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nmz-archiv
nmz 2006/06 | Seite 12
55. Jahrgang | Juni
Semmelmann
Kick it!
Wenn diese Nummer der nmz erschienen ist, sind es nur noch wenige
Tage, bis ein Ereignis seinen Lauf nimmt, vor dem mir inzwischen
Himmelangst ist: die Fußballweltmeisterschaft. Wahrscheinlich
ist es der nmz bis dato gelungen dieses Thema aus ihren Seiten herauszuhalten
– so genau lese ich sie nicht – aber nun ist es doch
so weit.
Jedoch nicht über den Fußball selbst möchte ich
mich auslassen, das Spiel, mit dem sich die Intellektuellen (und
damit wohl auch die meisten nmz-Leser) noch immer so schwer tun.
Nein, denn über das Spiel an sich gibt es nichts Schlechtes
oder Schlimmes zu berichten. Ganz im Gegenteil. Das haben inzwischen
sogar einige wenige der oben Genannten gemerkt und stehen –
selbstverständlich inkognito – regelmäßig
auf den Zuschauerrängen mancher Fußballplätze oder
Stadien.
Was habe ich mich in der Vergangenheit immer auf solche Turniere
wie WM oder auch EM gefreut. Denn rein fußballerisch sind
solche Ereignisse durch-aus etwas Besonderes. Doch diesmal ist es
anders. Die Freude auf die WM im eigenen Lande ist mir, Spross einer
Fußballerfamilie und Sohn eines ehe-mals vereinskickenden
Intellektuellen gründlich vergangen. Warum? Diese WM ist ein
Monster. Diese WM hat schon lange nichts mehr mit Fußball
und dem Spaß daran zu tun. Der Fußball ist lediglich
das Feuerchen auf dem unzählige Süppchen gekocht werden.
Noch vor ein paar Wochen wurde gefragt, ob die WM uns einen Aufschwung
bescheren könne, beziehungsweise den Aufschwung, den die Große
Koalitze – war’s im April? – ausgerufen hat, zu
katalydingsbumsen. Inzwischen wird das schon gar nicht mehr gefragt,
sondern als Fußballgottgegeben dahingestellt. So abgedroschen
diese Worte auch klingen mögen: Brot und Spiele. Das war schon
bei den Römern so und trifft heute das Politikum Fußball
(denn ein Faszinosum ist er schon lange nicht mehr) exakt mitten
auf den vom vielen Köppen verblödeten Schädel. Politiker
aller Couleur nutzen das bunte Treiben um ihre teils düsteren
und verqueren politischen Ideen in die Realität umzusetzen.
Einer will ja sogar das Militär aufmarschieren lassen, um die
quietschige Stimmung, die demnächst in Fußball-Deutschland
herrschen wird, straff und effizient zu organisieren. Schlimm genug
sind sie ja, die Politiker, wenn sie versuchen, solch ein Ereignis
für sich selbst gewinnbringend umzusetzen. Da muss sogar der
Staatsanwalt einschreiten, um das korrumpierte Verschenken von WM-Tickets
durch Staatsdiener zu durchleuchten. Am Schlimmsten aber gebärden
sich die WM-Protagonisten der Flimmermedien. Insbesondere die Öffentlich-Rechtlichen
und deren Sprechfinken. Denn die Anstalten haben es sich zur ehernen
Pflicht gemacht, die Privaten vom „Thron des gesendeten Dummsinns“
zu stoßen (was nicht nur für die Sparte „Sport“
gilt). Denn anders lässt sich das nicht erklären, was
hier auf uns gebührenzahlende Hingucker gehetzt wird. All die
Beckmanns, Kerners, Schmidts, Hartmanns, Poschmanns, Del-lings,
Netzers, Beckenbauers und wie sie alle heißen, die uns stets
pumperlgsund ihren Sachverstand und ihre unerträglich gute
Laune in die bereits ach so wunde Fresse hauen. Stunde um Stunde.
Tag um Tag. Harry um Waldi. Und dazwischen immer wieder „Und
Rahn müsste schießen! Rahn schießt! Tor, Tor, Toooor!!!“
Ich kann es nicht mehr hören. Ich kann es nicht mehr hören.
Selbst wenn ich tunlichst Sendungen meide, die auch nur ganz entfernt
irgendetwas mit Fußball zu tun haben könnten... –
plötzlich, aus heiterem Himmel: „Und Rahn müsste
schießen! Rahn schießt! TOR, TOR, TOOOOR!!!“ Man
könnte gerade meinen, die 54er-WM sei das einzige historische
Ereignis, aus dem wir Deutschen, das Volk der Richter und Henker,
so was Ähnliches wie Selbstwertgefühl schöpfen.
Ich schöpfe daraus inzwischen nur noch Übelkeit und Angst
davor, dass Deutschland irgendwie vielleicht doch Weltmeister werden
könnte. Nicht auszudenken. Trotzdem werde ich natürlich
Spiele dieser WM anschauen. Logisch. Haben Sie sich mal den Sturm
der „Tre Kroners“ angeschaut? Henrik Larsson, Zlatan
Ibrahimovic und Fredrik Ljungberg. Mannmannmann, da schnalzt doch
jeder Fußballfreund mit der Zunge. Leute, die Schweden müssen
wir auf der Rechnung haben. Auch wenn Brasilien sowieso wieder Weltmeister
wird.