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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 9
55. Jahrgang | Oktober
Magazin
Musik-Athlet und Klang-Ästhet
Martin Grubinger – Multipercussionist
Athletische Konstitution ist in der klassischen Musik ein Novum.
Denn Körperbewusstsein ist normalerweise fast nur auf Spieltechniken
bezogen. Aber anders als alle sonstigen Orchesterinstrumente erfordert
Percussion per se deutlich aktivere physische Präsenz und Beweglichkeit.
Als Solist hat der Multipercussionist Martin Grubinger, 1983 in
Salzburg geboren, den Status und die Maßstäbe seiner
Profession nachhaltig verändert. Lässig konfrontiert er
die belächelte Karikatur des einsam auf den Einsatz wartenden
Triangelspielers mit dem Image eines modernen, dynamischen Virtuosen,
der über eine riesige Assemblage von mehr als 200 Schlaginstrumenten
verfügt.
Seit
Ende September auch auf dem Plattenmarkt: Martin Grubinger,
der auf seiner Debüt-CD HK Grubers „Rough Music“
einspielte. Foto: Bernd Noelle
Gefördert und unterrichtet wurde Martin Grubinger von seinem
Vater, der selbst Schlagzeuger und Dozent am Mozarteum Salzburg
ist. In rasantem Tempo entwickelte Martin Grubinger seine Fähigkeiten,
war mit 15 Jahren der jüngste Finalist beim 2nd World Marimba
Competition in Okaya (Japan) und 2005 zum renommierten Crédit
Suisse Group Young Artist Award eingeladen. Solche Anerkennung resultiert
aus eigenwilligen Ideen, nämlich dass „Schlagzeug nicht
auf rhythmische Funktionen reduziert oder nur als Geräuschkulisse
betrachtet werden darf. Ich möchte sowohl auf der Marimba als
auch auf Trommeln melodische Linien spielen und alle Klangnuancen
darstellen können.“
Seitdem Martin Grubinger hartnäckig an der Erweiterung perkussiver
Dimensionen arbeitet, sind zeitgenössische Komponisten an einer
Zusammenarbeit interessiert: Sein Landsmann Bruno Hartl widmete
ihm ein „Concerto“, Anders Koppel aus Dänemark
ein „Konzert für Marimba und Orchester“, das Anfang
2004 Premiere hatte, und zum eigenen 65. Geburtstag wird HK Gruber
2008 ein „Schlagwerk-Konzert“ für Martin Grubinger
schreiben. Statt auf den hinteren Orchesterbänken zu verharren,
wertet Martin Grubinger die Percussion auf, indem er sie zentral
aufs Podium rückt. Seine Projekte sind sogar Magneten für
öffentliche Aufmerksamkeit, denn er konzipiert völlig
unkonventionelle Konzertformate, die Zeit- und Leistungsgrenzen
eines Solisten neu ausmessen. Etwa wenn er beim Beethovenfest 2006
im dreistündigen Mammutrecital „Percussive Planet“
mit 20 Werken aus den 5 Kontinenten wesentliche Schlagwerkstile
des 20. und 21. Jahrhunderts als „positives Signal der Globalisierung“
präsentiert. Seine politische Botschaft für Toleranz ist
eng verbunden mit seiner Ausdauer für optimale Interpretationen:
„Ich bereite mich für ein Konzert wie ein Athlet vor“.
Insbesondere wird ein intensives Fitnesstraining unter sportmedizinischer
Aufsicht für den „Percussion Showdown at the Wiener Musikverein“
am 17. November 2006 notwendig sein, denn da wird Martin Grubinger
vier Stunden nonstop einen bisher einmaligen Konzertmarathon veranstalten.
Mit dem RSO Wien unter der Leitung des US-amerikanischen Dirigenten
John Axelrod wird er die Premieren der Auftragswerke von Rolf Wallin,
Anders Koppel und Alexander Mullenbach sowie Solo-Recitals spielen,
und zwar alle auswendig: „Musik wird selbst zur Klangaktion
und zum visuellen Klangerlebnis.“ Ein Programm, das den traditionellen
Wiener Musikverein in rhythmische Vibrationen bringen wird.
Der eigene Körper hat für Martin Grubinger also eine
integrale Funktion bei seiner Musik, indem dadurch erst seine individuelle
Klangästhetik erscheint. Was motiviert Martin Grubinger zu
solch extremer Anstrengung und Konzentration? Er sagt: „Schlagzeug
ist mein Leben, optimal, um das auszudrücken, was ich dem Publikum
näherbringen will: Offenheit für andere Kulturen und Humanität.“