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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 18
55. Jahrgang | Oktober
Forum Musikpädagogik
Die Kraft des Elementaren
Zum Tod von Juliane Ribke
Am 11. August 2006 ist Juliane Ribke nach langer und schwerer
Krankheit im Alter von 55 Jahren verstorben. Die Elementare Musikpädagogik
hat damit eine ihrer renommiertesten Protagonistinnen verloren.
In den Tagen nach ihrem Tod konnte man in der Fachwelt neben Trauer
und Bestürzung auch den Satz hören: Sie hätte noch
so vieles bewirken können. Tatsächlich hat Juliane Ribke
in den Jahren ihres Wirkens einen maßgeblichen Einfluss auf
die Entwicklung des Faches ausgeübt.
Sie studierte zunächst Musikwissenschaft an der Universität
Hamburg und promovierte mit einer Arbeit über Intelligenz und
Musikalität. Nach einer Ausbildung in Musikalischer Grundausbildung
und Lehraufträgen an der Universität und dem Konservatorium
Hamburg erhielt sie 1984 einen Ruf auf eine Professur für Musikpädagogik
und Musikalische Früherziehung an der Hochschule für Künste
Bremen. Sechs Jahre später wechselte sie an die Hochschule
für Musik und Theater Hamburg, wo sie im Studiengang für
Diplommusiklehrer die Fächer Musikpädagogik, Entwicklungspsychologie
und Pädagogische Psychologie unterrichtete und bis zu ihrem
Tode den Studienschwerpunkt Allgemeine Musikerziehung leitete.
Als Juliane Ribke sich der Elementaren Musikpädagogik zuwandte,
trug das Fach Namen wie „Musikalische Grundausbildung“
und/oder „Musikalische Früherziehung“. Bezeichnet
Ersteres den so genannten „Grundstufenunterricht“ mit
Primarschülerinnen und -schülern an den Musikschulen,
so ist unter dem Zweiten das Pendant mit Vorschulkindern zu verstehen.
Schon in der Benennung des Faches wird hier seine damalige weitgehende
Beschränkung auf das Vorschul- und Grundschulalter deutlich.
Als Juliane Ribke ihre Professur in Hamburg antrat, sollte ihr
Studienschwerpunkt noch lange „Allgemeine Musikerziehung“
heißen – wie es heute noch in Nordrhein-Westfalen gilt.
Juliane Ribke hat sich gegen die Bedenken eines ideologisch vorbelasteten
Elementarbegriffes für die einheitliche Fachbezeichnung „Elementare
Musikpädagogik“ eingesetzt. Unter diesem Namen wird heute
die Arbeit mit Babys und ihren Eltern ebenso gefasst wie die mit
Kindern und Jugendlichen sowie mit Erwachsenen bis hin zu Seniorinnen
und Senioren. Das Fach als solches zeichnet sich altersübergreifend
durch seine Materie aus, wie dies analog für jedes Instrumentalfach
gilt.
War der Grundstufenunterricht an Musikschulen zunächst relativ
eng an die Vorbereitung auf das Instrumentalspiel gebunden –
die Musikalische Früherziehung entstand ja nicht zuletzt als
Reaktion auf vorbereitende Kurse der Firma Yamaha und wurde in ihren
Anfängen von der deutschen Klavierindustrie unterstützt
– und orientierte er sich an der Struktur eines systematischen
Lernens der Allgemeinen Musiklehre und des begleitenden Spiels auf
Tastenspiel oder Glockenspiel, so fasste Juliane Ribke die vorbereitenden
Effekte der Elementaren Musikpädagogik breiter: In ihrem Bahn
brechenden Werk „Elementare Musikpädagogik“ (1995)
nannte sie auf der kognitiven Ebene den Umgang mit musikalischen
Strukturen, Formen und Mustern, stellte dieser Ebene jedoch die
Aspekte der Motivation, der Sensibilisierung sowie der motorischen
und der sozialen Erfahrungen an die Seite. Statt einem oder wenigen
Inhaltsbereichen eine dominierende Stellung einzuräumen, integriert
Juliane Ribke in dem genannten Buch die Sachbereiche des Singens,
Sprechens, der Zeitstrukturierung, des Elementaren Instrumentalspiels,
der Visualisierung von Musik, der Höraufmerksamkeit, der sensorischen
Sensibilisierung und der Bewegung zum Kern der Elementaren Musikpädagogik,
aus dem schließlich Spezialisierungen wie Instrumentalspiel,
aber auch Komposition, Gesang, Tanz, Schauspiel oder Rezeption hervorgehen
können. Zum „Klassiker“ der Elementaren Musikpädagogik
wurde das Buch sicher auch durch den im Untertitel ausgedrückten
Anspruch: „Persönlichkeitsbildung als musikerzieherisches
Konzept“.
Tatsächlich schlägt Juliane Ribke explizite Brücken
zur Psychologie und leistet damit einen entscheidenden Beitrag zur
wissenschaftlichen Fundierung der Elementaren Musikpädagogik.
Mittels Musik und Bewegung versucht sie, Verbindungen zu frühesten
Lebenserfahrungen herzustellen und Tiefenschichten zu erreichen,
um zu einer Integration verborgener Persönlichkeitsanteile
zu gelangen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Sensibilisierung
zu, der die Autorin viele Seiten mit konkreten Spielvorschlägen
widmet.
Juliane Ribke hat die Weiterentwicklung ihres Faches nicht nur für
sich allein, sondern auch in der Zusammenarbeit mit Fachkolleginnen
und -kollegen betrieben. Von der Gründung des „Arbeitskreises
Elementare Musikpädagogik an Ausbildungsinstituten in Deutschland“
(AEMP) im Jahre 1994 an fungierte sie über die Dauer von zehn
Jahren als dessen Sprecherin. In diese Zeit fallen viele substantielle
Ergebnisse des Kreises: Zu nennen sind die weitgehende Etablierung
der Fachbezeichnung „Elementare Musikpädagogik“,
Stellungnahmen zu Angelegenheiten des Faches, die zwei vom Arbeitskreis
veranstalteten Symposien von 1997 und 2003 sowie die beiden Sammelbände
„Facetten Elementarer Musikpädagogik“ und „Gestaltungsprozesse
erfahren – lernen – lehren“, die sie mit herausgab.
Juliane Ribke hat den AEMP wesentlich geprägt. Dies gilt sicher
für die inhaltlich dichte und konstruktive Arbeit, aber ebenso
auch für die gleichermaßen inspirierende wie freundschaftliche
Atmosphäre in diesem Gremium.
Darüber hinaus war Juliane Ribke eine gefragte Autorin, Fortbildnerin
und Referentin. Als sich im Jahre 2004 das „European Network
for Music Educators and Researchers of Young Children“ (EuNet
MERYC) gründete, hielt sie das Hauptreferat und stellte den
Forschungsbedarf des Faches dar, der ihr besonderes Anliegen war
und dem sie gerne noch weitere Jahre ihres Lebens gewidmet hätte.
Juliane Ribke hinterlässt eine schmerzhafte Lücke. In
hohem Maße schuldet die Musikpädagogik ihr Dank und Respekt.
Ihre Person und ihre Leistung werden unvergessen bleiben.