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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 1
55. Jahrgang | Oktober
Leitartikel
Guter Musik-Rat muss richtig teuer sein
Über den kostspieligen Hang von Politikern zur „Profi“-Expertise
· Von Christian Höppner
In der guten alten Zeit, als es noch Könige gab, da gab es
auch Hofnarren. Der Hofnarr hatte eine Sonderstellung, weil er sich
qua „Amt“ vieles an kritischer Schelmerei erlauben konnte,
was der Hofstaat und vor allem seine Berater sich nicht erlauben
konnten, wenn sie nicht ihre Position oder gar ihr Leben verlieren
wollten. Auch heute gibt es noch Hofnarren, obwohl sie sich im Allgemeinen
besser tarnen und sie die Funktion, Hinweis und Ratschlag zu geben,
verloren haben. Dafür gibt es andere Formen des Ratschlags
für die Regierenden, wie Beiräte, Expertenkommissionen,
Beratungsfirmen und vieles mehr.
Zwei Dinge haben alle diese Beratungsformen gemein: entweder man
trifft sich immer wieder, weil der Kreis der Berater verhältnismäßig
klein ist, oder es wird richtig teuer (siehe Beratungsfirmen). So
wertvoll Expertenrat auch ist, er kann immer nur einen kleinen Ausschnitt
aus der Fülle gesellschaftlicher Meinungs- und Kompetenzvielfalt
widerspiegeln. Die ach so (un-)abhängigen Beratungsfirmen,
die seit Jahren wie Pilze nach einem warmen Herbstregen aus dem
Boden sprießen, verdienen sich eine goldene Nase nach der
anderen und dienen den Regierenden mit ihren Expertisen als Begründungsgrundlage
für radikale Schnitte (zu oft mit einem herben Verlust an kultureller
Infrastruktur verbunden) oder landen – ebenfalls zu oft –
(im Verhältnis zum verschleuderten Steuergeld) in der Anonymität
der Rundablage.
Die demokratisch legitimierten Einrichtungen der Zivilgesellschaft,
wie zum Beispiel der Deutsche Kulturrat oder der Deutsche Musikrat,
erhalten für ihre Politikberatung ebenfalls Steuermittel. Dieser
Mitteleinsatz entspricht allerdings – gemessen an der Aufgabenfülle
und an dem von den Regierenden insgesamt eingesetzten Ressourceneinsatz
für Beratung – einer homöopathischen Verdünnung
in Hochpotenz. Dass beide Dachorganisationen dennoch mit einer beeindruckenden
Bilanz ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit aufwarten können,
liegt an der Bereitschaft vieler Bürgerinnen und Bürger,
sich ehrenamtlich zu engagieren. Diese Bereitschaft ist der Goldschatz
jeder Demokratie, den es zu hegen und zu nutzen gilt. Mit dem Schatz
„Bürgerschaftliches Engagement“ stehen Arbeitskraft,
Wissen- und Erfahrungskompetenz sowie ein hohes Motivationspotential
zur Verfügung, die aktuellen und künftigen Herausforderungen
unserer Gesellschaft zu meistern.
So ist es nur folgerichtig, dass die Regierenden nicht erst seit
gestern das Bürgerschaftliche Engagement als unverzichtbares
Fundament unserer Gesellschaftsordnung in den höchsten Tönen
immer wieder loben – parteiübergreifend und ohne Ausnahme.
Die Liste der veröffentlichten Reden und Fachpublikationen
über die Bedeutung des Bürgerschaftlichen Engagements
für unsere Gesellschaft ist im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen
Themen lang und sie wird immer länger.
Da mutet es auf den ersten Blick wie ein übler Scherz an,
wenn der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzminister öffentlich
die Empfehlung abgibt, die „geldwerten Vorteile“ in
gemeinnützigen Vereinen abzubauen und die Kriterien in Zukunft
viel strenger zu verfassen (zum Beispiel die geplante Auflage, dass
nur noch das als gemeinnützig zu bezeichnen ist, was sich im
kulturellen Bereich mit dem kulturellen Erbe befasst). Einfach gesagt,
die Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrem Engagement schon
bisher dem Staat Milliarden an Kosten gespart haben, sollen nun
noch mehr Geld mitbringen, damit sie sich – Gemeinnützigkeit
hin oder her – ehrenamtlich engagieren dürfen! Dieser
auch volkswirtschaftlich irrsinnige Plan betrifft alle Menschen,
die sich in gemeinnützigen Vereinen engagieren – auch
im Sport.
Nach der bekannten Taktik zwei Schritte vor, einen zurück,
hat Vizekanzler Franz Müntefering inzwischen bekräftigt,
dass der Entwurf so nicht umgesetzt werde und die Übungsleiterpauschale
erhalten bleibe. Dass der modifizierte Entwurf, an dem gerade im
Finanzministerium gearbeitet wird, nicht viel anders aussehen wird,
steht zu erwarten. Anstatt darüber nachzudenken, wie die wertvollste
Ressource eines Staates, die Identifikation seiner Bürger mit
eben diesem Staat, durch ihr Engagement noch besser genutzt werden
kann, wird hier ein Signal mit fataler Wirkung ausgesendet.
Jetzt ist nicht nur der Finanzminister, sondern auch Bundeskanzlerin
Angela Merkel gefordert, die fatale Botschaft zurückzuholen
und für eine nachhaltige Trendwende in der faktischen Wertschätzung
für das Bürgerschaftliche Engagement Zeichen zu setzen.
Es ist höchste Zeit, dass der unerträglichen Diskrepanz
zwischen Sonntagsreden und Montagshandeln ein Ende bereitet wird,
indem den Worten die entsprechenden Taten folgen. Dazu gehören
neben einer grundlegenden Verbesserung der Rahmenbedingungen (die
Themenfelder sind hinreichend benannt), die klare Priorisierung
zivilgesellschaftlicher Strukturen bei dem für die Beratung
zur Verfügung stehenden Mitteleinsatz und der Ausbau der öffentlichen
Anerkennung Bürgerschaftlichen Engagements, damit noch mehr
Bürgerinnen und Bürger motiviert werden können, sich
ehrenamtlich zu engagieren. Im Sinne von Willy Brandt finanziert
der Staat damit ein wenig eine in einzelnen Sachfragen potentielle
Opposition mit – unabdingbar im Sinne der Unabhängigkeit
der Beratungsergebnisse und demokratischen Verfasstheit von Staat
und Zivilgesellschaft!
Der Autor ist Stellvertretender Vorsitzender des
Deutschen Kulturrates und Generalsekretär des Deutschen Musikrates.