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nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 13
55. Jahrgang | Juni
Kulturpolitik
Vielfältiges Nachdenken in Wildbad Kreuth
Zum Kongress „Musikvermittlung“ des Deutschen Musikrates
vom 2. bis 5. Mai 2006
Beeindruckend war sie schon, die Unterschiedlichkeit der Professionen,
Denkweisen, konzeptionellen und praktischen Ansatzpunkte, künstlerischen
Darstellungsweisen und politischen Optionen der etwa 170 Teilnehmerinnen
und Teilnehmer aus den Berufsfeldern Wissenschafts- und Musikpolitik,
Theater, Schule, Musikschule und Hochschule sowie aus Vereinen,
Verbänden, Projekten und den Medien, die sich im romantisch
gelegenen Wildbad Kreuth zusammengefunden hatten, um über das
Phänomen Musikvermittlung gemeinsam ins Gespräch zu kommen.
Das
Bild täuscht: Musikvermittlung ist kein Idyll, sondern
Pflichtaufgabe. Foto: Martin Hufner
Erklärtes Ziel der Veranstalter war es, bewährte und
neue Wege der Musikvermittlung deutlich zu machen, um möglichst
vielen Menschen in unserer Gesellschaft vielfältige und differenzierte
Zugänge zu der Welt der Musik zu ermöglichen, wie es im
Flyer zur Ankündigung dieser Tagung formuliert worden war.
Konzipiert und veranstaltet wurde dieser Kongress vom Deutschen
Musikrat, dem Bayerischen Rundfunk und der Hanns-Seidel-Stiftung.
Begegnungen und Erfahrungen mit Musik finden tagtäglich für
jede und jeden sicht- und hörbar in vielfältigen Formen
statt, nicht selten auch unbewusst und unfreiwillig. Was jedoch
tun angesichts von medialer Reizüberflutung, kommerziell begründeter
Monotonie, Etatstreichungen für den Kultur- und Musikbereich,
immer weniger Musikunterricht an den Schulen sowie in Kindergärten
und der Reduzierungen von Ausbildungskapazitäten für musikpädagogische
Berufe?
Diese zentralen Fragen konnten sicherlich auf diesem Kongress
nicht abschließend beantwortet werden, aber erstmals traten
in so kompetenter Form Vertreterinnen und Vertreter dieser ganz
unterschiedlichen Bereiche in einen gedanklichen Austausch, der
bei kontinuierlicher und offen geführter Weiterverfolgung einen
gesamtgesellschaftlichen Gewinn, starke Allianzen für die Musik
und möglicherweise neue Perspektiven für die Vermittlung
von Musik ergeben könnte. Wenn sich die Innovation und der
Motivationswille vieler dort in Posterpräsentationen vorgestellten
Musikprojekte mit einer wirkungsvollen politischen Unterstützung
und konzeptionellen Begleitung durch Verbände und Bildungsträger,
einer qualitativ hochwertigen Präsenz von Musik in den Medien
und neu gedachten Ausbildungsperspektiven musikpädagogischer
Berufe in einem sehr breiten Sinne ergänzen, einander ernsthaft
befragen, voneinander lernen und kooperieren könnten, sollte
es zum Beispiel unter der Koordination des Deutschen Musikrates
künftig besser möglich werden, die wichtige und überragende
Wirkung von Musik auf den Einzelnen aber auch auf ganz verschiedene
Interessengruppen in unserer Gesellschaft zum Tragen kommen zu lassen.
Musikvermittlung könnte sich dann nicht nur auf das durch Traditionen
Überkommene und Gesicherte beziehen, sondern auch auf Neues,
Ungesichertes perspektivisch noch zu Erprobendes.
Zielgerichteter könnten so auch die verschiedenen Adressaten
von Musikvermittlung vom Kleinkindalter bis in den Seniorenbereich
in den Blick genommen werden, könnten neu gedachte und bisher
zu wenig berücksichtigte Vernetzungen hergestellt werden.
Wenn man Musikvermittlung als ein derartiges komplexes Phänomen
versteht, das mehr umfasst als zum Beispiel Musikpädagogik
oder Musikprogramme für Kinder und Jugendliche, so ist der
Beginn dieser vielfältigen, zum Teil auch recht kontrovers
geführten Dialoge zu würdigen, zumal trotz einer verständlichen
großen Heterogenität in den Interessenlagen der Kongressteilnehmer
am Ende des Tagung ein Positionspapier zum Thema „Mehr Musikvermittlung
in Deutschland“ vorgelegt werden konnte, das in verschiedenen
Arbeitsgruppen formuliert worden war.
Darin wird unter anderem gefordert, dass mehr Kapazitäten
für ein verbessertes Ausbildungsangebot für Erzieherinnen
und Erzieher im Musikbereich in Kindergärten bereit gestellt
werden müssten. Hochschulausbildung muss bei den gegenwärtigen
Umstrukturierungen einen Perspektivwechsel durch einen stärkeren
Praxisbezug in allen Bereichen der Musikausbildung und eine Öffnung
für neue Entwicklungen und Berufsbilder konsequenter vollziehen.
Mit Blick auf die vielfältigen freien Musikinitiativen bedarf
es nach Meinung der Kongressteilnehmer einer Vereinfachung der öffentlichen
und privaten Förderstrukturen sowie der Entwicklung eines neuen
Verständnisses von Partnerschaft aller Beteiligten.
Musikvermittlung in vielfältigen Formen müsse stärker
zu einer Pflichtaufgabe für Orchester und Musiktheater werden.
Dabei ist sie in keiner Weise ein Ersatz für eine bodenständige
Musikpädagogik in der Schule, sondern ergänzender Unterricht
an einem anderen Ort (Konzertbesuche, Opernbesuche und Workshops).
Auch die Medien wurden direkt adressiert: Anbieter von Radio- und
Fernsehprogrammen – und nicht nur die öffentlich-rechtlichen
– wurden aufgefordert, die Programmangebote im Bereich der
Musikvermittlung – hauptsächlich für Kinder und
Jugendliche – zu erweitern und spezielle Sendeplätze
sowie geeignete Sendeformen auf qualitativ hohem Niveau dafür
anzubieten. Ein umfangreiches Rahmenprogramm wie zum Beispiel die
sehr gelungene Live-Sendung von Radio Bayern 2 mit der 100. Folge
des Musikmagazins „taktlos“ oder die exklusive Performance
von „Klaviator“ Lars Reichow sowie des Auftritts des
Saxophon-Quintetts „Quintessence“ zeigten höchste
musikalischer Professionalität in ihrer eigenen Art von Musikvermittlung.
Fazit: die Politik wurde zu konkretem Handeln aufgerufen, aber
auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kongresses verpflichteten
sich selbst zu Engagement, mehr gegenseitiger Akzeptanz und Innovationsbemühungen
in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern, aber auch gerade darüber
hinaus. Letzteres und die vielen persönlichen Begegnungen,
das „über den Zaun schauen“ haben wohl viele Teilnehmerinnen
und Teilnehmer als ganz persönlichen Ertrag mit nach Hause
genommen.