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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 45
55. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Die Mechanik der Beziehungskiste in Töne gesetzt
George Benjamin und Hanspeter Kyburz beim Lucerne Festival
Kann man einen Bericht über ein Konzert und eine Uraufführung
mit der Erwähnung des Sponsors beginnen? In diesem Fall muss
man es: Der Name Roche ist untrennbar mit der Musik der Gegenwart
verbunden, seit der Basler Dirigent Paul Sacher durch die Heirat
mit Maja Hoffmann-Stehlin, der Witwe von Emanuel Hoffman, sechs
Jahrzehnte dem Verwaltungsrat von Roche angehörte.
Zwei
Komponisten, ein Auftraggeber: George Benjamin (li) und
Hanspeter Kyburz schreiben für Roche Commissions. Beide
Fotos: F. Hoffmann-La Roche Ltd.
Es ist nur dem Einfluss Paul Sachers zu verdanken, dass zum vielfältigen
kulturellen Engagement des multinational operierenden Pharmakonzerns
seit langem auch die Neue Musik zählt. Seit drei Jahren erteilt
Roche Commissions nun regelmäßig einen Kompositionsauftrag
an einen herausragenden Komponisten der zeitgenössischen Musik.
Die Uraufführung findet dann jeweils im Rahmen von Lucerne
Festival Sommer statt und wird im Jahr darauf als New Yorker Premiere
an der Carnegie Hall vorgestellt. Bisher von Roche Commissions beauftragte
Komponisten waren Sir Harrison Birtwistle („Night’s
Black Bird“, Uraufführung 2004) und Chen Yi („Si
Ji“, Uraufführung 2005). Der Kompositionsauftrag für
2006 war an Hanspeter Kyburz gegangen, der auserwählte Komponist
für 2008 ist George Benjamin.
„touche“ für Sopran , Tenor und Orchester nannte
Kyburz das aus diesem Anlass entstandene und diesen Sommer uraufgeführte
Werk. Seit 15 Jahren sei es für ihn eine offene Frage gewesen,
eine Melodie zu schreiben, sagte er in einem Gespräch mit dem
Musikpublizisten Ulrich Mosch. In Anlehnung an das Libretto von
Sabine Marienberg, stellte er nun sich und seine algorhythmische
Kompositionsweise dieser Herausforderung. Marienbergs Text ist eine
Beziehungsgeschichte in dialogischer Form, die verschiedene Phasen
von Wunsch, Annäherung, Missverständnis und Konflikt durchläuft.
Phrasen wie aus dem Leben gegriffen, banal klingend und doch hochartifiziell,
da Marienberg ihr Libretto bereits in Anlehnung an die Kyburzschen
Algorhythmen konzipiert hatte.
Die Sopranistin Laura Aikin und der Tenor John Mark Ainsly gaben
ein modernes Liebespaar im schlagfertigen, arienhaften Dialog. Dadurch,
dass sie praktisch in gleicher Stimmlage nur im Oktavabstand sangen,
war Kyburz in der Lage gewesen, den durchs Libretto in Teilen vorgegebenen
Rollentausch auch motivisch nachzuvollziehen. Die Mechanik des Algorhythmus
benutzte Kyburz als Metapher für Beziehungs-stereotypien, denen
die Akteure ausgeliefert sind. Die in Töne gesetzte Mechanik
der Beziehungskiste in der für Kyburz typischen Klangschönheit
wurde vom Cleveland Orchestra in bekannter Präzision und Makellosigkeit
wiedergegeben. Hier trafen sich in Komponist, Orchester und nicht
zu vergessen in dessen Dirigenten Franz Welser-Möst drei Perfektionisten,
die nichts dem Zufall überließen.
Am Morgen des gleichen Tages, an dem das neue Werk von Hanspeter
Kyburz, kombiniert mit Bruckners Symphonie, Nr. 5 B-Dur WAB 105,
seine Uraufführung erlebte, hatte Roche Commissions
bereits den nächsten Komponisten beauftragt: George Benjamin
wird für 2008 ein Werk für Klavier und Orchester schreiben.
Als Interpreten wünschte sich Benjamin einen seiner ältesten
Musikerfreunde, den Pianisten Pierre-Laurent Aimard, mit dem er
gemeinsam bei Olivier Messiaen studiert hatte. Die Anwesenheit Aimards
bei der Feierstunde in Buonas war Garant dafür, dass neben
den Lobreden von Roche CEO Franz B. Humer, Festivalintendant Michael
Haefliger und der Dankesrede des Geehrten auch Musik erklang. Mit
einem ganz un-impressionistisch interpretierten „Children‘s
Corner“ von Debussy und den zauberhaften Kinderstücken
„Piano Figures“ von Benjamin zog er die anwesenden Wissenschaftler
in Bann. Deren Anwesenheit ist kein Zufall: Jeder der von Roche
Commissions beauftragten Künstler darf nicht nur ein zwanzigminütiges
Werk abliefern, er ist auch zum Dialog und Gespräch mit den
Wissenschaftlern des Konzerns aufgefordert. Denn Roche will sein
Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit nicht einfach nur mit
Kunst und Kultur schmücken, sondern bleibt auch beim Sponsoring
seiner zentralen Geschäftsidee treu, der Innovation. Neuland
zu betreten sei die Basis des kommerziellen Erfolgs, so die Firmenphilosophie,
und das ist auch die einzige Auflage, die der Auftraggeber vom Künstler
verlangt. Eine akzeptable Forderung und immer noch Vorbild für
die Sponsoringaktivitäten anderer Unternehmen.