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nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 44
55. Jahrgang | Juni
Rezensionen-CD
Stampfer, Striker und Stars
Prominente Künstler erklären in einem klingenden Lexikon
die klassische Musik
Auf drei CDs erklärt der Klassik-Radio-Moderator Holger Wemhoff
99 Begriffe der klassischen Musik. Die erste CD stellt vokale Gattungen
sowie in ihnen gebräuchliche Fachtermini vor. Die zweite CD
beschäftigt sich mit Instrumentenkunde und den verschiedenen
Formen des Zusammenspiels von Instrumenten und auf der dritten CD
werden musikgeschichtliche Epochen vom Mittelalter bis zur Gegenwart,
vom gregorianischen Choral bis zu atonalen und seriellen Kompositionen
erläutert.
Die Besonderheit dieses klingenden Lexikons liegt darin, dass über
ein Dutzend berühmter Persönlichkeiten aus der Klassik-Szene,
als Beispiele seien Anne-Sophie Mutter, Hélène Grimaud,
Lang Lang, Harald Schmidt und Anna Netrebko genannt, versuchen,
dem Hörer musikalische Begriffe zu erläutern. Das Lexikon
erhält so eine persönliche Note, Anekdoten, individuelle
Interpretationen, Vorlieben, Schwärmereien und eine sehr bildhafte
Sprache durchbrechen die Struktur eines reinen Nachschlagewerkes.
So erklärt der Dirigent Christian Thielemann nicht nur die
Funktion eines Taktstockes sondern erwähnt das Schicksal des
französischen Dirigenten Jean-Baptiste Lully: „Früher
hat man den Takt wirklich geschlagen, gestampft mit so einem Stampfer.
Lully hat sich damit in den Fuß gepiekt und starb an einer
Blutvergiftung. Ich glaube, aus diesem Taktmarkieren ist dann der
Taktstock entstanden. In der Oper ist er sehr praktisch, zum Beispiel
in Bayreuth sitzen die Musiker sehr weit weg und da fungiert er
wie ein verlängerter Arm.“
Der Pianist Lang Lang greift in der Erklärung des Konzertes
zu einem sportlichen Vergleich: „Du (als Solist) bist der
Striker in einem Football Team. Und du hast einen Dirigenten, der
den Ball kontrolliert und zu dir weitergibt oder wirft. Und dann
gehören dem Soloinstrument viele der großen Momente!
Aber manchmal ist auch das Orchester dran, die Stimmung zu verändern
oder das Stück zu führen. Also gibt’s bei einem
Konzert drei Ebenen: Solist, Dirigent und das Orchester müssen
sich gegenseitig respektieren und wie ein Team zusammenarbeiten.“
Wer nun Näheres über den Dirigenten, den „Maestro“
wissen möchte, kann sich getrost an den lettischen Dirigenten
Mariss Jansons wenden: „Er leitet das Orchester im musikalischen
Prozess, so dass die Wünsche des Komponisten erfüllt werden
(…). Die endgültige Aufführung zeigt das Resultat
der Vorbereitungen und da wird mit großem künstlerischen
Ausdruck musiziert!“
Albrecht Mayer, einer der bekanntesten deutschen Oboisten, beschreibt
fast euphorisch die emotionale Ausdrucksfähigkeit seines Instrumentes:
„Das ist ja ein sehr anstrengendes Instrument, das kann man
vom Blasdruck her nur vergleichen mit der Trompete oder einem Horn.
Dadurch wird’s sehr physisch, ist also eine sehr körperliche
Angelegenheit. Und alles, was sehr körperlich ist, wo ich also
meine ganze Kraft aufwenden muss, wird natürlich als Emotion
absolut eins zu eins rauskommen. Und gerade das gefällt mir
unglaublich, die Emotionen. Wenn man zum Beispiel an die Filmmusik
unserer Tage denkt, die ganze Filmmusik, die aus Hollywood kommt:
Immer, wenn es um Emotionen geht, um Trauer, Leid, Sehnsucht, Liebe,
ist die Oboe dran. Die Oboe ist der Sprecher der Gefühle.“
Eine weitere Stärke des Lexikons liegt darin, dass durch zahlreiche
Musikbeispiele der direkte Bezug zur Praxis hergestellt wird. So
kann der Hörer anhand einer Aufnahme vom Klavierkonzert Nr.
1 von Peter Tschaikowsky nachvollziehen, wie Lang Lang sich als
„Striker“ im „Team“ des Chicago Symphony
Orchestra unter Daniel Barenboim schlägt oder wie Albrecht
Mayer die emotionale Ausdrucksfähigkeit der Oboe im Allegro
aperto und Andante ma non troppo des Oboenkonzerts von Wolfgang
Amadeus Mozart, KV 314, eindrucksvoll unter Beweis stellt. Die ausgewählten
Stücke skizzieren nicht nur ein breites Spektrum der Musikgeschichte,
die Oper wird musikalisch beispielsweise anhand von Kompositionen
Claudio Monteverdis, Wolfgang Amadeus Mozarts und Alban Bergs illustriert,
es handelt sich zusätzlich um qualitativ hochwertige Einspielungen,
die zeigen, dass man sich hier um den Hörer als Einsteiger
bemüht. Bei den Dirigenten stößt man auf Namen wie
Claudio Abbado, Herbert von Karajan und Pierre Boulez, bei den Solistinnen
und Solisten seien exemplarisch Alfred Brendel, Mischa Maisky, Emil
Gilels, und Rosalyn Tureck genannt.
Es steht außer Frage, dass sich die klassische Musik nicht
in 99 Begrifflichkeiten zusammenfassen lässt. Das klingende
Lexikon erhebt jedoch diesen Anspruch auf Vollständigkeit nicht,
sondern ermöglicht Interessierten, durch allgemeinverständliche
Erklärungen einen Einstieg über die Musik in ihre Zusammenhänge
und Hintergründe. Dieses klingende Lexikon kann nicht nur den
Weg zum Printlexion (zwecks weiterer Vertiefung der Themen) ebnen,
sondern auch den zum Konzert.
Edith Rimmert
99xKlassik. Das klingende Lexikon der klassischen Musik.
Universal Music Group
LC 00173.