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nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 44
55. Jahrgang | Juni
Rezensionen-CD
Aus der Zeit gefallene Repertoire-Auffrischungen
Ein Portrait des rumänischen Komponisten Pascal Bentoiu
bei der Bremer Edition Hastedt
Die Musikszenen der ehemaligen Ostblockländer sind auch 15
Jahre nach dem Fall des eisernen Vorhangs weiterhin terra incognita.
Mit der CD-Reihe „Zeitgenossen“ will die Bremer Edition
Hastedt – in Co-Produktion mit der WDR-Reihe „Musik
der Zeit“ – dem abhelfen und legt dabei ihren Schwerpunkt
auf die kulturellen Leistungen der Ex-DDR. Hanns Eisler, Friedrich
Goldmann, Kurt Schwaen oder Gerhard Rosenfeld sind hier mit wichtigen
Werken (neu) zu entdecken; die (Wieder-)Begegnung mit Herbert Kegel,
Annerose Schmidt, Gerald Fauth wirft Schlaglichter auf eine verloren
gegangene Reichhaltigkeit der Interpretation.
Der rumänische Komponist Pascal Bentoiu geriet wohl eher durch
Zufall in dieses Verlagsprogramm, befördert durch seinen kongenialen
Fürsprecher, den Dirigenten Horia Andreescu, heute Chef der
beiden Radioorchester Bukarest, doch viele Jahre auch Gastdirigent
des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin und der Dresdner Philharmonie.
Ein Glücksfall, denn Andreescu vermag die von einer von Bartók
geschärften Neoklassizität zu dodekaphonischen Ufern aufbrechende
Musik Bentoius äußerst farbig, lebendig und differenziert
darzustellen, überzeugend vor allem in ihren dramaturgischen
Abläufen. Der Nordwestdeutschen Philharmonie vermittelt er
das entsprechende sinnliche Klangfeuer und das richtige Feeling
für die vertrackten, dennoch leicht und fließend zu nehmenden
Rhythmen der Orchesterwerke.
Der 1927 geborene Komponist wandelt darin – wie könnte
es anders sein – auf den Spuren des großen Vorgängers
und Landsmannes George Enescu, dessen 4. und 5. Sinfonie er Mitte
der 90er-Jahre vollendete. Bentoiu nahm von 1945 bis 1948 privaten
Kompositionsunterricht bei Michail Jora und studierte gleichzeitig
Jura an der Universität. In den 50er-Jahren arbeitete er zudem
am Bukarester Institut für Folklore und trat unter anderem
mit musikwissenschaftlichen Untersuchungen zur asymmetrischen Rhythmik
der rumänischen Tanzmusik hervor. Ein „Volkskünstler“
war er deshalb noch lange nicht. Zwar erhielt er mehrere hohe Staatspreise,
doch brachte ihm sein Beharren auf professionelle Qualität,
seine Verweigerung des ideologisch Verwertbaren eher Behinderungen
seines Schaffens ein. Nach dem Umsturz 1989 wurde Bentoiu zum Präsidenten
des Komponistenverbandes gewählt, dessen Struktur er grundlegend
reformierte.
Können die drei hier vorgestellten, um 1960 entstandenen Werke
den Anspruch der Reihe erfüllen, als Musik des 20. Jahrhunderts
„im beginnenden 21. Jahrhundert ihren Rang“ zu haben?
Gewiss sind sie wie so vieles andere, was heute neu entdeckt wird,
„aus der Zeit gefallen“. Weder entsprechen sie der damals
gängigen West-Avantgarde, noch zeigen sie eine Experimentierlust,
die andere Künstler schon längst über die Grenze
getrieben hatte. Innerhalb ihrer gemäßigten, folkloristisch
verwurzelten Modernität, mit einem persönlichen Amalgam
von „Fundstücken“ liegen sie aber durchaus im heutigen
Trend. Musikgeschichtlich informativ und reizvolle Repertoire-Auffrischung
sind sie allemal. Das Konzert für Violine und Orchester op.
9 von 1958 ist ganz und gar von lyrischer Melodik durchdrungen,
zieht in den Sog einer eindringlichen, weit gespannten Linienführung.
Der dicht gefügte Satz lässt an einen Ausspruch Enescus
denken, wonach eine Melodie nicht der Ausgangspunkt, sondern Ergebnis
eines gedanklichen Prozesses sei, durch den bereits im Thema alles
Künftige enthalten sei. Zwölftönigkeit ist für
Bentoiu aber nur eine selten und sehr diskret angewandte Möglichkeit
unter vielen anderen.
Seine spezifische Eigenart zeigt sich dagegen in den ostinaten,
komplex geschichteten und ungleichmäßig akzentuierten
Rhythmen des Scherzos, einem rasanten Presto-Satz. Wenn die Solostimme
ganz frei, wie ungerührt, darüber schwebt, wirkt das manchmal
wie improvisiert – eine merkwürdige Jazz-Affinität
kann so entstehen.
Wie selbstverständlich betont auch das Konzert Nr. 2 für
Klavier und Orchester (1960) das perkussive Element des Soloinstruments,
nie jedoch so konsequent, scharfkantig, streng reduziert wie beim
Vorbild Bartók. In die herben Sekundketten mischen sich alsbald
chromatische Terztonleitern Liszt’scher Prägung, ein
geschmeidiger, glitzernder Klaviersatz zeigt starken französischen
Einfluss à la Ravel. Dieses Werk ist vielleicht am ehesten
eklektisch zu nennen, leichtgewichtig und äußerst effektvoll
– was jedoch niemals billige Anbiederung bedeutet, da sei
die grundsolide und komplex-ideenreiche Kompositionstechnik vor.
Die Sonate op. 14 für Violine und Klavier (1962) bündelt
alle diese Elemente – auch hier die Ravel’schen Sekunden,
Bartóks splitterige Nachtmusiken, weitgeschwungene Lyrismen
und zerklüftete Repetitionsrhythmen. Fast rührend, wie
hier manchmal alte Bekannte im neuen Gewand auftauchen – bestimmte
Doppelgriff-Folgen etwa erinnern einfach daran, dass Bach im Grunde
schon alles komponiert hat. Das hat nichts mit postmoderner Beliebigkeit
zu tun, sondern erhält in schlüssiger Dramaturgie seinen
sinnvollen, strukturierenden Platz. Die Geigerin Jenny Abel und
der Pianist Mihai Ungureanu, die wie zuvor als Solisten der Konzerte
durch viel Klangsinn und intelligente Gestaltung überzeugen,
finden im reduzierten, manchmal kargen Klang zu noch intensiverer
Spannung zusammen. Zum Schluss tupft der Pianist weitverstreute
Töne in den Raum, bevor dumpfe Repetitionen wie Morsezeichen
ersterben. Das klang doch fast wie…? Aber den Gefallen tut
uns Bentoiu nicht. Es waren nur elf Töne.
Isabel Herzfeld
Zeitgenossen. Musik der Zeit 25
Hastedt-Verlag und Musikedition,
Bremen
LC 10973, HT5325