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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 46
55. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Solides Niveau in unkonventioneller Façon
16. Internationales Lübecker Kammermusikfest
Um die Mozartmania führt 2006 kein Weg herum. Sogar das 16.
Kammermusikfest Lübeck, das sich eigentlich der Epoche von
1870 bis 1918 widmet, konnte dem Sog der Gratulationen zum 250.
Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart nicht widerstehen. Allerdings,
wie bei diesem Festival immer zu erwarten, mit eigensinnigen Pointierungen,
nämlich der Ouvertüre zur Oper „Die Zauberflöte“,
die Alexander von Zemlinsky für Klavier zu vier Händen
arrangiert hat. Ein entzückendes Bonmot für das Duo Sontraud
Speidel und Evelinde Trenkner, zumal es zum romantischen Augenzwinkern
von Edvard Griegs frei hinzukomponiertem zweiten Klavier bei der
„Sonate G-Dur“ von Mozart passte.
Solides Niveau in unkonventioneller Façon bietet dieses
unerschöpfliche Programmfestival. Wozu auch die Moderationen
von Hermann Boie gehören, der in diesem Jahr (entgegen den
Trends bei anderen Festivals) zufrieden feststellte, dass das Durchschnittsalter
des Publikums und der Beteiligten erheblich gesenkt werden konnte,
weil erstens eine Schulklasse aus Berlin eingeladen war und zweitens
auch die Künstler nicht alle aus der Seniorengeneration kamen.
So das Pianopaar Lucille Chung und Alesio Bax aus Dallas (USA),
die mit Bravur die vertrackten Rhythmen des kompletten Petruschka-Balletts
meisterten; Igor Strawinsky hatte es selbst 1911 für Klavier
zu vier Händen bearbeitet. Auch die Violinistin Azadeh Maghsoodi,
gerade 16 Jahre alt, war erstaunlich souverän bei den virtuosen
„Zigeunerweisen“ von Pablo de Sarasate und „La
Campanella“ von Niccolo Paganini, Werke, bei denen sie Jacques
Ammon am Klavier perfekt begleitete.
Von der Klassik-Prominenz war Natalia Gutman da. Die Cellistin
hatte mit Sviatoslav Moriz (Violine), Dimitri Vinnik (Klavier) und
Olga Dyachkovskaja die „Sieben Romanzen nach Worten von Alexander
Blok“ vorbereitet und makellos gespielt. Ein Werk, bei dem
Dmitrij Schostakowitsch das Klaviertrio neu definierte, indem er
den Gesangspart mit wechselnden Besetzungen umrahmte. Das Leipziger
Streichquartett, seit fast 20 Jahren auf Erfolgskurs in allen Disziplinen
des Repertoires hatte das selten aufgeführte „Streichquartett
c-Moll“ von Anton Bruckner mitgebracht, ein klangschönes
Jugendwerk ohne Komplikationen. Doch Leoš Janáceks tragisches
„Streichquartett Nr. 1 – aus Anlass der Kreutzersonate
von Leo Tolstoi“ interpretierten die vier Männer aus
der Gewandhaustradition mit solch maximaler Empfindsamkeit, dass
es wie eine Katharsis seelischer Erschütterung wirkte.
Erschüttert wurde das Publikum dann nochmals, aber durch Lachsalven,
als Studierende der Musikhochschule, geleitet von Gerd Müller-Lorenz,
das „Konzert für Violoncello und Blasorchester“
von Friedrich Gulda präsentierten. Kein Klamauk, sondern eine
gepfefferte Satire, die der Solist Troels Svane für extravagante
Kadenzeskapaden nutzte.
Diese Kombination von jugendlichem Schwung und gereifter Nachdenklichkeit,
exzellentem Standardrepertoire und erlesenen Raritäten gibt
den drei Tagen am Himmelfahrtwochenende in Lübeck ein unvergleichliches
Flair. Hier bewährt sich beharrlicher Optimismus im ausverkauften
Saal.