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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 43-44
55. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Maskuliner Wahn, Feminine Ohnmacht
In Düsseldorf wurde Manfred Trojahns Opernfragment „Merlin-Prolog“
uraufgeführt
Im Anfang ein Hammerschlag. Ein Hieb, der die Geister weckt, nicht
nur die im Publikum. Beeindruckend, was sich da auf wie hinter dem
Podium der Düsseldorfer Tonhalle versammelt hat: Ein Dämonenkind
namens „Merlin“ (Heikki Kilpeläinen), dessen Vater,
der Leibhaftige selbst (Sami Luttinen), und als Dritter im Dämonen-Bund
ein destruktiver Unterweltsgeist, ein regelrechter Agitator der
Volksseele (Manfred Fink).
Schlussapplaus:
Orchester mit Komponist. Foto: Tonhalle Düsseldorf
Im Rückraum der schier aus den Nähten platzende Orchesterapparat,
die Düsseldorfer Symphoniker. Darüber schließlich,
erhöht auf der Orgelbank, fünf Soprane, die fünf
Engeln die Stimme leihen. Zu deren Füßen mit dem Düsseldorfer
Musikverein ein Mammutchor – allerdings kein gemischter, wie
es die Partitur vermerkt, sondern (was nicht die einzige Wagner-Assoziation
ist) einer, der strikte Geschlechtertrennung wahrt. Frauen links,
Männer rechts. Kurz: Eine archaische Szenerie, wie sie das
Konzerthaus gewöhnlich nicht kennt, sondern deren Heimat die
Opernbühne ist, wofür dieses gewaltige Aufgebot denn auch
ursprünglich konzipiert war. Beauftragt von der Berliner Lindenoper
gedachte Trojahn zu Anfang der 90er-Jahre, Tankred Dorsts Merlin
zu vertonen, „das erste große Theaterstück der
80er-Jahre“ – wie die Kritik seinerzeit jubelte. Dorst
selbst sollte Trojahns Librettist sein, die Premiere 1997. Es ist
nicht dazu gekommen. Der ehrgeizige Plan zerschellte an seinen quasi-wagnerischen
Dimensionen. Benötigt Dorsts monumentales Bühnenszenarium
zwei Theaterabende zu je sechs Stunden, wollte Trojahn immerhin
auf vier Stunden abspecken. „Doch je länger wir um die
Libretto-Fassung rangen“, so der Komponist rückblickend,
„desto klarer wurde, dass die Geschichte innerhalb von vier
Stunden eben nicht erzählbar ist.“ Dass es nun doch mit
25 Minuten zu einem vergleichsweise vorüberhuschenden Merlin-Prolog
gekommen ist – wie schon die Dorst-Uraufführung, ebenfalls
in Düsseldorf lokalisiert – dies, so Tro-jahn, sei Frucht
„einer Art Panikattacke“. „Die Zeit lief weg und
ich wollte vor allem einmal anfangen.“ So hat er sich hingesetzt,
selber den Prolog eingerichtet und den Hammer geschwungen, auf dass
die Funken flogen.
Tatsächlich ist Trojahns Merlin-Prolog mit der Faust komponiert,
berechnet auf einen Ring-verdächtigen Opernabend, in dem nach
dem Vorbild der mittelalterlichen Artusepik der Zauberer Merlin,
Kind des mephistophelischen Oberdämons und der Jungfrau Hanne,
König Artus die Anregung zur Gründung einer Tafelrunde
gibt. Merlin soll, so will es der Leibhaftige, den Menschen „den
Schrecken vor dem Bösen nehmen“. Zunächst widersetzt
sich Merlin (es ist das Thema des Prologs), um sich am Ende doch
desillusioniert in einen Showdown zu schicken, den Dorst nicht grundlos
von T.S. Eliots Epos The Waste Land adaptiert: Merlin oder das wüste
Land. „Im Nebel“ lässt der Dichter schlussendlich
einen „riesigen Haufen aus Eisen und Blut“ auftauchen.
„Alle Ritter sind tot“ und damit auch die Utopie der
Tafelrunde, die Utopie einer Welt der perfekten Ordnung - eine männliche
Obsession.
Auch wenn Trojahns Merlin-Prolog nur der Splitter dieses titanischen
Opernplans ist – den Geburtsfehler von Dorsts opus magnum,
ein maskulin-hyperthropher Allmachtswahn, in dem die feminie Seite
dazu verdammt ist, hilflos zusehen oder gar dem ganzen Schwachsinn
assistieren zu müssen, transportiert auch er mit. Zunächst
in der Weise, dass in Rücksicht aufs Prinzip Oper konzertant
die Figur der schwangeren Hanne, Merlins Mutter, kurzerhand herausgestrichen
wird. Gewiss: Der theaterkundige, theatererfahrene Komponist weiß,
dass eine Gebärende ohne Bühne und Szene im Konzertsaal
deplaziert ist – andererseits war damit eben auch die letzte
Erinnerung daran abhanden gekommen, dass Mann nun einmal nicht allein
ist auf der Welt. So aber konnte die von allen guten Geistern verlassene
Tafelrunden-Phantasie ihr Destruktionspotenzial entfalten –
mit Hammer, großer Trommel und Peitsche, mit Blitzen, die
durch die Instrumentengruppen huschen und dröhnend im Blech
explodieren. Ein Orchester in Flammen.
Angesichts solch gewaltiger Untergangs- und Chaosrufe hatte auch
John Fiore, Generalmusikdirektor der Düsseldorfer Symphoniker,
die wunderbaren fünf Engel-Stimmen oben am Orgel-Spieltisch
ganz vergessen. Dass die Fünf (Anke Krabbe, Iwona Lesniowska,
Véronique Parize, Katarzyna Kunico, Iryna Vakula) überhaupt
in die Partitur hineingeraten sind, ist nun freilich Trojahns Muse,
ist seinem wachen Unterbewusstsein zu danken, auch wenn er den Favoritchor
dann doch lediglich als „Echo im Hintergrund“ konzipiert.
Echo von was? Es ist das Cis des Unterweltgeistes, das die fünf
übernehmen, es aufspalten in ein einfaches, dann in ein doppelt
oktaviertes H. Ein leises, im dreifachen Pianissimo gehaltenes Singen
hebt an, das ein Eigenleben führt, dem irren Machtpoker dort
unten allerdings nicht in die Speichen fallen kann. Feminine Ohnmacht.
Eine verständige Regie hätte, auch mittels entschiedener
Klangbalance, das Verdrängte bewusst zu machen, um den inständigen
femininen Ton nicht sang- und klanglos im Höllenzauber untergehen
zu lassen. Bei der Düsseldorfer Uraufführung wurde sie
schmerzlich vermisst.