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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 11
55. Jahrgang | Oktober
Magazin
Kölner Außenminister und Entwicklungshelfer
Zum achtzigsten Geburtstag des Komponisten Gottfried Michael
Koenig
Spricht man mit Leuten, die in den 1950er- und 1960er-Jahren im
Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks
gearbeitet haben, so kommt man zwangsläufig und stets auch
gerne auf Gottfried Michael Koe-nig zu sprechen, den, wie manche
ihn damals genannt haben, „Außenminister“ derjenigen
Institution, die das Fundament legte zu einem der seither weltweit
wichtigsten Orte der Neuen Musik: Köln.
Nicht
post-, sondern prämodern: Gottfried Michael Koenig.
Foto: Tonos Musikverlags GmbH
Koenig, der „Außenminister“ übrigens deswegen,
weil er kontaktfreudig-kollegial die projektbezogen im Studio arbeitenden
Komponisten aus aller Welt tatkräftig bei ihren Vorhaben unterstützte,
sich, auch eine diplomatische Fähigkeit, in die ästhetischen
Konzepte anderer hineinzudenken wusste und mit den Urhebern, wo
sich Probleme auftaten, gemeinsam nach technischen Lösungen
suchte und zumeist auch welche fand.
György Ligeti, Hans G Helms, Franco Evangelisti, Bengt Hambraeus,
Konrad Boehmer sind nur einige temporäre „WDR-Studioarbeiter“,
die begeistert von Koenigs Hilfsbereitschaft, vor allem aber von
seiner außerordentlichen Kenntnis im elektronischen Metier
berichtet haben. Mauricio Kagel, der 1957 von Buenos Aires nach
Köln übergesiedelt war, eigens um im Elektronischen Studio
arbeiten zu können, schenkte dem Außenminister und Entwicklungshelfer
Gottfried Michael Koenig im selben Jahr zum Geburtstag einen Text,
der so manch kleines Detail der damaligen ästhetischen Diskussionen
spielerisch-ironisch fixiert. Ein Ausschnitt: „‚Ich
befinde mich zwischen Gott und der Freiheit‘, sagte der Mann.
‚Natürlich, du heißt Gottfried‘, warf ihm
Phon vor und dachte an die Ära der Prä-Elektrizität.
‚Watt willst du‘, wies ihn die Stimme zurecht, ‚noch
eine Ordnung schaffen?‘ ‚Nein, im Gegenteil‘,
schrieb der Mann, ‚das Positive ist negativ, ich bin ein Negativist!!‘
‚... des Positivismus‘, sagte Ohm und gähnte. Währenddessen
stöberte er seinen perfekten Kreis auf. ‚Ich werde dir
ein Verslein sagen‘, sagte der Raum mit seinem Echo: ‚Die
beste Hierarchie ist die Anarchie. Als ich sie am meisten wollte,
hat sie mich belogen ...‘“
Ordnung und Chaos, seriell und aleatorisch, elektronisch und instrumental
(nur in den frühesten Jahren auch vokal), positiv und negativ
(physikalisch-elektrisch wie philosophisch) – das sind nur
einige Begriffe, denen man im Diskurs der jungen Nachkriegsavantgarde
wiederholt begegnet – Stichwort „Darmstadt“ –
und die sogar bis heute noch immer eine gewisse Rolle spielen, je
nachdem wo sich der/die Gesprächspartner ästhetisch verorten
(lassen/wollen). Natürlich sind die Begriffe auch für
Koenigs Musikdenken wesentlich – nachzulesen in seinen zahlreichen
Essays und Kommentaren, die unter dem Titel „Ästhetische
Praxis“ als sechsbändige Edition im Pfau-Verlag Saarbrücken
erschienen sind (1991–2006) – als Gemeinschaftsprojekt
mit dem Fachbereich Musikwissenschaft der Universität des Saarlandes,
deren Philosophische Fakultät I ihm 2002 die Ehrendoktorwürde
verliehen hat. (1) Gottfried Michael Koenig, geboren am 5. Oktober
1926 in Magdeburg, studierte an der Nordwestdeutschen Akademie in
Detmold unter anderem Komposition (bei Günter Bialas) und Analyse
(bei Wilhelm Maler). 1953 zog er nach Köln. Der Grund: die
Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung, die er in
Vorträgen von Werner Meyer-Eppler und Herbert Eimert bei den
Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt kennengelernt
hatte. Denn die Faszination, die diese neuen Musikproduktionskonzepte
auf ihn ausübten, ließ ihn nicht mehr los, hatte er doch
bei der Studienwahl lange zwischen Musik und einer naturwissenschaftlichen
Disziplin geschwankt. Herbert Eimert, auf dessen Initiative hin
die WDR-Intendanz die Studiogründung 1951 befördert hatte,
war es auch, der Koenig nach dem bereits dort tätigen Karlheinz
Stockhausen als zweiten Komponisten mit technischen Aufgaben für
die Studioarbeit verpflichtete.
Es entstanden seine ersten elektronischen Stücke, die seither
zum Kanon der Neuen, der elektronischen Musik gehören: Klangfiguren
I und II (1955–56), Essay (1957/58), Terminus I (1962). In
Köln formulierte Koenig die ersten ästhetischen wie theoretischen
Kapitel für das gelebte Handbuch der schwingenden Elektronen,
vorwiegend in praktischer Lehre während der Studioarbeit („learning
by doing“) sowie zeitweise als Dozent an der Kölner Musikhochschule
und an anderen (akademischen) Institutionen. Die nächsten Kapitel
entstanden dann an der Universität Utrecht, wo er zwischen
1964 und 1986 als künstlerischer Leiter des neugegründeten
„Instituut voor Sonologie“ tätig war. Hier setzte
er seine Lehrtätigkeit fort, feilte er an den intensiven Reflexionen
über Technik und Ästhetik des Komponierens, des elektronischen
wie des instrumentalen. Denn unter den rund sechzig Werken, die
Koenig geschrieben hat, ist der umfangreichere Teil „unplugged“.
Aber auch in diesen Kompositionen für akustische Instrumente
ist er – anders als viele seiner Kollegen (auch als die von
einst) – dem seriellen Ansatz treu geblieben, hat ihn sogar
konsequent weiterentwickelt. Dabei spielt die Einbindung des Computers
seit vielen Jahren schon eine zentrale Rolle. In Koenigs Programmen
Projekt 1 (ab 1963), Projekt 2 (ab 1966) und Projekt 3 (ab 1985)
können die aus dem Serialismus entwickelten Kompositionsstrategien
– wozu er auch die mathematisch definierte Aleatorik zählt
– dargestellt werden. Und das vermag bei der Planung des Werkes
zu helfen wie auch dem inneren Zusammenhalt der Parameter. Allerdings
sind die Programme ohne musikalisches Vorstellungsvermögen
kaum adäquat zu handhaben. Koenigs Projekt(e)-Software ist
weder ein digitales noch ein kognitives „plug&play“-System,
die Projekt(e) suspendieren keineswegs die Kreativität und
ästhetische Verantwortung des Komponisten.
Als in den 1980-/90er-Jahren das Etikett „Postmoderne“
Usus wurde, setzte ihm der Musiktheoretiker und frühe Koenig-Exeget
Heinz-Klaus Metzger die Vokabel „Prämoderne“ entgegen:
Da die Moderne sich noch lange nicht erfüllt habe, könne
von einem „nach“ schließlich keine Rede sein.
(2) Und nach wie vor befindet und bewegt sich der Komponist und
Theoretiker Gottfried Michael Koenig in der Ära der Prämoderne,
übrigens gleich uns. Nur dass Koenig als ästhetischer
Negativist (des Positivismus) immer noch die Ideen und Ideale des
musikalischen Fortschritts verfolgt.
Stefan Fricke
Anmerkungen
(1) Siehe zu Koenigs Musikdenken auch die Publikationen Gottfried
Michael Koenig, hrsg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn,
München: text + kritik 1989
(= Musik-Konzepte 66); Gottfried Micha- el Koenig. Parameter und
Protokolle
seiner Musik, hrsg. von Stefan Fricke, Saarbrücken: Pfau
2004.
(2) Heinz-Klaus Metzger, Kölner Manifest 1991, in: Blick
zurück nach vorn –
ein Buch zur Praemoderne, hrsg. von Ingrid Roscheck, Heribert
C. Ottersbach
und Manos Tsangaris, Köln: Thürmchen-Verlag 1992.