie 1791
geschrieben worden sind. Freilich, sie leuchten nun in anderem Licht,
positionieren sich neu in einem fremden Kontext, weil die ausgedehnten
Secco-Rezitative – von Süßmayr oder sonstwem, man
weiß es nicht, aber jedenfalls nicht von Mozart geschrieben
– verschwunden sind. Trojahn hat sie, den Text des Librettos
unverändert aufnehmend, neu komponiert als Orchester-Rezitative,
die dem Instrumentarium des „Titus“ folgen und dabei
in eine andere Welt führen.
Der Zugewinn ist immens. Trojahn hat gespürt, dass man, um
Mozart nahe zu kommen, sich von ihm ganz fern halten muß.
Er baut mit den Rezitativen eine andere Klangwelt auf, vielleicht
nicht allzu fern den Seelenwelten seines „Enrico“; bohrende
Porträts von Leidenschaften und Gefühlen, von Verstörungen,
Abgründen und Verlorenheiten. Die hergebrachten Rezitative,
weit unter der konzentrierten Stringenz in den Da-Ponte-Opern und
oft kaum mehr als bloßes, langatmiges Transportmittel des
Handlungsfadens, wechseln hier zu einer dringlichen und nervösen
Befragung der Figuren, einer Schärfung ihrer Charaktere, den
Zumutungen, denen sie ausgesetzt sind, den Anmutungen, zu denen
sie sich erdreisten. Vom scheinbar klassischen Kothurn der Seria
stürzen sie sich mit Trojahn in die Psychogramme und Beziehungsgeflechte
sehr heutiger Menschen und tauchen daraus, um geschärfte Profile
bereichert, wieder in Mozarts Opernwelt vom milden Herrscher zurück.
Das Überraschende ist, wie gut sich die beiden gegensätzlichen
musikalischen Welten vereinen und gegenseitig potenzieren, obwohl
sie streng getrennt bleiben. Nur einmal bereitet Trojahn eine Mozart-Formulierung
vor, sonst immer werden die Übergänge von Trojahn zu Mozart,
wie von Mozart zu Trojahn wie strenge Schnitte gesetzt. Zwei Zungen
erzählen in ihrer ganz eigenen Sprache die gleiche Geschichte
von den gleichen Menschen, und beiden hören wir mit gleicher
Aufmerksamkeit zu.
Trojahns Klangwelt ist von äußerst differenzierter,
leuchtender, changierender Farbigkeit – dass der Komponist
sich dabei Strauss, Alban Berg und Henze nahe sieht, wird für
den Hörer unmittelbar fassbar. Beherrschende Instrumente in
der Mozartschen Partitur, kommen in einem ganz anderen Umfeld und
in anderer, weiterführender Funktion zu den einzelnen Figuren
zurück – die berühmte Bassettklarinette des Sextus
zum Beispiel, die schrille Hysterie der Klarinetten für die
übersteigerten Aufwallungen der Vittelia, und das mit den Rezitativen
verwandte Cembalo zieht mit Titus wieder in die Oper ein, jetzt
nun als markant illustrierendes rhythmisches Element, in dem Angst,
Wut und Unrast des Kaisers hochkochen.
Dass diese Verschränkung zweier musikalischer Welten so selbstverständlich
gelingt, als könne es gar nicht anders sein, ist in Braunschweig
vor allem dem Dirigenten Jonas Alber zu danken, der mit scharf durchhaltender
Spannkraft für Mozart recht angezogene Tempi vorgibt und für
Trojahn eine filigrane Ausarbeitung des dichten orchestralen Geflechts
erreicht.
Ein hochbesetztes Ensemble mit Tomasz Zagorski als Titus, Susanna
Pütters als Vittelia und Karolina Gumos als Sextus; eine energisch
pochende Inszenierung von Uwe Schwarz, die klassische Bilder unaufdringlich
in einer modernen Welt aufgehen lässt: wieder einmal ein Beweis
mehr für die künstlerische Kraft unserer mittleren Bühnen,
die mit Ernst und Einsatz den Dingen oft besser auf den Grund kommen
als manche der eventsüchtigen großen Theater. Ein beredteres
Plädoyer für Trojahn ist schwer vorstellbar – und
danach, ist man ehrlich, ein „Titus“ ohne die Trojahn-Rezitative
auch kaum.