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nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 3
55. Jahrgang | Juni
Magazin
Die vergeblichen Kämpfe des Ritters Don Quijote
Cristóbal Halffter im Gespräch über seine Oper
„Don Quijote“, über das Banale und das Ende der
Zivilisation
Eine Literaturoper ist es nicht, die nach der Uraufführung
im Milleniumsjahr am Madrider Teatro Real (nmz 2000/04) nun am Theater
Kiel ihre deutsche Erstaufführung erlebte. Noch vor dem tragischen
Helden betritt nämlich der Dichter die Szene und stirbt als
einziger den Bühnentod, während Quijote dazu verurteilt
wird, weiterzukämpfen. Nur wogegen beziehungsweise wofür?
Das ist die Frage, die die Choristen am Ende mit stummen Blicken
ans Publikum weitergeben. Ein beklemmendes Schlussbild, das nicht
darüber hinwegtäuschen kann, dass Regisseur Alexander
Schulin darauf eine Antwort schuldig geblieben ist. Gleich das Eröffnungstableau
mit herumirrenden Menschen vor einer Plattenbaufassade, die sich
später zur beschreibbaren Graffiti-Wand öffnet, bleibt
im Ungefähren. Und wenn die fanatisierte Masse die Wände
zerreißt und die Worte auswischt, ist dies pure Fiktion, ebenso
unwirklich wie eine volkstümlich-operettenhafte Wirtshaus-haus-Szene.
So bleiben die Schafe Schafe, die Windmühle eine Windmühle.
Mag sein, dass Lieschen Müller sich ihren Quijote so denkt.
Nur was sie sich dabei denken soll, das weiß sie auch nicht.
Im
ewigen Kampf gegen die Windmühlen: Hye-Soo Sonn als
fahrender Ritter „Don Quijote“. Foto: Olaf Struck
Was stark war in Kiel, ging von der Musik aus, von einem Philharmonischen
Orchester Johannes Willig, der die dynamischen Schattierungen auch
in den Klangballungen transparent abbildete. Auf der Bühne
überzeugten die Solisten Johannes An (Sancho), Jörg Sabrowski
(Cervantes), Hye-Soo Sonn (Quijote) und nicht zuletzt der Opernchor
des Hauses. Eine pseudokonkrete Regie hingegen gab Anlass, die Frage
nach dem Protestpotenzial der Titelfigur einerseits, nach der Essenz
des Werkes und den Perspektiven der zeitgenössischen Musik
andererseits an den Komponisten weiterzureichen.
neue musikzeitung (nmz): Wogegen kämpft Don
Quijote? Cristóbal Halffter: Der Kampf des Don Quijote
ist ein Kampf gegen die Mittelmäßigkeit, gegen das Unrecht,
gegen die „Riesen“, worunter wir uns diejenigen vorzustellen
haben, die die Macht haben – also Leute, die Kriege ausrufen
können.
nmz: Auf der anderen Seite greift der edle Ritter
die Schafherde an – also, müssen wir sagen, bekämpft
er mit der Herde die Herdenmentalität? Halffter: So ist es! Und es ist so, dass Herde
und Heer im Deutschen ja fast dasselbe Wort sind. Was das eine Schaf
macht, machen die anderen nach. Sie sind nicht frei. Sie denken
nicht darüber nach, fragen sich nicht: Warum? Warum soll ich
jetzt dies oder jenes tun oder gar dies oder jenes zerstören?
Sie handeln auf Befehl. Dagegen kämpft Don Quijote.
nmz: Wogegen kämpft der Komponist Cristóbal
Halffter? Halffter: Ich glaube, ich kämpfe nicht. Ich
mache meine Arbeit so gut ich kann. Ich gebe mir Mühe, es so
gut wie möglich zu machen. Wenn ich kämpfe, kämpfe
ich für Kommunikation. Ich will mit meinen Mitmenschen kommunizieren
in einer Sprache, die abstrakt ist und in der keine Märchen
erzählt werden wie Rotkäppchen oder so etwas.
nmz: Kunst für erwachsene Menschen ... Halffter: Ja, aber erwachsen in einem umfassenden
Sinn. Erwachsen ist jemand, wenn er sensibel ist, wenn er frei ist
und frei denkt. Für den schreibe ich.
nmz: Wenn Don Quijote in Ihrem Verständnis
gegen die Riesen kämpft, gegen die Machthaber, gegen Herdenmentalität
und – denken wir an die Wirtshausszene – auch gegen
billige Unterhaltung: Sind dies nicht Chiffren einer konservativen
Kulturkritik? Halffter: Konservativ? Ich weiß nicht. Ich
bin weder konservativ, noch Avantgarde. Ich möchte keinen Stempel
bekommen. Ich bin erzogen in einer Mentalität, in der die Kunst,
die Kultur, das Schöne eine wichtige Rolle spielt. Ich brauche
das. Ich könnte nicht überleben nach einem Atomschlag,
wenn ich keine Möglichkeit mehr habe, ein Streichquartett von
Beethoven zu hören oder die Mat-thäuspassion oder Antonio
de Cabezón. Es gibt dann nämlich keine Orgel mehr, nichts
mehr, was Musik produziert und reproduziert. Dann würde ich
sagen: Besser aus! Ist das konservativ?
nmz: Gegenfrage: Warum wehren Sie sich, als konservativ
angesprochen zu werden? Halffter: Weil konservativ zu sein bedeutet, sich
gegenüber dem Neuen verschlossen zu zeigen. Der Konservative
will um jeden Preis die Tradition, das Alte behalten. Aber er kann
es nur behalten, wenn er offen ist für das Neue. Tradition
– für mich sind das die Straßenlampen in der Nacht.
Sie zeigen uns den Weg. Der Konservative aber ist wie ein Besoffener,
der sich an der Laterne festkrallt und stehen bleibt. Das ist der
Unterschied.
nmz: Trotzdem gibt es ein Moment des Bewahren-Wollens
in Ihrer Arbeit. In der Oper, aber auch in der Orchestermusik, in
„Versus“ beispielsweise, schließen Sie ein Bündnis
mit der Alten Musik. Welche Bedeutung hat diese Verbindung in Ihrem
Komponieren? Halffter: Diese Musik gehört zu meiner Kultur.
Heute haben wir ja das Problem der Gegnerschaft und Gleichgültigkeit
gegen die Moderne auf der einen, gegenüber der Tradition auf
der anderen Seite. Aber wir leben von beidem. Wir müssen weitergehen,
dürfen aber nicht vergessen, dass wir eine Erbschaft mitbekommen
haben. Eine Fledermaus ist dreieinhalb Stunden nach der Geburt fertig,
hat alles geerbt, weiß genau Bescheid. Ein Mensch braucht
dazu, um sich seiner und seiner Tradition bewusst zu werden, manchmal
60, 70 Jahre, damit er wirklich, wie wir vorher gesagt haben, ein
erwachsener Mensch wird.
nmz: Was heißt Tradition? Halffter: Wenn man zwei Noten hört, dass man
hört: Das ist Scarlatti, das ist Händel, das ist Lully.
Ich mache mir oft einen Spaß daraus, zu Hause ein Klassik-Programm
im Radio einzuschalten, zwei Takte zu hören und zu sagen: Zweite
Brahms! – Das zu kennen, das ist Tradition.
nmz: Verraten Sie das Geheimnis, wie Sie es schaffen,
Alte Musik so in Ihre Partituren zu integrieren, dass diese Musik
nicht rückwärts gewandt klingt? Halffter: Um ehrlich zu sein: Ich weiß es
nicht! – Ja, wie mache ich das? Das ist diese Intuition, die
man hat. Zum Beispiel in der Oper. Das erste Zitat, das ist Antonio
de Cabezón, ein vierstimmiger Satz für Tasteninstrumente:
Diferencias sobre el Canto del Cavallero, Variationen vom Gesang
des Ritters, geschrieben in der Zeit, wo Cervantes ein junger Mann
war. Ich lasse es Cervantes singen und mische es mit der Musik meiner
Zeit. Ich wollte und will keine neoklassizistische Rekonstruktion,
also, sagen wir: Scarlatti mit falschen Noten, das wollte ich nicht.
Und, ganz wichtig: In der Francozeit war der Neoklassizismus ja
geradezu die Avantgarde, weil Franco sagte: Das ist das Moderne,
das ist das „Ewige“ – und das war inakzeptabel!
nmz: Ist Franco im heutigen Spanien vergessen? Halffter: Total vergessen! Meine Kinder –
sie sind schon erwachsen – kümmern sich überhaupt
nicht mehr darum. Aber meine Generation leidet noch am Bürgerkrieg.
Der Bürgerkrieg war eine richtige Katastrophe für Spanien.
Es war ein Schnitt in der Geschichte. Es gab eine demokratische
Entwicklung und dann 40 Jahre Stillstand.
nmz: Noch einmal zur Herdenmentalität. Früher
folgte die Herde dem „Führer”, dem „Duce“,
dem „Caudillo“. Was ruft, was treibt die Herde heute? Halffter: Heute ist es mehr der Schrei nach der
Banalität, dass wir alle denselben Fernsehfilm sehen müssen,
dass wir alle genau gleich sind und das ist es, wovon ich in der
Oper sage – es ist das Ende der Zivilisation.
nmz: Kunst, Ihre Kunst, ein Protest gegen den
Konsumismus? Halffter: Absolut!
nmz: Was macht ein Komponist wie Cristóbal
Halffter in einem Moment, wo der Sieg des Fernsehens total geworden
ist? Halffter: Man versucht, die Stille zu erreichen,
in meinem Haus, in meinem Zimmer, mit meiner Familie – die
Ruhe.
nmz: Wie muss, wie wird die Kunst der Zukunft
aussehen? Halffter: Das ist schwer zu sagen. Die Entwicklung
ist sehr komplex. In jedem Moment ist es anders. Die Zukunft der
Kunst? – Für mich liegt sie in der Verbindung des Intellektuellen
mit dem Fühlen des Menschen. Vielleicht kann man so sagen:
Die Intuition rationalisieren.
nmz: Was ist spanisch am Komponisten Cristóbal
Halffter? Halffter: Auch das weiß ich nicht. Ich fühle
euopäisch, mehr wohl als dass ich mich als Spanier verstehe.
Ich habe ja einen deutschen Namen. Mein Urgroßvater ist verbunden
mit Königsberg, mein Großvater ist in Königsberg
geboren, der Vater meiner Mutter in Malaga.
nmz: Letzte Frage: Was würden Sie einem jungen
Komponisten empfehlen? Halffter: Schwer, darauf zu antworten, aber ich
würde dasselbe sagen wie Mozart: Schreiben Sie, von dem Sie
glauben, dass es schön ist! Lassen Sie sich nicht beeinflussen
von großen Erfolgen, kleinen oder keinen Erfolgen! Natürlich
– es ist schön, einen Applaus zu bekommen. Aber das ist
nicht das Wichtige. Das Wichtige war, wie gestern in der Premiere,
die anderthalb Stunden, in denen sich das Publikum in Ruhe, in absoluter
Stille mit meiner Musik identifizieren konnte. Vielleicht war der
eine oder andere dabei, der am Schluss gesagt hat: „Ach, das
hat mir überhaupt nicht gefallen!“ Aber das ist nicht
wichtig. Wichtig war, dass er da war. Wir hatten dieselben Gedanken,
haben mit Cervantes gefühlt. Und so würde ich einem jungen
Komponisten raten: Versuchen Sie, mit den Leuten in Kontakt zu kommen.
Aber machen Sie etwas, von dem Sie glauben, dass es schön ist!