nmz 2006/06 | Seite 31
55. Jahrgang | Juni
Verband Bayerischer
Sing- und Musikschulen
Nürnbergs erste Streicherklasse
Die Musikschule Nürnberg eröffnete Streicherklasse
an einer Grundschule
Violine, Bratsche, Violoncello und Kontrabass – Schülerinnen
und Schüler der zweiten Klasse an der Theodor-Billroth-Schule
Nürnberg erhalten in diesem Schuljahr Unterricht auf Streichinstrumenten.
Zurzeit besuchen 25 Kinder die Streicherklasse: Zwölf davon
spielen Violine, vier Kinder spielen Bratsche, fünf Kinder
spielen Violoncello und vier Kinder haben sich für den Kontrabass
entschieden.
Kräftig
am Üben: die Streicherklasse der Musikschule Nürnberg.
Foto: Eberhard Appel
Der Unterricht findet zweimal wöchentlich statt und ist in
den normalen Vormittagsunterricht eingebunden: eine Registerprobe
an zwei Tagen in der Woche für die einzelnen Instrumentengruppen,
jeweils 45 Minuten lang und eine Tuttiprobe über 60 Minuten.
Fünf Lehrkräfte der Nürnberger Musikschule sind daran
beteiligt. Für die Violinen und Bratschen sind die Lehrkräfte
Dörte Vaihinger-Görg, Barbara Casino und Fred Torres-Hass
zuständig. Die Lehrerinnen Christiane Schubert und Corinna
Zimprich unterrichten Violoncello und Kontrabass. „Diese Musizierklasse
ist eine gute Einstiegsmöglichkeit, um die Kinder an ein Streichinstrument
heranzuführen“, so Rudolf Wundling, Leiter der Musikschule
Nürnberg. Noch immer habe es Pioniercharakter, die gestrichenen
Instrumente Grundschülern nahe zu bringen. Das mag daran liegen,
dass die Durchführung einer Streicherklasse sehr aufwändig
ist. Die Schwierigkeiten beginnen bereits bei der Bereitstellung
der Leihinstrumente. Sie müssen aus hochwertigem Material sein,
was die Anschaffung kostenintensiv macht. Dazu kommen sogenannte
Pufferinstrumente für Kinder, die einen Wachstumsschub machen.
„Ein Kind, das aus den Ferien kommt und um einen Zentimeter
größer geworden ist, braucht sofort die nächste
entsprechende Geigengröße“, erklärt Rudolf
Wundling. Diese muss der Lehrer aus dem Schrank holen können.
Das bedeutet einen zusätzlichen finanziellen Aufwand, den aber
die Musikschule bereit ist, zu stemmen. „Wir wollen, dass
die Kinder von Anfang an solide ausgebildet werden“, betont
der Musikschulleiter, der selbst Cellist ist. Deshalb haben die
Lehrkräfte auch viel Vorarbeit geleistet und einen eigenen
methodisch-didaktischen Weg für die praktische Arbeit in der
Streicherklasse gefunden. Wichtig war dem Musikschulteam dabei,
dass das gesamte Projekt in enger Zusammenarbeit mit den Eltern
stattfindet. Sie zahlen für den Streicherklassenunterricht
ihres Kindes 28 Euro pro Monat. Darin enthalten sind auch die Gebühren
für die Leihinstrumente sowie deren Versicherung.
„Die Nachfrage nach der Streicherklasse ist so groß“,
so Rudolf Wundling, „dass wir im nächsten Schuljahr bereits
einen zweiten Zug starten werden“. Erst vor kurzem haben Grundschulleitung
und Musikschule die nötigen Rahmenbedingungen abgesteckt: Einbindung
in den Stundenplan und Klärung der Raumsituation. Neu wird
sein, dass für die zweite Streicherklasse der Regelmusikunterricht
an der Grundschule verwendet wird. Das Kultusministerium sieht hierfür
die Möglichkeit vor. „Natürlich müssen dabei
die Lehrplaninhalte umgesetzt werden, das können wir aber mit
der Musizierklasse gut bewältigen“, erklärt Wundling.
Das Kennenlernen bestimmter Lieder in der zweiten Klasse geschieht
beispielsweise über das gemeinsame Musizieren. Die Lieder werden
gesungen, dazu einstudiert wird eine gezupfte Begleitung auf den
Streichinstrumenten. „Die Betreuung einer Streicherklasse
ist kompliziert und fordert den Lehrkräften viel Anstrengung
und Geduld ab“, räumt Wundling ein. Dennoch: Der vielfältige
Nutzen ist aus Sicht des Musikschulleiters ungleich größer
als der enorme Einsatz personeller, organisatorischer und finanzieller
Mittel. „Wir können aus der Erfahrung mit Bläserklassen
sagen,“ so Wundling, „dass die Kinder, die ein Instrument
lernen und gemeinsam musizieren oft weiter sind als andere“.
Ein sozialer Aspekt steht gerade auch in der Streicherklasse im
Vordergrund, denn „wir wollen die Kinder so früh wie
möglich an das gemeinsame Musizieren gewöhnen“.
Für den engagierten Musikschulleiter gibt es noch einen weiteren
Grund, die Musizierklassen in der Grundschule zu etablieren. Die
bildungspolitischen Entwicklungen führen in Richtung der so
genannten offenen Ganztagsschule mit Nachmittagsangeboten. An vielen
bayerischen Schulen gibt es diese Form mit Mittagstisch und Nachmittagsbetreuung
bereits. „Jetzt müssen wir die Erfahrungen sammeln, damit
wir in der offenen Ganztagsschule nicht nur den Fuß in der
Tür haben, sondern mittendrin sitzen“, sagt Wundling.
Auch die Schulen stehen dem Angebot der Musikschule offen gegenüber.
Die Musizierklassen seien hervorragend geeignet, so Wundling, das
umfassende Erlebnis Musik so vielen Schülern wie möglich
zu vermitteln. Das beweisen auch die Bläserklassen an drei
weiteren Grundschulen. Für das kommende Schuljahr planen die
Nürnberger eine neue Bläserklasse am Gymnasium. Zuvor
aber wird die junge Streicherklasse beim Tag der offenen Tür
der Musikschule, die heuer auf 70 Jahre ihres Bestehens zurückblicken
kann, eine erste kleine Kostprobe ihrer Arbeit geben. An den Stücken
„Mississippi-Donau-Duett“ und „Mary had a little
lamb“ wird bereits kräftig geprobt.