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nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 14
55. Jahrgang | Juni
Kulturpolitik
Föderalismusreform gefährdet Chancengleichheit
Musik- und Kulturverbände fordern Beibehaltung der Bundeskompetenz
Zur Postkutschenzeit war Deutschland in unzählige Fürstentümer,
Grafschaften und Königreiche zersplittert und man hatte bei
Reisen mühsam immer wieder Landesgrenzen und Zollschranken
zu überwinden. Das Niveau des Musiklebens und der Bildung war
abhängig vom kulturellen Interesse des jeweiligen Hofes. Von
gleichen Bildungschancen im Deutschen Reich konnte nicht die Rede
sein, weshalb die Vorkämpfer der Demokratie sich auch für
die nationale Einigung einsetzten. Mehr als ein Jahrhundert ist
seitdem vergangen, Deutschland ist längst geeint und hat sogar
europaweit Grenzen überwunden. Durch die geplante Föderalismusreform
kehrt es aber zur Kleinstaaterei der Postkutschenzeit zurück
und gefährdet damit die Chancengleichheit.
Der Verband deutscher Musikschulen hat am 13. Mai in einer Aschaffenburger
Erklärung auf diese für die Kultur besorgniserregende
Entwicklung reagiert. Es dürfe nicht sein, dass der Bund seine
Kompetenz im Bereich der Bildung an die Länder abgibt, denn
es sei unerträglich, wenn in Zukunft die Herkunft eines Kindes
über seine Bildungs- und somit seine Lebenschancen entscheidet.
Auch die musikalische Bildung braucht gemeinsame Standards, wie
sie bislang für die rund 950 Musikschulen an über 4.000
Standorten gelten. Die Bundesregierung müsse den Kindern und
Jugendlichen weiterhin das Recht auf kulturelle Bildung garantieren,
ohne Einschränkungen durch die soziale, wirtschaftliche oder
geografische Herkunft. Notwendig sei deshalb, wie Matthias Pannes
unterstrich, eine gesamtstaatliche Bildungsplanung mit der musikalischen
Bildung als festem Bestandteil.
Dieser Aschaffenburger Erklärung haben sich inzwischen der
Schul- und Bildungsausschuss des Deutschen Städtetages, der
Deutsche Kulturrat und der Deutsche Musikrat angeschlossen. Christian
Höppner, der Generalsekretär des Deutschen Musikrats,
warnte bei einem gemeinsamen Pressegespräch vor dem geplanten
Rückzug des Bundes aus der Bildungsplanung. Langfristig könne
dies auch so wichtige Aktivitäten wie den Bundeswettbewerb
„Jugend musiziert“ gefährden. Er erwähnte
die „PISA-Hysterie“, die den Blick auf die „harten“
Schulfächer lenke und den hohen Stellenwert des Musikunterrichts
bei der Persönlichkeitsbildung vergessen lasse.
Es sei Aufgabe des Bundes, sich dem derzeitigen Abbau des Schulfaches
Musik zu widersetzen und in allen Schultypen zwei Wochenstunden
Musik zu garantieren. Geschehe dies nicht, konzentriere man sich
weiterhin nur auf die „harten“ Fächer, sehe er
schon die Monster von morgen heranwachsen. Der Deutsche Kulturrat,
so Olaf Zimmermann, hat sich schon mehrfach zu diesem leidigen Thema
geäußert. Er sehe eine Diskrepanz zwischen dem Koalitionsvertrag
der Großen Koalition, der die wichtige Rolle der Kultur unterstreicht,
und der dort in einem Anhang ebenfalls vorgesehenen Föderalismusreform.
Leider habe Annette Schavan, die Bundesministerin für Bildung
und Forschung, allzu schnell auf Bundeskompetenzen verzichtet. Schon
im Juni 2004 hatte der Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände,
die Föderalismuskommission vor der geplanten Entflechtung der
Kulturförderung von Bund und Ländern gewarnt. Weiterhin
müsse der Bund für die Gestaltung der Rahmenbedingungen
zuständig bleiben. Keineswegs dürfe er sich, wie vorgesehen,
auf die Auswärtige Kulturpolitik zurückziehen und alles
übrige den Ländern überlassen. National bedeutsame
Einrichtung sollten wei-terhin gemeinsam von Bund und Ländern
finanziert werden.
Bei dem Pressegespräch im Generalsekretariat des Deutschen
Musikrates gab Zimmermann zu bedenken, in welchem Maße die
geplante Föderalismusreform – „die weitestgehende
Reform seit Bestehen der Bundesrepublik“ – gerade die
Kultur betreffe. In Wirklichkeit handle es sich nicht um eine Auseinandersetzung
zwischen Bund und Ländern, sondern um einen Konkurrenzkampf
der kleinen und großen Bundesländer. Vor allem Bayern
sei an eigenen Kulturkompetenzen interessiert und nicht länger
bereit, kleinere und schwächere Bundesländer wie bisher
mitzufinanzieren.
Es sei aber nicht einzusehen, warum die Bürger von Mecklenburg-Vorpommern,
die den gleichen Steuersatz zahlen, nicht gleiche Bildungschancen
erhalten sollten wie Angehörige des Freistaats Bayern. Die
Frage, ob er noch Chancen sehe für eine Änderung der geplanten
Reform, beantwortete Zimmermann mit Skepsis.
Seine Erfahrungen im Bereich der gesamtstaatlichen Verantwortung
seien eher ernüchternd. Einzelne Bundestagsabgeordnete seien
sich der Problematik der geplanten Föderalismusreform durchaus
bewusst. Solche nicht nur aus dem Kulturbereich kommenden Bedenken
werden in den Ausschüssen noch beraten. Ob sie dann allerdings
bei der Abstimmung zum Tragen kommen, wird auch davon abhängen,
wieweit hier der Fraktionszwang gilt.