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Begründung: Keine Erfahrung ist der Glaubenserfahrung so verschwistert
wie die musikalische. Klang ist ein Spiegelbild des Seins, in seinem
Entstehen, seinem Verweilen, seinem Vergehen. Die Philosophie des
Mittelalters, etwa das Nachdenken eines Augustinus über die
Zeit oder der Begriff der Musica mundana, stellten immer wieder
die Bezüge der Glaubenserfahrung zur musikalischen her. Eine
Kirche, eine Glaubensgemeinschaft, die sich diesem Verhältnis
nicht in aller Schärfe stellt, wird von innen heraus hohl.
Und Klang muss immer wieder neu erfahren werden. Er ist ein wesentlicher
Träger der Spiritualität, also der sinnlichen Wesenserfahrung.
Ebenso ist Glaube trotz seiner Fundamentalität nichts Statisches.
Die Seins- und Sinnfrage stellt sich jeder Generation neu, muss
neu ausgetragen werden. Deswegen bedarf es in der Kirche ganz entschieden
der zeitgenössischen Musik. Sich auf alter Musik auszuruhen
oder gar sie als eherne Instanz zu etablieren fördert allenfalls
ein genussbetontes Hören, wie es heute in den Konzertsälen
in großem Umfang der Fall ist und trägt zur Erstarrung
bei. Der Gläubige in der Kirche sucht aber nicht in erster
Linie den Genuss, sondern Antworten auf die existenziellen Fragen
von heute. Im vollen Umfang kann das auf musikalischem Weg nur mit
zeitgenössischen Mitteln geschehen – und zwar mit Mitteln,
die sich dem kommerziellen Betrieb entziehen. Derzeit ist der Kirchenmusikbetrieb
ein Spiegel der Agonie, in der sich auch, zumindest partiell, die
Kirchen befinden. Entgegnung: Die Trennung professionelle Musik, also geistliche Musik mit philosophischem Anspruch, und Musik zum liturgischen Vollzug unter Mitwirkung der Gemeinde gibt es schon lange. Die isorhythmische Messe von Machaut dürfte für den Laien im 14. Jahrhundert ebenso unausführbar gewesen sein, wie es eine avancierte Partitur für ihn heute ist. Kirchenmusik von hohem Anspruch hat es den Hörern noch nie leicht oder gar bequem gemacht. Auch der Glaube sollte ja nicht bequem sein. Die herbe Bitterkeit Bachs und der ungeheuere geistige Überbau in seinen Kompositionen hat ebenso gewaltige Anforderungen an die Hörer gestellt, wie die philosophischen Überlagerungen in einer Renaissance-Messe oder auch in der „Missa solemnis“ von Beethoven. Also: Nicht Ablehnung ist die Lösung, sondern Kreativität im Umgang mit den neuen Herausforderungen, wobei auch unter anderem an den Einsatz neuer medialer Mittel zu denken wäre. These 2:
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Auf beiden Seiten, also sowohl bei avancierten Äußerungen als auch bei den Formen des musikalischen Mitwirkens der Gemeinde, ist nachzudenken, und es ist nicht gut, sie durch Niveausenkung etwa hin zum Sakral-Pop zu nivellieren. Das macht den Eindruck, als sollten junge Menschen in die Kirche wie in eine Falle gelockt werden. Die Kirche aber ist kein Pfefferkuchenhaus, sie erfüllt – oder sollte erfüllen – elementare Bedürfnisse des Menschen: Antworten auf Seinsfragen, Sinnstiftung, spirituelles Erleben. Wie so oft in unserer Gesellschaft unterschätzt auch die Kirche, die sich dergestalt anbiedert, ihr Gegenüber. Mit Musik wie Sakral-Pop aber auch mit weltmusikalischen Seichtheiten (zum Beispiel beim letzten Weltkirchentag zu beobachten), in denen ein Gong, eine Klangschale oder ein Didgeridoo völlig aus ihrem kulturellen Umfeld gerissen, für Weltoffenheit stehen sollen, wird eine Heile-Welt-Stimmung vermittelt, gerade dort, wo wesentliche Antworten erwartet werden und angeboten werden sollten. Ich glaube, Jesus hätte diese Erscheinungen wie die Händler aus dem Tempel vertrieben. Hier nämlich überlässt sich die Kirche dem Quotendenken der Massenmedien und kann dieses dann nicht einmal einlösen, da ihre Angebote dem beständigen Flow der modischen Strömungen hoffnungslos hinterher hinken. Der Begriff des Menschenfischers, mit dem Jesus Petrus den Auftrag gab, ins Offene zu gehen, wird hier grundsätzlich missverstanden.
Einschub: Freilich sollte man hier nicht in den Fehler verfallen, allzu restriktiv zu reagieren. Es kommt auf die Tendenz an. Schlecht in jedem Falle ist eine musikalische Auswahl nach den üblichen kommerziellen Kriterien. Musik in der Kirche sollte kein Lockmittel sein, dadurch erniedrigt sie sich selbst. Sie hat ein Angebot zur Auseinandersetzung zu bieten und sollte kritische Fragen nicht durch ein Gefühl eines seichten, vielleicht angenehmen Miteinanders kaschieren. Wenn freilich aus der Gemeinde u u selbst aktiv Musik erarbeitet wird, die mit populären Mitteln an die Hörer tritt, dann verschiebt sich der Blickwinkel. Solch aktives Tun innerhalb der Gemeinde ist grundsätzlich zu begrüßen, eine zu hoch gelegte Latte des ästhetischen Anspruchs würde hier die Tendenzen einer gemeinsamen Aktion unterminieren.
Begründung: Es gab und gibt in der Musik seit 1950 immer wieder kompositorische Denkansätze, die sich mit geistlichen Fragen auseinander setzen. Die Kirche hat diese kaum wahrgenommen, sei es aus Angst vor den darin aufgeworfenen kritischen Fragestellungen, sei es aus Angst vor der angeblichen Unkommunizierbarkeit Neuer Musik, sei es aus konfessioneller Enge. Wirklich geht es den meisten heutigen Komponisten nicht um das Austragen konfessioneller Widersprüche, häufig sogar werden spirituelle Bezüge zu anderen Religionen gesucht. Die Suche nach Daseinserfahrung, nach Antworten auf Sinnfragen ist aber immer dieser Musik eingeschrieben. Es gibt hier in erster Linie keine theoretischen, keine theologisch fundierten Antworten, die Musik leistet die Annäherung auf viel elementarerer Basis, auf der der sinnlichen Wahrnehmung.
Hierzu einige akustische Beispiele (hingewiesen sei darauf, dass auch viele andere Komponisten die Auseinandersetzung mit geistlichen Fragen suchten, zum Beispiel Stockhausen etwa in „Gesang der Jünglinge“, Mauricio Kagel in „Hallelujah“ Helmut Lachenmann in Consolation II, eine Annäherung an das Wessobrunner Gebet, Bernd Alois Zimmermann, György Ligeti, Jonathan Harvey oder auch Heinz Holliger, und selbstverständlich Krzsztof Penderecki oder John Taverner und viele andere).
Ich nenne: Dieter Schnebel. Schnebel hat drei Messen geschrieben: die erste mit extrem avantgardistischen Stimmtechniken zu drei Teilen zwischen 1956 und 1968, die zweite, so genannte Dahlemer Messe 20 Jahre später zwischen 1984 und 1987, die formal traditioneller gehalten ist. Über die Unterschiede sagt Schnebel selbst:
„Ich meine, dass wir heute – im Unterschied zu vor 20 Jahren – eine veränderte Situation haben, in der es unter Umständen auch notwendig erscheint, traditionelle Formen zu retten und ihnen neue Inhalte zu geben, weil sie selber in Gefahr stehen. Damals konnte es noch legitim erscheinen, gegen erstarrte Gottesdienstformen, zu denen auch die Messe und der traditionelle Gottesdienst gehörten, zu opponieren und sie aufzubrechen. Heute sehe ich es als Aufgabe an, diese Formen in neue Zeiten hinüberzuführen, da die Kirchen selber ihr Ureigenstes zu zerstören beginnen. Ich bin zwar evangelischer Theologe, aber ich meine, es ist durchaus verhängnisvoll, dass die katholische Kirche das Latein als Universalsprache aufgegeben hat. Da verfällt man in einen lutherischen Fehler. Wo gibt es das sonst, dass in einer geistlichen Organisation überall auf der Welt eine Sprache als sakrale Sprache vorhanden ist?“
Diese These soll hier nicht zur Debatte stehen, dafür aber die musikalische Energie Schnebels, mit der er auf die veränderten Bedingungen flexibel reagiert. Die Sprache Schnebels ist kritisch, nie aber versucht er den kirchlichen Sendeauftrag in Frage zu stellen. Solchen Debatten, die auch durchaus auf unterschiedlichem Niveau zu führen wären, ist die Kirche zumeist ausgewichen.
(Hier folgten einige akustische Beispiele. Schnebel aus „dt 31,6“ und der Schluss der Dahlemer Messe, das Agnus Dei, mit der Bitte nach Frieden, Arvo Pärt: Berliner Messe; Giacinto Scelsi: Konx-Om-Pax; Mark André: „durch“.)
Diese Beispiele belegen das Interesse vieler Komponisten an geistlichen oder spirituellen Inhalten. Auch von Seiten der Kirchengemeinde besteht Bedürfnis nach solchen Erfahrungen und Auseinandersetzungen. Den Mut bringen die Kirchen aber freilich kaum auf, gerade hier aber läge die Chance für kreatives, neues und spirituelles Denken. Von hier aus ist auch die Integration der großen kirchenmusikalischen Tradition, die eine Säule der Kirchenmusik bleiben muss, auf ganz neue und fruchtbare Art zu verwirklichen.
Begründung: Verwiesen sei auf den Einspruch der katholischen Kirche gegen die „Musica Sacra International“ in Marktoberdorf mit dem unglücklichen Vergleich, dass man Gäste nicht gleich in sein Schlafzimmer einladen würde. Hier wurde über Jahre der Kirchenraum für Aufführungen geöffnet, in denen ein buddhistisches, hinduistisches, islamisches oder jüdisches Ritual vollzogen wurde. Natürlich verlangt das geistige Bewegung, und der christliche Altarraum ist fraglos ein ganz speziell geheiligter Ort. Aber das Argument, auch in einer Moschee könnte man nicht eine christliche Messe erklingen lassen, sollte man nicht einfach so stehen lassen – also indem man mit dem Zeigefinger auf den ebenso restriktiven Nachbarn zeigt und sich hiermit freispricht. Sollten nicht gerade hier Beispiele gesetzt werden, ein Vorausgehen in der Anerkennung und der Liebe zum anderen. Das Neue Testament gibt hier viele Beispiele, vom Zöllner, von der fußwaschenden Sünderin bis zum Schächer am Kreuz, denen sich Jesus stets zuwandte. Eine Religion, die sich Toleranz, ja sogar Liebe zum Feind auf die Fahnen schreibt, darf sich solchen Begegnungen nicht versperren. Das heißt nicht, dass hier innere Glaubensfragen verwässert oder nivelliert werden. Es ist eine Begegnung über die Musik, mithin über die spirituelle Welt- und Gotteserfahrung. Die Kräfte, die hier am Wirken sind, sind über die Religionen hinweg vergleichbar, sie können sich auch gegenseitig anregen und haben dies schon vor Generationen getan. Die Orgel zum Beispiel ist ein Instrument, das aus dem persischen Raum ins Abendland gebracht wurde. Austausch über Musik wäre eine Demonstration der Offenheit und zugleich ein Zurückgehen auf die Wurzeln der Spiritualität. Die Kirche vergibt sich hier nichts, ihr Ort würde nicht entweiht, nicht zuletzt, weil der musikalische Raum ein anderer ist als der der Glaubenszeremonie. Zugleich könnte sie wirkliche Toleranz und Hinwendung zum Nächsten unter Beweis stellen. Es wäre eine Kirche, die ein Beispiel hin auf Offenheit und Zuwendung setzt. Der eigene Glaube würde dadurch nicht geschwächt oder aufgeweicht, er könnte vielmehr in der Auseinandersetzung an Profil, Schärfung und Vertiefung gewinnen. Eine ähnliche Offenheit, ein ähnliches Interesse am Anderen, kann man auch in den avancierten Kreisen heutigen Musiklebens feststellen.
Begründung: Es genügt nicht mehr, den Auszubildenden nur mit dem eigenen liturgischen Zeremonien vertraut zu machen und ihm die Kenntnis im Orgelspiel und der Chorleitung zu vermitteln. Aus solcher Ausbildung wächst eben die Enge, die es aufzubrechen gilt. Ein ganz wesentliches Defizit ist im kreativen Umgang mit Formen von Spiritualität zu sehen. Dazu gehört auch die Vertrautheit mit zeremoniellen Aktionen außerhalb des Christentums.
Der Kirchenmusiker sollte sich zum Anregenden auf unterschiedlichen Stufen, also von der Kinder- und Laienarbeit bis zur hochprofessionellen Darbietung entwickeln. Immer sollte dabei die Auseinandersetzung mit göttlicher Erfahrung im Fokus stehen (auch Bach oder Palestrina pur, also ohne das Verstehen-Wollen ihrer künstlerischen Tat, sind im Grunde in der Kirche fehl am Platze). Dafür gälte es, die pädagogischen, die animierenden, die spirituellen Fähigkeiten des Kirchenmusikers zu entwickeln und zu heben. Von hier aus ist dann auch eine neue Sicht auf die große Tradition der Kirchenmusik möglich.
Ein Beispiel für solche Offenheit ist das Kloster Schlägl im österreichischen Mühlviertel. Dort ist der Glaubensbruder Rupert Gottfried Frieberger für Musik zuständig und er legt außerordentlich viel Gewicht auf kreativen Umgang mit dem spirituellen Aspekt. Ich nenne als Beispiele die Silvesternacht als Nacht der Stille, die gegen den Raketenlärm ausgerichtet ist. Leise Klänge durchziehen den Kirchenraum, ein ganz neues Gefühl von Ruhe und Aufgehobenheit entsteht. Ein anderes Mal inszenierte Frieberger während einer großen Sonnenfinsternis ein fünfstündiges musikalisches Ritual, in dem das Ereignis als transzendentales erfahrbar wurde. Der Zuspruch zu diesen Aktionen ist sehr groß, die Kirchenmusik wird nach vorne gedacht und zielt auf das Wesen der Glaubenserfahrung; sie lenkt darauf hin und nicht weg davon.
Die Situation der Kirchenmusik ist ernst, weil man aufgrund der herrschenden Bedingungen, die genannt wurden, kaum den Mut der Auseinandersetzung sucht. Wenn es aber nicht gelingt, die Musik in ihrer spirituellen Vielfalt offensiv in die Kirche zurückzuführen, dann wird die Erstarrung weiter getrieben. Es ist eine Erstarrung der sinnlichen Erfahrung mit der eine Erstarrung des Glaubens Hand in Hand geht.
Reinhard Schulz
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