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nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 8
55. Jahrgang | Juni
Magazin
Ohne Anbiederung: klassische Musik für Kinder
Ein Aktionstag zur TV-Serie „Little Amadeus“ auf
dem ARD-/ZDF-Kinderkanal KI.KA
Hoch im Norden, hinter den Deichen, eine Grundschule auf dem Dorf.
Schulleiter Hans-Wilhelm Nottelmann ist sichtlich nervös. Wir
schreiben Freitag, den 27. Januar 2006, heute hat Wolfgang Amadeus
Mozart Geburtstag. Eine komplette vierte Schulklasse hat Platz genommen,
die Bühne gehört zuerst den Schülern. Ein „Little
Amadeus“ mit Perücke und Brokatjacke tritt an, die Schülerin
Anne Döhren (zehn Jahre) von der Grund- und Hauptschule in
Wacken (Schleswig-Holstein) hat die Rolle souverän drauf, sie
hat Mozart gelernt und ihn verstanden, moderiert das Thema und sagt
die Künstler an.
„Little
Amadeus“ versucht sich an einem zeitgemäßen
Image Mozarts.
Quelle: Gateway4M
Es treten Astrid Kiesslich (Bratsche) und Anatol Masleij (Geige)
auf – und der Schulleiter staunt. „Als ich heute morgen
die Schüler mit ihren Baseball-Käppis hier lautstark reinkommen
sah, da bekam ich Angst vor einem Fiasko – die zarte klassische
Musik und diese Grundschulkinder von heute, deren Sozialisation
sinnlich-musische Wahrnehmung kaum kennt.“ Die Schule war
gut vorbereitet. Für den „Little Amadeus Aktionstag“
hatte man sich angemeldet und von der Homepage der Veranstalter
die Tipps und den Plan heruntergeladen. Das Ergebnis konnte sich
sehen und hören lassen, nochmals Schulleiter Nottelmann: „Umso
größer war mein Erstaunen, wie sehr die beiden Künstler
Kiesslich und Masleij mit Charme und Witz, mit Virtuosität
und pädagogischem Geschick die Schüler beeindruckten.
Von der ersten bis zur letzten Minute nahmen diese daran teil, vollkommen
störungsfrei und beteiligten sich äußerst aktiv.“
Stellvertretend für knapp 400 deutsche Grundschulen, die an
diesem Tag mitgemacht hatten, bedankte er sich und schrieb den wohl
wichtigsten Satz in ein Dankschreiben. „Der Little Amadeus
Aktionstag hat an unserer Schule der Klassik eine Tür aufgemacht.“
Die Idee zur Vernetzung und gemeinsamen Mobilisierung von Musikschulen,
Orchestern, Musikern und Musikpädagogen für den 250. Geburtstag
von Wolfgang Amadeus Mozart entstand im Zusammenhang mit der TV-Sendung
„Little Amadeus“ (KI.KA/ARD). Initiatoren waren die
Macher der TV-Serie Peter Will (Gateway4M, Musik- und Filmproduzent)
und Winfried Debertin (TV-Produzent, Erfinder der Figur Little Amadeus)
sowie der bekannte Trompeter Otto Sauter. Unterstützer waren
die Deutschen Musikverbände*, angeschrieben wurden circa 14.500
Grundschulen, das Ergebnis dieses ersten Laufs war gut: 838 Schulen
meldeten sich schriftlich zur Teilnahme an, das via Internet kostenlos
zur Verfügung gestellte didaktische Material wurde circa 30.000
Mal von der Website heruntergeladen, 384 Schulen konnten kostenlos
Musiker beziehungsweise Ensembles vermittelt werden, die den Kindern
Mozart vorspielten und ihre Instrumente vorstellten – Klassik
zum Anfassen und Anhören. Für den Ideengeber Peter Will
ist der Verbund aus erfolgreicher TV-Serie und Aktionstag eine langfristige
Aktivität, ein nächster Aktionstag soll folgen, Ratgeber
und weitere Aktionsformen werden bereits konzipiert, in Vorbereitung
ist die Gründung einer Stiftung, die zukünftig das Dach
dieser Klassikförderung sein soll. Will: „Die Klassik
hat ein Image-Problem, das liegt aber nicht an der Musik oder der
Qualität alter oder neuer Künstler, die sie interpretieren
und darbieten. Der Aktionstag und die TV-Serie beweisen, dass man
Klassik zeitgemäß und dennoch ohne falsche Anbiederung
an den Zeitgeist popularisieren kann.“ An der musikalischen
Gestaltung der TV-Serie wirkte auch Wolf Kerschek als führender
Komponist mit, er erklärt, warum gerade die Musik bei Little
Amadeus mehr als Begleitung und deshalb so erfolgreich ist (bester
Serienstart auf KIKA seit Start des Senders!): „Wir arbeiten
fast ausschließlich live mit echter Orchestermusik, die komplett
neu eingespielt wurde. Wenn ein Kind eine Little-Amadeus-Folge sieht,
hat es das Leitthema in Variationen gehört, erlebt Klassik,
Mozartgeschichte und ein Filmereignis. Die heutige Erfahrung der
Jugend heisst HipHop, Dance oder Rock – Little Amadeus erweitert
die Wahrnehmung der Kids, sie bekommen Lust auf eine andere musikalische
Sprache, geschaffen wird so insgesamt mehr Akzeptanz für die
Klassik.“ Für den Aktionstag verbündeten sich auch
der Deutsche Musikrat, der Verband Deutscher Musikschulen und der
Verband Deutscher Schulmusiker gemeinsam mit den Veranstaltern,
um eine „pädagogische Allianz“ auf den Weg zu bringen.
So hat das Little Amadeus Projekt im ersten Jahr viel erreicht.
Nochmals Will: „Wir werden uns jetzt um verbesserte Planung
und Vorbereitung bemühen, hierüber sind wir bereits mit
unseren Partnern im Gespräch – der nächste Aktionstag
kommt bestimmt!“
Jürgen Stark
Sende-Folge
Titel deutsch
2006
1
Solo für Amadeus
10.06.
2
Die gestohlene Uhr
17.06.
3
Pumperl in Not
24.06
4
Der Vogelhändler
01.07.
5
Vertauschte Geigen
08.07.
6
Gerüchte
15.07.
7
Gift im Trunk
22.07.
8
Das falsche Schiff
29.07.
9
Der tanzende Hafen
05.08.
10
Straßenmusikanten
12.08.
11
Kaiserinnen küsst man nicht
19.08.
Die „Little Amadeus“-Ausstrahlungstermine
der ARD (je 7.35 Uhr). Inhaltsangaben und weitere Informationen
siehe unter: www.littleamadeus-lounge.de.
*Schirmherrschaft: Deutsche Mozart-Gesellschaft
Unterstützt und begleitet von:
Deutscher Musikrat, Verband Deutscher Musikschulen e.V., Verband
Deutscher Schulmusiker e.V., Deutsche Phono-Akademie e.V., Deutsche
Orchester Vereinigung e.V., Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände
e.V. BDMV, Arbeitskreis für Schulmusik e.V., Musikkorps der
Bundeswehr, KI.KA Der Kinderkanal von ARD und ZDF
Exemplarischer Einblick ins Amadeus-Konzept
Zur Episode „Die gestohlene Uhr“ – Ausstrahlung
am 17. Juni 2006 in der ARD
Inhaltsangabe der Episode: Amadeus möchte sich mit einem
Lied beim Kompositionswettbewerb um die „Goldene Nadel von
Salzburg“ bewerben. Der ehrgeizige Devilius und die hinterhältige
Ratte Monti wollen dies verhindern, damit Devilius’ Neffe
Mario den Preis gewinnen kann. Mit Hilfe einer Taschenuhr und
einer gestohlenen Mozart-Melodie lassen sie Amadeus als Dieb und
Plagiator dastehen. In einer gruseligen Friedhofsszene wollen
Amadeus und seine Freunde Mario schließlich ein Geständnis
abringen. Wird dieses Geständnis Amadeus von den Vorwürfen
reinwaschen oder gewinnt Mario am Ende die „Goldene Nadel
von Salzburg“? Zur musikalischen Gestaltung: Die Episode
„Die gestohlene Uhr“ beginnt mit der Arie „Ein
Mädchen oder Weibchen“ aus der Oper „Die Zauberflöte“
KV 620. Amadeus spielt dieses Thema zu Beginn auf dem Klavier.
Im weiteren Verlauf spielt das tänzerische Motiv die tragende
Rolle, denn Amadeus bewirbt sich damit bei einem Kompositionswettbewerb.
So taucht es in verschiedenen Formen auf, zum Beispiel auf der
Flöte gespielt oder sogar als Glockenspiel in einer Taschenuhr.
Amadeus’ innere Unruhe beim gemeinsamen Essen mit der Familie
wird durch das flirrende Geigenthema des letzten Satzes der „Kleinen
Nachtmusik“ KV 525 dargestellt. Im Kontrast dazu einige
Szenen später der Sicherheit verströmende 3. Satz des
„Hornkonzert Nr.4“ KV 495, als Amadeus und Kajetan
den rettenden Plan erstellen.
Gateway4M, Martin Bentz
Stimmen zum
Little Amadeus Projekt
Christian Hoeppner (Generalsekretär DMR), Hans
Bäßler (Vizepräsident DMR, Bundesvorsitzender
vds), Matthias Pannes (Generalsekretär VdM):
Musik muss wieder Hauptfach werden in unserem Denken und Handeln!
Das Musizieren in Schule und Musikschule prägt Kinder in
ganz besonderer Weise. Der fortschreitende Ausfall von Musikunterricht
an den Schulen und die Kürzungen bei den Musikschulen verwehren
aber immer mehr Kindern den Zugang zur Welt der Musik. Deshalb
fordern der Deutsche Musikrat, der Verband deutscher Schulmusiker
und der Verband deutscher Musikschulen, dass jedes Kind, egal
welcher sozialen oder ethnischen Herkunft, die Chance auf eine
qualifizierte musikalisch Bildung haben muss. Der Aktionstag Little
Amadeus&Friends bietet eine weitere Möglichkeit, das
Bewusstsein für den Wert der Kreativität zu wecken und
somit diesem Ziel ein Stück näher zu rücken.
Michael Haentjes (Vorstandsvorsitzender der Deutschen
Phonoverbände):
Musik hat bekanntlich viele Namen. Wer sich aufmacht, diesen Namen
ein Gesicht, eine Geschichte und eine kleine Inszenierung zu geben,
der verdient Anerkennung und Respekt, vor allem, wenn er sich
der Klassik und den Grundschulen in einem seltenen Bündnis
widmet und scheinbar Unmögliches möglich machen möchte.
Als die Ideengeber und Organisatoren wegen Unterstützung
bei der Deutschen Phono-Akademie 2005 anfragten, war unsere Sympathie
hierfür leicht zu haben. Denn seit mehr als einem Jahrzehnt
hat sich die Deutsche Phono-Akademie in ihrer Arbeit schwerpunktmäßig
auch auf die Grundförderung von Musik für allgemeinbildende
Schulen konzentriert, sie kümmert sich mit erfolgreichen
Projekten um Ideen und praktische Anregungen für mehr und
besseren Musikunterricht, vorrangig im Bereich der Haupt-, Grund-
und Realschulen. Dass es derartiger Initiativen bedarf, um Kindern
und Jugendlichen die geniale und zeitlose Musik des „Little
Amadeus“ nahe zu bringen, ist bedauerlich und eher unwürdig,
dass dieses aber an diesem Tag mit so viel positiver Resonanz
bei Schülern, Pädagogen und Eltern funktionierte, stimmt
hoffnungsvoll. Positiv ist auch das Bekenntnis der Macher zu Nachhaltigkeit
und weiteren Aktionstagen, was wir als Partner auch zukünftig
weiterhin gerne unterstützen – die Kinder haben es
einfach verdient! Weiter so!