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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 46
55. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Von den Kraftplätzen des modernen Jazz
Ein Bericht über zwei Klassiker: die Jazzfestivals Saalfelden/A
und Willisau/CH
„Well, I never been to Spain, but I kinda like the music,
say the ladies are insane there... Well I never been to England,
but I kinda like the Beatles, well I headed for...“
Sagen sie jetzt nicht: Montreux, Den Haag, München oder Stutt-gart,
Ulrichsberg, Poschiavo, Nickelsdorf oder Wels – etliches war
schon, manches kommt noch und was bleibt, ist der Zauber, das Ritual.
Sind wir nicht alle irgendwie Gefangene unserer Gewohnheiten?
Da buchen brave Computermäuse, IT Freaks und andere Jazzisten
jedweder Couleur ihren Jahresurlaub, um gegebenenfalls, wie eben
jedes Jahr in Saalfelden und/oder in Willisau, abenteuerlich zu
campen und an nächtlichen Feuern darüber zu fachsimpeln,
ob das World Saxophone Quartet nun abekochter Mist ist oder nicht.
Weil, so argumentieren sie, David Murray mit viel Brimborium darüber
hinwegzutäuschen versucht, keine gescheite Intonation zuwege
zu bringen. Weshalb also nach Saalfelden pilgern oder nach Willisau?
Weshalb sind die beiden Orte verwandter, als ihnen lieb ist?
Bereichert
die improvisierte Musik um neue Fassetten: der Schweizer
Pianist Nik Bärtsch. Foto: Ssirus W. Pakzad.
Beginnen wir mit den Anfängen, so wie sich’s gehört:
Grafiker Niklaus Troxler veranstaltete im Juli 1966 das erste Jazzkonzert
in Willisau, die Pinzgauer in Saalfelden mussten noch zehn Jahre
auf ihre ersten Jazzhappenings warten.
Man darf nicht vergessen, dass im politisch und sozial unruhigen
Klima der mittsechziger Jahre der Jazz landläufig als „entartete
Kunst“ galt und es nachhaltig dem didaktischen Prophetismus
etwa eines Joe Viera geschuldet sein dürfte, dass sich Twens
nicht nur für Jimi Hendrix, sondern auch für Sonny Sharrock
interessierten, nicht nur für Max Greger, sondern auch für
John Tchicai oder Archie Shepp.
Wenn also Exponenten einer musikalischen Verheißung (zu
denen Tchicai und Shepp zweifelsfrei gehören) irgendwo in Europa
live zu erleben sind, ist die Pilgerfahrt zum Konzert nachgerade
Pflicht. In diesem emotionalen Kontext sind die Festivals in Saalfelden
und Willisau entstanden. Selbstredend gehört mehr dazu, als
ausschließlich die Musik, wie die Aficionados glaubhaft bis
heute versichern – etwa das Campleben, die wie auch immer
definierte und individuell erlebte Gemeinschaft, die Natur drumherum.
Saalfelden etwa, am Steinernen Meer gelegen, verheißt auf
der anderen Seite (on the other side of the street, wie die grande
dame des Blues, Alberta Hunter einmal sang) den Königssee,
den Watzmann , Sankt Batholomä: so mancher Jazzpilger ist schon
via Riemannhaus die Passage übers Meer gegangen.
Ob‘s aus Kübeln schüttet oder ultraviolett knallt
– egal – gute Musik ist gute Musik und basta, ob im
Zelt oder aufm Rathausplatz oder im Wirtshaus Schatzbichl. Das war
anders heuer in Saalfelden: Man ist nicht mehr im Zelt – Tourismuschef
Christian Kresse spricht gar von der „Zeltstadt“ –
sondern mittendrin in der Stadt. Das hat Vor- und Nachteile.
Wie soll das „Saalfelden Congress Centrum“ nun bespielt
werden? – ein kühler, beinahe jazzophober Ort –
und womit?
Der große Saal fasst gut 1.500 Zuschauer, die, als Abdullah
Ibrahim das Primetime Konzert, Samstagabend, alleine bestreitet,
andächtig mucksmäuschenstill sind und dem Kreateur des
African Marketplace (Titel der gleichnamigen Platte aus dem Jahr
1980) freilich letztlich etwas enttäuscht einem potpourristischen
Abfeiern seiner Hits lauschen. Aber das ist nicht weiter tragisch,
Abdullah Ibrahim bleibt ein Held, wie James „Blood“
Ulmer auch, dem einstigen Hohepriester des harmolodischen funkigen
Jatz. In Willisau eröffnete „Blood“ Ulmer das 32.
Jazzfestival ebenfalls solo mit einer quasi bordünernen Blueskantate
(programmgemäß im Geiste des Jimi Hendrix): seine gut
zwölf Songs trug er mit dem stark an die Diktion des Sprechgesangs
eines John Lee Hooker erinnernden Tonfall vor, durchwegs in einer
Tonart.
Eingebettet in das allgegenwärtige Glockengeläut der
diversen Willisauer Kirchen (samt Glockenspiel am Untertor), Willisau
ist, so könnte dem Besucher hierbei auffallen, eine glaubensstarke,
hochspirituell aufgeladene Gemeinde in der Zentralschweiz), bot
so gleich das Eröffnungskonzert ein unglaublich berückendes
Erlebnis, das in seiner Kontextur mehr mit Jazz zu tun hat, als
anschließend das phonmächtige Aufblasen von Hendrix Melodien
mit fünf Bläsern (zurecht entstanden nach diesem Konzertblock
Debatten über das World Saxophone Quartett, siehe oben).
Und sonst? Hatten die Veranstalter noch vor Kurzem auf Saturday
Night Fever gesetzt (was soviel bedeuten soll, wie Samstag nachts
spielt das Lauteste, Tanzbodenaffinste, Laptopbewehrteste, aber
noch nicht Bewährteste), so kamen beide Festivalprogramme nun
wieder wie früher mit Anspruch.
Nik Bärtsch etwa mit seiner aktuellen Gruppe RONIN (was soviel
bedeutet, wie verstoßener, eigensinniger Samurai, der doch
nach dem Ethos der Gruppe lebt, ohne aber in ihr aufgehoben zu sein,
also der Prototypus des Jazzmusikers) bot in Saalfelden und Willisau
eine immer aufregende Transtanzmusik, die entfernt an die Patternkompositionen
von Steve Reich erinnerte, während Steven Bernsteins SEXMOB
eine stets risikobereite Mélange aus Filmmusikmelodien postmodernistisch
verwurstete, diese dekonsruierte und mit Witz angereichert wieder
ausspuckte.
Akustische Blicke durchs Schlüsselloch bietet seit je Niklaus
Troxler am Samstag Nachmittag: Hier spannten Jack de Johnette, John
Surman, Sylvie Courvoisier und Joey Baron unfreiwillig einen unglaublichen
Bogen von beinah verbissen ernster Spiel(?)haltung und ungezwungenem
Saturdayafternoon-Palaver. Steve Coleman & the five Elements
oder gar eine, sagen wir mal Diana Krall präsentieren ihre,
längst auf Tonträgern verfügbare Musik im „Saalfelden
Congress Center“, während die Trouvaillen auf den Almen
angesiedelt sind oder in griabigen Beiseln und Wirtsstuben –
oder in der alten Stadtmühle Willisau: auch so einer der Orte,
die zu entdecken sehr sehr lohnenswert ist.
Mit etwas Glück und Verstand am richtigen Platz dürften
bis auf Weiteres Saalfelden und Willisau die Kraftplätze des
Jazz bleiben.