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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 6-7
55. Jahrgang | Oktober
Magazin
Geld regiert das Festspiel
Über das Salzburg-Festival darf nachgedacht werden
Es gehört zu den beliebten Spielchen in der publizierten
Öffentlichkeit, speziell bei Festspielen nach einer wie auch
immer gearteten Dramaturgie zu fragen. Welche Stücke werden
weshalb und in welchem Zusammenhang gegeben? Gibt es überhaupt
einen Zusammenhang? Unter diesen Anforderungen einer nicht näher
definierten öffentlichen Meinung leidet nicht nur Bayreuth
(genügt Wagner solo nicht mehr?), vielmehr sind die Salzburger
Festspiele zum Ziel aggressiver Fragestellungen geworden. Warum
und weshalb? Die Frage ist, je nach Temperament, leicht oder weniger
einfach zu beantworten.
So
endet eine palästinensisch-israelische Liebe: Chaya
Czernowin schrieb Mozarts Zaide-Fragment in die Gegenwart
fort. Foto: Charlotte Oswald
Die Salzburger Festspiele rühmen sich gern, das größte,
schönste, wichtigste Festival der Welt zu sein. Addiert man
die einzelnen Veranstaltungen und zugleich deren finanziellen Ertrag,
mag das sogar stimmen. Der künstlerische Direktor im Dreierdirektorium
bestimmt zwar, wie ein Bundeskanzler in der Wirklichkeit, die Richtlinien
der Festspiel-Kunst-Politik. Aber diese Freiheit ist eine äußerst
begrenzte. Der wahre Festspieldirektor trägt den Namen Mister
Moneymaker, allerdings ohne Balalaika. Die Balalaika hat er an der
Festspielkassa abgegeben. Letztere entscheidet, ob das Festspiel
ein Erfolg war oder nicht.
Einige Beispiele aus diesem Festspieljahrgang: Mozarts Oper „Così
fan tutte“ gehört in ihren ästhetischen Dimensionen
eher in ein intimes Theater. In Salzburg spielt man sie im Gro-ßen
Festspielhaus mit fast zweitausend Plätzen. Warum? Weil die
Produktion von den Osterfestspielen übernommen wurde und die
Osterfestspiele das Große Haus benötigten, um genügend
Geld einzuspielen. Dieses Geld können auch die sommerlichen
Festspiele gut gebrauchen, also läuft „Così fan
tutte“ zum vierten Mal über die Bretter des Großen
Hauses, in einer zerfasernden Inszenierung (Karl-Ernst und Ursel
Herrmann) mit mittelmäßigen Sängern, lustlosen Wiener
Philharmonikern unter einem farblosen Dirigenten. Festspielaufführung?
Fehlanzeige. Aber vielleicht stimmte ja die Kasse.
Das Gleiche gilt, im Mozartjahr, für den „Don Giovanni“.
Ein ebenso farbloser Taktschläger (Daniel Harding) wühlt
sich durch die Noten, die vordem Nikolaus Harnoncourt auf ihre Schlüssigkeit
durchgesehen hatte. Die Aufführung verflacht endgültig,
aber auch hier dürfte die Kasse gestimmt haben. Im Großen
Haus war auch eine aus Amsterdam bezogene kunterbunte „Zauberflöte“
zu besichtigen, ganz hübsch, mehr nicht, und von Riccardo Muti
gepflegt langweilig mit den Wiener Philharmonikern accompagniert.
Die Beispielsreihe ließe sich verlängern. Nur noch zur
Ergänzung: Da die Opern trotz hoher Eintrittspreise immer noch
ein Defizit verursachen, muss der Konzertsektor einen Überschuss
erwirtschaften. Das gelingt aber nur, wenn im Großen Haus
bestimmte Künstler, die beim Publikum beliebt sind, ein ausverkauftes
Haus garantieren. Einige Namen seien genannt. Pollini, Brendel,
der chinesische Tastenteufel Lang-Lang und Cecilia Bartoli. Die
ständige Wiederholung Jahr für Jahr bekommt nicht einmal
den Künstlern selbst. Pollini wirkt inzwischen in Salzburg
wie ein Schatten seiner selbst.
Die Crux der Salzburger Festspiele besteht darin, dass sie von
ihrem Gesamtetat – in der Regel fünfundvierzig Millionen
Euro, in diesem Sommer wegen Mozart über fünfzig Millionen
Euro – rund siebzig Prozent selbst einnehmen müssen.
Den Rest teilen sich Bund, Land Salzburg, Stadt Salzburg und Festspielfonds.
Die Subventionen der Öffentlichen Hand stagnieren seit mehreren
Jahren, liegen knapp unter dreizehn Millionen Euro. Das bedeutet:
Da die Festspiele die ständigen stationären Kostensteigerungen
(Gehälter etc.) selbst auffangen müssen, sinkt entsprechend
der Etat für die Herstellung der künstlerischen Produktionen.
Dank seines Renommierprojekts, im Mozartjubiläumsjahr alle
zweiundzwanzig Bühnenwerke des Komponisten bei den Festspielen
szenisch aufzuführen, erwirtschaftete Peter Ruzicka einen Überschuss
von angeblich zweieinhalb Millionen Euro. Diesen Betrag erhielt
er zuvor vom österreichischen Bundeskanzler als Sonderzuweisung
speziell fürs Mozartprojekt – was umgehend dazu führte,
dass die Landespolitiker das Ansinnen der Festspiele nach Erhöhung
des Zuschusses wenigstens um die Inflationsrate zurückwiesen.
Dabei führen die Festspiele, die im Jahr fast zweihundert und
während der fast dreimonatigen Festspielzeit nahezu viertausend
Leute beschäftigen, das Drei- bis Vierfache der öffentlichen
Subventionen allein an Lohnsteuer an den Staat ab. Von der von einem
kundigen Wirtschaftsprüfungsunternehmen errechneten Umwegrentabilität
(Einnahmen der Gastronomie, Hotellerie etc., für die ebenfalls
Steuern anfallen) ganz zu schweigen. Irgendwie kommt dem Außenstehenden
das ganze System Salzburger Festspiele, was die Finanzierung betrifft,
absurd vor.
Das könnte dem kunstinteressierten Besucher, sofern er nicht
nur Anna Netrebko oder Lang-Lang erleben will, gleichgültig
sein. Aber die finanziellen Zwänge wirken sich oft mehr oder
weniger erschwerend auf die künstlerischen Dispositionen aus.
Nur einige Verweise auf die Ära Ruzicka. Peter Ruzicka wollte
als eine der fünf Säulen seiner Programmdramaturgie die
weniger bekannten Opern des einstigen Festspiel-Mitbegründers
Richard Strauss szenisch aufführen, also „Die Liebe der
Danae“, die „Ägyptische Helena“, „Daphne“.
Davon wurde nur die „Liebe der Danae“ szenisch realisiert.
Angeblich war der plötzliche Tod des Dirigenten Giuseppe Sinopoli
der Grund, das Projekt zu stornieren – als ob sich nicht ein
anderer Dirigent hätte finden lassen, der das Unternehmen mit
Begeisterung übernommen hätte. Der wirkliche Grund war
wohl eher die Furcht, diese Strauss-Werke könnten nicht genügend
Publikum in die Festspielhäuser verführen, und damit die
Kassenbilanz eintrüben. Wenn aber die Salzburger Festspiele
nicht einmal bei ihrem Mitbegründer Richard Strauss bereit
und in der Lage sind, ein ökonomisches Wagnis einzugehen, dann
fragt man sich verzweifelt, womit dieses Festspiel dann noch seinen
hohen Anspruch legitimieren will.
Dass der Komponist und Dirigent Peter Ruzicka bereits nach fünf
Amtsjahren seinen Salzburger Festspielthron wieder verlässt,
mag vermutlich auch in diesen äußeren Zwängen eine
Begründung finden.
Ruzicka ist ein äußerlich zurückhaltender Mensch,
der sich eher seinen Teil im Stillen denkt und lieber seinen Posten
von sich aus räumt, bevor er, wie seinerzeit beabsichtigt,
sich einem Verhör über seine Amtsführung durch das
Kuratorium der Festspiele stellt. Damit soll Ruzickas häufiger
Abwesenheit in der Festspielvorbereitungszeit keine Absolution erteilt
werden. Ein Intendant ist immer auch eine Art Vater für den
künstlerischen Betrieb, und ein gemütvoller Intendantenvater
war und ist Ruzicka sicher nicht. Aber er war ja gewählt worden,
weil man in ihm den Garanten sah, die Modernisierung des Festspielprogramms
in der Nachfolge von Gérard Mortier fortzusetzen. Und diese
Erwartungen und Hoffnungen, soweit sie überhaupt ernst gemeint
waren, hat Ruzicka in den fünf Jahren doch wohl erfüllt,
auch wenn seine Konzeption in einigen wichtigen Punkten erhebliche
Abstriche erfahren musste, wie im Falle der schon erwähnten
Strauss-Opern, auch bei dem Vorhaben, die vergessenen Opern österreichischer
Exil-Komponisten für Salzburg erfahrbar zu machen. Die Aufführungen
von u u Schrekers „Die Gezeichneten“, von Korngolds
„Toter Stadt“ und von Zemlinskys „König Kandaules“
gehören zu den größeren Taten Peter Ruzickas, wenn
man sich auch nicht die Anmerkung verkneifen kann, dass die Rehabilitierung
dieser Komponisten und speziell dieser Werke schon seit längerem
von Opernbühnen in der „Provinz“ erfolgt ist. In
Österreich hat man gern etwas seltsame Vorstellungen von Entdeckungen,
die andernorts bereits gemacht worden sind.
Peter Ruzickas Langzeitprojekt aber, das er bereits unmittelbar
nach seiner Wahl zum Intendanten (1999) vortrug, galt Mozart. Salzburg
sollte alle anderen Huldigungen zum zweihundertfünfzigsten
Geburtstag des in Salzburg geborenen Komponisten anno 2006 übertreffen.
Der Ruzicka-Schlachtplan, wie von Schlieffen entworfen, umfasste
zweierlei: die szenische „Eroberung“ aller zweiundzwanzig
Operntitel Mozarts und die Umklammerung Mozarts durch Neue Musik
in den zahlreichen Orchester- und Kammerkonzerten der Festspiele.
Etwas zaghaft blickten Ruzicka und der Chef seines Kartenbüros
der Publikumsnachfrage speziell für die weniger oder kaum bekannten
Mozarttitel entgegen. Die Erwartungen wurden enttäuscht: Gerade
die weniger populären Mozart-Jugendopern erfreuten sich eines
ungeahnten Ansturms und verhalfen so der Kassa zu einem kaum erhofften
Überschuss. Der fast besinnungslose Freudentaumel der Festspielverantwortlichen
über den Erfolg des Mozart-Events sollte aber kritische Betrachtungen
nicht ganz ausschließen. Mozarts Jugendopern, also, um die
wichtigsten zu nennen, „Lucio Silla“, „La finta
giardiniera“ und „Mitridate, re di Ponto“, sind
in der Vergangenheit in einigen mustergültigen Aufführungen
als vollwertige Mozart-Opern sozusagen revitalisiert worden. An
Chéreaus Pariser „Lucio Silla“, an die „Finta
giardiniera“ der Herrmanns damals in Brüssel reichten
die jetzigen Salzburger Bemühungen kaum heran. Wenn man strenge
Maßstäbe anlegt, und wo könnten solche am ehesten
angelegt werden, als bei einem renommierten Festival, das sich Mozart
verschreibt, so genügten von den zweiundzwanzig Mozart-Produktionen
bestenfalls ein Drittel einem Festspielanspruch. Den eigenwilligen
„Figaro“ von Harnoncourt in der Inszenierung Claus Guths
zeichnete auch für denjenigen, der der Konzeption kritisch
gegenüberstand, hohe Professionalität aus. Der von Günter
Krämer inszenierte „Mitridate“ brachte eine geschärfte
gegenwärtige Sicht auf die zeitlose Praxis von Diktatoren,
ihre Verquickung von Herrschaft und Privatem, das einem das Stück
ganz nahe rückte, zumal es von Marc Minkowski und den Musiciens
du Louvre et Grenoble hochvirtuos und expressiv musiziert wurde.
Die noch aus der Mortier-Zeit stammende „Idomeneo“-Inszenierung
von Karl-Ernst und Ursel Herrmann, ein wenig historisch schon in
ihrer ästhetischen Gepflegtheit, gab dem Dirigenten Roger Norrington
und einigen Sängern, wie Magdalena Kozena, Anja Harteros und
Ramon Vargas, Gelegenheit, dramatischen Mozart-Gesang zu exekutieren.
Überhaupt fiel auf, wie mäßig manche Partien in
anderen Opern vokal besetzt waren. Mozart-Tenöre scheint es
überhaupt kaum noch zu geben. Das quält sich oft mühsam
quetschend so dahin, zu allem Überfluss erreichte einen in
der Festspielzeit noch die Nachricht vom Tod Léopold Simoneaus.
An so einen Mozart-Tenor darf man in Salzburg gar nicht denken.
Es scheint an der Zeit, für die Salzburger Festspiele wieder
einmal über die Herstellung einer erstklassigen musikalischen
Qualität nachzudenken, das heißt: sie zu realisieren,
indem man sich das Jahr über in aller Welt Sänger und
Dirigenten anhört, die diese Qualität garantieren könnten.
Es ist doch schon fast ein Witz, dass man in Innsbruck einen aufregenderen
„Don Giovanni“ (René Jacobs) erleben kann, als
im hoch gepriesenen und gepreisten Salzburg.
Dass Peter Ruzicka als Komponist und Leiter der Münchner
Musiktheater-Biennale die Musik der Gegenwart besonders am Herzen
liegt, bedarf keiner besonderen Hervorhebung. Es war von vornherein
klar, dass Ruzicka, speziell nach der Ära Gérard Mortier/Hans
Landesmann, nicht hinter dieser zurückfallen würde, nur
etwas anders wollte er für Salzburg die Akzente setzen. Ruzicka
konzipierte mit den von ihm so genannten „Passagen“
gleichsam ein Festival im Festival. Vorwiegend am Ende einer Festspielzeit
ballten sich die Konzerte mit Ur- und Erstaufführungen moderner
Komponisten. Diese Konzerte waren oft sehr schlecht besucht, eine
Erfahrung, die bereits Hans Landesmann am Ende seiner Zeit als Konzertreferent
der Festspiele machen musste, als bei einem Wolfgang-Rihm-Porträt
mit neun Konzerten die Festspielbesucher weitgehend ausblieben.
In diesem Jahr verfuhr Ruzicka nach einem alten bewährten Prinzip:
Er packte viele der vergebenen Uraufführungen samt etlicher
Erstaufführungen jeweils in Mozart-Programme. Wer Muti und
die Wiener mit Mozart hören wollte, musste eine schön
klingende Novität von Fabio Vacchi mithören, wer zu Barenboim
und eben denselben Wienern eilte, wusste, dass ihm ein neuer Johannes
Maria Staud vor Ohren stand. Das funktionierte sogar, es gefiel
dem Festspielpublikum, und als Olga Neuwirth ihr neues Trompetenkonzert
für die Wiener Philharmoniker mit dem wunderbaren Hakan Hardenberger
als Solisten vorstellte, jubelten die Leute sogar, vielleicht auch
deshalb, weil Pierre Boulez dirigierte und sich danach noch mit
Lang-Lang in Mozarts Konzert für Klavier und Orchester G-Dur
KV 453 zusammenfand. Das war höchst spannend, wie sich da zwei
Musiker verstellten und sich als Mozart-Spezialisten präsentierten.
Auch für solche snobistischen Auftritte sind die Festspiele
manchmal gut, und man wünschte sich, dass sie sich mehren möchten.
Ob die Salzburger Festspiele überhaupt ein Publikum für
Neue Musik rekrutieren können, darüber wäre nachzudenken.
Bei Hans Landesmann schien es eine Zeitlang zu funktionieren, aber
vielleicht auch nur, weil das von ihm an die Festspiele angegliederte
„Zeitfluss“-Festival ein aufgeschlossenes Publikum mitbrachte.
Einer der beiden „Zeitfluss“-Iniatoren war der Pianist
Markus Hinterhäuser. Dieser wird im nächsten Jahr bei
Jürgen Flimm die Konzerte programmieren. Die Erfahrungen der
Landesmann-Mortier-Zeit, die von Peter Ruzicka und von Hinterhäuser
sollten ausreichen, um das Thema Neue Musik bei den Salzburger Festspielen
weiterführend zu überdenken.