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nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 47
55. Jahrgang | Juni
Bücher
Beide Pole des Musiklernens koppeln
Lernen zwischen Musizierpraxis und Werkbetrachtung
Almuth Süberkrüb: Musiklernen: „Verstehen und
Geschehen“. „Didaktische Interpretation von Musik“
und „Music Learning Theory“ als Grundlage für vieldimensionales
Musiklernen, Pfau-Verlag, Saarbrücken 2005, 270 S., Abb., €
28,00, ISBN 3-89727-280-6
Es ist das Problem der gegenwärtigen Musikdidaktik, auf das
sich Almuth Süberkrüb eingelassen hat: Ein kulturerschließender
Musikunterricht – Unterricht also, der musikalische Werke
samt ihrem Kontext in den Blick nimmt – ist im Konsens vieler
Lehrer zumeist zur Folgenlosigkeit verurteilt, wenn das „Lernen
über Musik“ nicht auf einer durch „Musik-Lernen“
initiierten, originär musikalischen Vorstellungswelt gründet.
Die Synthese dieser beiden Pole ist daher die Idee des Konzepts,
das Süberkrüb hier entwickelt.
Als Ausgangspunkt wählt sie zwei bestehende musikdidaktische
Ansätze, die sie auf circa 100 Seiten vorstellt und bilanziert:
zum einen das (inzwischen zwar von Fachleuten längst revidierte,
in der Schulpraxis aber vor allem in Form von Wildwüchsen
noch weithin präsente) Konzept der „Didaktischen Interpretation“
nach Karl Heinrich Ehrenforth und Christoph Richter (1971/1976);
zum anderen die hierzulande noch weniger bekannte, praxial orientierte
„Music Learning Theory“ Edwin Gordons (1980).
Süberkrübs Studie strebt zwischen beiden einen Brückenschlag
an. Als „Brückenpfeiler“ entwirft sie, von dem
oben genannten Dilemma ausgehend, einen Verstehensbegriff, der das
didaktische Vakuum zwischen der Organisation von (reflektierter)
musikalischer Erfahrung einerseits und praktischer Kompetenzvermittlung
andererseits schließen möchte. Ihre Auffassung von Musik-„Lernen“
lässt folgerichtig einen hermeneutischen und einen neurobiologisch
fundierten Verstehensbegriff ineinander aufgehen. Musiklernen soll
zum „vieldimensionalen“ Prozess werden, der die Dimensionen
der „Wirksamkeit von Musik im Unterricht“, der „Lernvoraussetzungen
und Lernweisen der Schüler“, des „Umgangs mit Musik“
und des „‚Seinszuwachses’ durch Kunsterfahrung“
im Heidegger‘schen Sinne einschließt (S. 141).
Ziel des musikalischen Handelns sei ein – leider nicht intensiver
durchdrungenes – „Denken in Musik“ (S. 135), das
sie im Sinne einer musik-‚sprachlichen’ Kommunikation
begreift, wie Gordon sie in seinen „Learning Sequences”
durch die Arbeit an musikalischen Patterns anlegt.
Mit Hilfe einer empirischen Untersuchung zur musikalischen Perzeption
möchte die Autorin zudem belegen, wie sich mit unterschiedlichen,
an den beiden Ausgangskonzepten angelehnten Methoden erfolgreich
Vorerfahrungen der Schüler nutzbar machen lassen. Ohne die
Validität der Rahmenbedingungen einschätzen zu können
– auch ist wenig über die Inhalte des Unterrichts
zu erfahren –, sei als Teilergebnis bloß der positive
Effekt wiedergegeben, den Süberkrüb aus einem regelmäßig
in den Unterricht integrierten sequentiellen Lernen nach Gordon
schlussfolgert (S. 183).
Gemessen an der zentralen Stellung, die innerhalb des Buches dem
Musiklernen und -verstehen eingeräumt werden, scheint diese
Studie jedoch zu kurz zu greifen, schließlich steht Perzeption
doch nur am Beginn dieser beiden Prozesse. In Abgrenzung von didaktischen
Ansätzen aus den letzten Jahren (an dieser Stelle missversteht
sie übrigens das Konzept eines „aufbauenden Musikunterrichts“
nach Werner Jank und andere, das keines-wegs die Vermittlung von
„Grundwissen“ vor das Musizieren stellt, S. 128), schlägt
sie vor, hermeneutische und musizierpraktische Tätigkeiten
im zeitlichen Nebeneinander sich ergänzen zu lassen.
Dies illustriert sie am Lernfeld „Metrum, ‚Puls der
Zeit‘ – Tragendes Moment für die Musik und im Leben“.
Die aufgeführten Werkbeispiele und unterrichtlichen Vorgehensweisen
sind, insbesondere durch die Vorschläge einer toposdidaktischen
Einbindung, einleuchtend.
Doch handelt es sich dabei um einen thematischen Spezialfall, insofern
in „Metrum“ und „Puls“ das lebensweltliche
Moment und das elementarisierte, für den praktischen Umgang
isolierte musikalische Material gewissermaßen zusammenfallen.
Wenngleich passagenweise durch eine starke Anlehnung an die Argumentationslinien
der angeführten Autoren die eigene Problemstellung in den Hintergrund
rückt und eine Vielzahl von thematischen Exkursen den Lesefluss
bremst, liegt durch diesen Band doch ein weitsichtiger Versuch vor,
Auswege aus den akuten Problemen des Musikunterrichts anzubahnen.
Will sich dieser Ansatz in der Praxis allerdings bewähren,
muss er unter Beweis stellen, dass sich über die dargestellten
Exempel hinaus ein breites Spektrum von Lerngegenständen gleichermaßen
für (musikalische) Elementarerfahrung wie für Kontextualisierung
eignet.