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nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 1
55. Jahrgang | Juni
Leitartikel
Berlin stocktaub
Hallo – ist da wer? HuHu, Beauftragter der Bundesregierung
für Kultur und Medien, bitte antworten! He da, Staatsminister
Bernd Neumann (so heißen Sie doch…) – wo sind
Sie??? – Totenstille. Seit drei Monaten versuchen wir angestrengt,
aus dem Bundeskanzleramt irgendeine musikpolitische Stellungnahme
zu ergattern. Bis auf uneingelöste Referenten-Zusagen: Nix,
null. Dabei waren unsere Fragen ganz harmlos. Zum Beispiel:
„Die Musikwirtschaft klagt seit Jahren über sinkende
Umsätze. Davon sind neben den CD-Herstellern auch die Komponisten
betroffen. Wichtige Rahmenbedingungen sind in der EU-Richtlinie
,Urheberrecht in der Informationsgesellschaft‘ gegeben, die
jetzt in nationales Recht transferiert werden soll. Bis auf die
Geräteher-steller sind jedoch alle Beteiligten unzufrieden.
Können Sie das nachvollziehen? Ist kreative Arbeit in Deutschland
nichts mehr wert?“
Oder: „Als wichtigstes Vorhaben innerhalb Ihrer ersten hundert
Tage nannten Sie die Fusion der Kulturstiftung der Länder und
der Kulturstiftung des Bundes. Wann und wie kann diese Fusion Wirklichkeit
werden? Schwebt nun das Proporzdenken bei der Mittelvergabe auch
über einer neuen Kulturstiftung?“
Oder – noch milder: „Was verstehen Sie unter dem Modewort
,Leitkultur‘? Brauchen wir überhaupt eine? Und wenn ja:
eine deutsche, eine europäische oder eine ohne Adjektiv?“
Die Amtsstube schweigt beharrlich. Aber warum soll’s uns
auch besser gehen, als anderen Kultur-Einrichtungen. Bis auf ein
paar Film-Schnipsel hat dieses Staatsministerium noch kein brauchbarer
Gedanke verlassen. Vielleicht liegt das ja an unserer öbersten
Politik-Lenkerin höchstselbst. Sie behält sich die Gestaltung
der Leitlinien unserer Leit-Kultur ganz persönlich vor. Genau
genommen hat sie unsere erste Frage an Neumann bei ihrem China-Besuch
gerade auch schon beantwortet. Angela Merkel hielt in Bejing einen
flammenden Appell für den Wert geistigen Eigentums. Dass sie
dabei eher an Adidas und Transrapid dachte, denn an Eggert, Lachenmann
oder Silbermond, belegte sie schlüssig, indem sie ausschließlich
die einschlägigen Firmen-Bosse in ihren Delegations-Tross packte.
Die Kulturvertreter wurden draußen vor der Tür gelassen.
So blieb die überaus höfliche Bitte des anerkannt chinophilen
Musikratspräsidenten Martin Maria Krüger um unauffällige
Mitnahme unerhört. Und auch im eigenen Land sorgt die Kanzlerin
wohl demnächst für klare Verhältnisse. Unser ehedem
autorenangemessenes Urheberrecht dürfte demnächst im Dunkel
des zweiten Korbes zu einem industriestreichelnden weichen Standort-Faktor
umgemünzt werden.
Neues deutsches Kulturbewusstsein: Da wird sich Frau Merkel angesichts
gewalttätiger Entgleisungen bestimmter Mitbürger eben
aus physikalisch-ökonomischem Forscherdrang fragen, ob die
Klinge des Messerstechers kruppstählern, der Baseball-Schläger
deutsches Aluminium – oder vielleicht doch nur billiger China-Import
war –, kulturell motiviert durch tiefes Engagement für
ferne Menschenrechte natürlich…