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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 45
55. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Vokalisen unter der Autobahnbrücke
Tankred Dorsts Bayreuther Neuinszenierung des „Ring des
Nibelungen“ scheitert unproduktiv
Die mediale Vorbereitung war mustergültig: Nicht nur ein
Buch zu Tankred Dorsts Ring-Inszenierung hatte der Süddeutsche
Verlag herausgebracht, auch ein Hörbuch wurde gleich mitproduziert
(„Die Fußspur der Götter“, 232 Seiten bzw.
2 CDs). Was man als belehrende Verkürzung der Fahrt nach Bayreuth
dankbar annimmt, entpuppt sich freilich bald als Vorahnung auf ein
drohendes Fiasko. Die von Dorst selbst nicht eben enthusiastisch
verlesenen Gedankensplitter kommen über die Beschreibung einzelner
Szenenfragmente, wie sie sich rein äußerlich auf der
Bühne abspielen könnten, kaum hinaus. Neben dem Mangel
an interpretatorischen Ansätzen (von einem vagen „Die
Götter sind unter uns“ abgesehen) erweist sich das Fehlen
einer Reflexion über Personenbeziehungen als gravierendste
Hypothek von Dorsts Vorarbeiten, während man die Seltsamkeit,
dass von den darin dürftig enthaltenen Bildfindungen so wenig
in die endgültige Inszenierung einfließt, nur mehr schulterzuckend
zur Kenntnis nimmt.
Regiedämmerung
im Hotel Gibichungen (Bühnenbild: Frank Philipp Schlößmann).
Foto: Bayreuther Festspiele/J. Quast
So wie vereinzelt Menschen aus der Gegenwart über die Bühne
schlurfen, ohne dem Treiben der Götter Beachtung zu schenken,
so beliebig die Versetzung sichtlich mythischer Gestalten in eine
moderne Szenerie verläuft, so wenig scheint in Dorsts Augen
Wagners kolossales Musiktheater mit uns heute zu tun zu haben. Wo
Christoph Schlingensief im Parsifal bei allem Dilettantismus wenigstens
ein gewisses Mitteilungsbedürfnis an den Tag legte, zieht Dorst
sich hinter die teilweise immerhin reizvollen Bühnenbilder
Frank Philipp Schlössmanns zurück und überlässt
die Sänger als Darsteller sich selbst.
Ob Wotan (stimmlich unkultiviert und nachlässig in der Textbehandlung:
Falk Struckmann) sich nun in der Fabrik, die nichts vom Unterdrücker
Alberich ahnen lässt, Rheingold samt Ring und Tarnhelm schnappt,
ob er Brünnhilde auf einer Europalette einschläfert oder
unter der Autobahnbrücke Alberich zur Verhandlung mit Fafner
animiert: Immer sind es dieselben abgegriffenen Gesten, das ewige
sich Aufstützen, das Stampfen mit dem Speer, das als Personenführung
herhalten muss. Nur das aufgelassene Klassenzimmer im ersten Siegfried-Akt
bietet in der Frageszene reizvollere Konstellationen, wie überhaupt
dieser Akt dank Gerhard Siegels agilem Mime der einzige einigermaßen
kurzweilige ist.
In der Götterdämmerung täuscht das umfangreichere
Personal im dekadenten Hotel Gibichungen dann größere
Aktivität vor, als sich tatsächlich abspielt, ein Regiefehler
(Gunther selbst und nicht der in Gunther verwandelte Siegfried teilt
mit Brünnhilde das Nachtlager) führt die Meineid-Szene
ad absurdum und man ist erleichtert, wenn endlich alles in Flammen
aufgeht.
Dorsts Ring-Illustration – von einer Interpretation kann
kaum gesprochen werden – offenbart eine Ratlosigkeit, wie
sie sich in Bayreuth seit einigen Jahren breit macht. Wolfgang Wagner
ist zwar bemüht, mit vermeintlichen Provokateuren und Quereinsteigern
(Dorst war bekanntlich nur der wenig nahe liegende Notnagel nach
der Absage Lars von Triers) eine gewisse Fortschrittlichkeit im
Umgang mit dem ererbten Repertoire zu demonstrieren, der Grad des
Gelingens oder wenigstens des produktiven Scheiterns ist aber dürftig.
Auch um den Gesang ist es in Bay-reuth nicht eben glänzend
bestellt. Gerade einmal drei Künstler sind in der Lage, ihre
Rollen mit den Mitteln der Stimme wirklich auszufüllen. Bei
Mihoko Fujimuras klangschöner, immer wieder auch lyrisch zurückhaltender
Erda beziehungsweise Waltraute und der subtil abschattierten Bassgewalt
Hans-Peter Königs (Hagen) versteht man gar den Text, mit Abstrichen
gelingt dies auch der wunderbar aufblühenden Adrienne Pieczonka
als Sieglinde. Dass ausgerechnet ihr ein eher indiskutabler denn
indisponierter Endrik Wottrich als Siegmund zur Seite stand, um
dann (in der besuchten dritten Aufführung) erst im zweiten
Akt durch den offensichtlich gut vorbereiteten Robert Dean Smith
ersetzt zu werden, wirft ein fragwürdiges Licht auf die Besetzungspolitik.
Beachtlich (neben den Rheintöchtern und Walküren) immerhin
noch Arnold Bezuyens überraschend belkantesker Loge, Andrew
Shores etwas verkrampfter, aber intensiver Alberich, der mächtige
Kwangchul Youn (Fasolt, Hunding), die für Gabriele Fontana
eingesprungene Edith Haller als Gutrune und Stephen Gould bei seinem
Rollendebüt als Siegfried. Sie alle aber – und dies ist
ein für Wagners Musiktheater fataler Befund – sind nicht
in der Lage, das Drama vom Text her stimmlich auszugestalten. Über
weite Strecken sind also Vokalisen zu vernehmen, die sich mehr oder
weniger wohlklingend über das Orchester erheben. Das Angebot
Christian Thielemanns, der die Akustik im Festspielhaus bestens
auf die Sänger abzustimmen weiß, wird ein ums andere
mal ausgeschlagen. Somit ist es nur ein Teilerfolg, den der heftig
umjubelte Bayreuth-Held mit dem ausgezeichneten Festspielorchester
einfährt, zumal ihm gerade in Rheingold und Walküre über
die differenzierte Klangmischung hinaus keine wirklich zwingende
Interpretation gelingt. Vieles macht den Eindruck feinsinniger,
in epischer Breite sich verströmender Kommentierung, ohne dass
der dramatische Fluss wirklich vom Graben aus gestaltet würde.
Erst ab dem ersten Siegfried-Akt belebt sich die Szenerie auch im
Instrumentalen, in der Götterdämmerung treten die wie
immer glänzend präparierten Chöre unterstützend
hinzu. Auch das ist am Ende aber nicht mehr als Schadensbegrenzung.