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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 8
55. Jahrgang | Oktober
Magazin
Vom Toskanischen Fluch und anderen Gefahren
Ein amüsantes Feuilleton über ein ernstes Thema: Wettbewerbe
für Komponisten · Von Moritz Eggert
Musikwettbewerbe haben in den ver-gangenen Jahrzehnten eine ungeahnte
Renaissance erlebt – die Anzahl der Wettbewerbe für Instrumentalisten
und Komponisten ist inzwischen so unüberschaubar hoch, dass
die effektive Wirkung der einzelnen Preise zunehmend leidet. Andererseits
sind Wettbewerbe oft eine Chance für junge Komponisten, erste
Aufmerksamkeit zu erlangen. Dies wissen einige Wettbewerbsveranstalter
nur zu genau, daher hat die Anzahl von unseriösen Wettbewerben,
denen zum Teil sogar eine echte betrügerische Absicht nachzuweisen
ist, immens zugenommen, und immer mehr Kollegen fallen auf falsche
Versprechen oder dubiose Durchführungsmodi herein.
Aus meiner eigenen Laufbahn kenne ich selber die kuriosesten Geschichten:
nur teilweise, nie oder nur durch Androhung von Polizeigewalt bezahlte
Preisgelder, „gefäl-schte“ Preisträgerkonzerte,
die nur vor Videokameras, nicht vor echtem Publikum stattfinden,
Versprechungen in der Wettbewerbsausschreibung, die nie eingehalten
werden, Zwangsinverlagnahme et cetera.
Durch einige Kommentare von Kollegen aus dem Deutschen Komponistenverband
angeregt, möchte ich hier kurz zusammenfassen, worauf man bei
einem Wettbewerb achten sollte, nach Arten geordnet:
„Call for Scores“
Trügerische
Schönheit: Komponisten sollten sich vor dem „Toskanischen
Fluch“ in Acht nehmen, meint Moritz Eggert, der über
internationale Wettbewerbserfahrung verfügt. Foto:
Horst H. Schmeck
„Call for Scores“ werden meist von Ensembles oder Orchestern
ausgeschrieben, die ein spezifisch auf sie abgestimmtes Stück
suchen (zum Beispiel für eine bestimmte Besetzung). Der „Preis“
besteht dann meist darin, dass dieses Werk aufgeführt wird,
worüber man sich als Komponist natürlich grundsätzlich
freut. Die Seriosität solcher Ausschreibungen kann man daran
festmachen, ob eine Teilnahmegebühr verlangt wird oder gar
eine Inverlagnahme Teil des Preisgewinns ist. Wenn dies der Fall
ist, kann die Ausschreibung als unseriös bezeichnet werden,
denn ein „Call for Scores“ sollte rein informativen
Charakter haben: Der Komponist schickt ein Stück in der Hoffnung,
dass es sich für das Ensemble eignet. Wenn das Ensemble das
Stück aufführen will, liegt es natürlich an dem Ensemble,
zum Beispiel im Falle einer Aufführung die Leihgebühr
für Notenmaterial zu bezahlen oder für die Modalitäten
der Aufführung zu sorgen. Vorsicht ist auch geboten bei Klauseln
wie „das Stück darf noch nicht aufgeführt sein“
oder „die Anwesenheit des Komponisten bei der Aufführung
ist zwingend erforderlich, die Fahrtkosten müssen aber vom
Komponisten selber getragen werden“.
Im ersten Fall schenkt man einem Ensemble eine Uraufführung
für lau, im zweiten ist man eventuell gezwungen, hohe Fahrtkosten
selber zu tragen. Schlimmstenfalls kommt sogar beides zusammen.
Preis für eine bestimmte Komposition
Bei einem Preis für eine bestimmte Komposition handelt es
sich um die häufigste Form des Kompositionswettbewerbs. Entweder
wird erwartet, dass speziell für den Wettbewerb ein Stück
geschrieben wird (meist für eine bestimmte Besetzung) oder
zumindest ein bisher noch nie aufgeführtes Stück eingereicht
wird.
Glücklicherweise gibt es auch Wettbewerbe, in denen bereits
aufgeführte Stücke eingereicht werden können, meistens
dürfen diese dann aber nicht Ergebnis eines Auftrages gewesen
oder schon veröffentlicht oder aufgenommen worden sein.
Allen teilnehmenden Komponisten sei grundsätzlich geraten,
sich die Wettbewerbsbedingungen genau durchzu-lesen – oft
gibt es versteckte Bedingungen, die ein scheinbar perfekt geeignetes
Stück nachträglich disqualifizieren würden. Manchmal
drohen die Wettbewerbe auch mit rechtlichen Konsequenzen, falls
ein Stück den Statuten nicht entspricht, dies aber erst nach
der tatsächlichen Uraufführung bemerkt wird.
Komponisten sollten sich hier auf jeden Fall durch möglichst
genaue Information absichern, denn mancher ist hier selbstverschuldet
reingefallen und in unangenehme Situationen gekommen, zum Beispiel
wenn die Veranstalter entdecken, dass die erhoffte UA des Preisträgerstückes
gar keine mehr ist. Gerade seit Nutzung des Internets kann man wenig
geheim halten, seid also ehrlich, liebe Kollegen!
Ob sich ein solcher Wettbewerb lohnt, hängt sehr stark von
dem Verhältnis des Preisgeldes zu der verlangten Teilnahmegebühr
ab. Ab wann ein Wettbewerb seriös ist oder nicht, kann sehr
oft an der Höhe der Teilnahmegebühr abgelesen werden.
Je höher diese ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit
der betrügerischen Absicht. In Italien (dem Land, in dem es
mit Abstand die meisten unseriösen Wettbewerbe gibt) leistet
sich fast jedes kleine toskanische Städtchen einen kleinen
Musikwettbewerb (der so genannte „toskanische Fluch“),
die Teilnahmegebühren liegen meist um die 100 Euro, die ersten
Preise liegen dann oft bei kleinen Beträgen wie 1.000 Euro.
Man kann sich leicht ausrechnen, dass die Veranstalter solcher Wettbewerbe
sehr schnell in attraktive Gewinnzonen kommen, vor allem, wenn die
Teilnehmer sich verpflichten müssen, zur Endrunde eines Wettbewerbs
persönlich anzureisen, dann wird nämlich auch noch das
Tourismusgeschäft angeheizt.
Das krasseste Verhältnis, das ich jemals bei einem Wettbewerb
erlebt habe, war 150 Euro Teilnahmegebühr und ein erster Preis
von 250 Euro (der dann auch prompt nicht vergeben wurde). Solche
Wettbewerbe sind unbedingt zu meiden, meistens sind sie Gott sei
Dank leicht zu erkennen.
Eine nicht vorhandene Teilnahmegebühr lässt meistens
auf Seriosität schließen, geringe Teilnahmegebühren
bis zu circa 50 Euro sind akzeptabel, besonders dann, wenn die Wettbewerbe
eingereichte Partituren wieder zurückschicken (sehr selten).
Meistens sollte man aber seine eingereichten Partituren abschreiben,
nur in circa 20 Prozent aller Fälle wird man durch den Wettbewerb
überhaupt über das Ergebnis des Wettbewerbs informiert,
auch hier zeichnen sich die seriösen Wettbewerbe durch Bestätigung
des Erhalts einer eingereichten Partitur und Information über
den Ausgang des Wettbewerbes aus.
Viele Wettbewerbe verpflichten den Komponisten mit dem Preisgewinn
zu einer exklusiven Uraufführung durch den Wettbewerb. Auch
hier sollte sich jeder überlegen, ob er sein Meisterwerk lieber
im kleinen Konzertsaal einer unbekannten amerikanischen Universität
oder in einer namhaften Kammermusikreihe einer großen Stadt
aufgeführt sehen will. Eine häufige Praxis ist die Zwangsinverlagnahme
bei Wettbewerbsgewinn, oft muss man sogar eine dementsprechende
Bestätigung schon vorher unterschreiben oder eine Erklärung
des eigenen Verlages beifügen, dass dieser den Autor freistellt.
Hier ist höchste Vorsicht angebracht – in fast allen
dieser Fälle ist der Verlag ein Kleinstverlag, der ohne größeren
Enthusiasmus aus irgendeinem Wohnzimmer heraus geführt wird
und dessen einziger Existenzzweck darin besteht, sich an den Tantiemen
eines eventuell erfolgreichen Werkes dranzuhängen. Ich habe
zum Teil Verträge gesehen, bei denen jedem Rechtsanwalt die
Haare zu Berge stehen würden. Finger weg, im Zweifelsfall einfach
nicht unterschreiben, ist hier die Devise!
Steuerlich ist anzumerken, dass ein Preis für ein bestimmtes
Werk (im Gegensatz zu einem Förderpreis oder Anerkennungspreis)
zu versteuern ist. Auch dies ist zu bedenken, gerade wenn die Preissumme
sehr niedrig ist.
Der Wettbewerb als Bewerbung um einen Auftrag
Diese Variante kommt immer mehr in Mode, denn sie ähnelt
den zum Beispiel bei Architekten üblichen „Ausschreibungen“.
Meist bewirbt man sich mit schon existierenden Werken um einen Preis,
der dann darin besteht, dass man quasi mit dem Preisgeld ein neues
Werk schafft, das bestimmten Wünschen betreffs Besetzung oder
Länge entspricht. Hier gibt es zahllose seriöse Beispiele,
aber ebenso häufig Scharlatanerie. Gegen die Methode an sich
ist nichts einzuwenden, nur sollte man sich genau anschauen, in
welchem Verhältnis die Auftragssumme zur zu leistenden Arbeit
steht. Um ein Beispiel zu geben: Vor kurzem kam ich in die Endrunde
eines Wettbewerbes, in dem es um die Gewinnsumme von 15.000 US-Dollar
ging. Keine schlechte Summe sicherlich, aber die Summe wurde in
ein gänzlich anderes Verhältnis gerückt, wenn man
bedachte, dass man sich mit dem Gewinn verpflichtete, drei (DREI!)
große Orchesterstücke für ein eher obskures malaiisches
Orchester zu schreiben, und das innerhalb einer Saison, also einem
Jahr. Ich muss gestehen, dass ich auf der Bühne vor Bekanntgabe
des Preises betete, den Preis NICHT zu gewinnen, denn 5.000 US-Dollar
für ein großes Orchesterstück ist alles andere als
eine angemessene Bezahlung. Ich hatte diesen Aspekt des Wettbewerbes
tatsächlich überlesen und nur auf die Preissumme geachtet.
Hier also gut aufpassen, denn in den meisten Fällen entspricht
die Preissumme nicht den normalen Auftragssummen für dieselbe
Besetzung, zusätzlich bezahlt man meist noch teure Teilnahmegebühren
(von denen der Wettbewerb dann wieder den Auftrag an sich locker
finanziert, also selber gar kein Risiko eingeht). Auch muss natürlich
eine Preissumme in diesem Fall versteuert werden, denn sie ist ein
Honorar.
Förderpreise, Anerkennungspreise, Stipendien
Dies ist die unverdächtigste Form von Preisen, denn mit ihnen
wird ein künstlerisches Schaffen generell honoriert. Meistens
werden diese Preise von Städten, vom Staat, vom Land oder von
privaten Fördervereinen verliehen, die oft auch gemeinnützig
sind, deswegen findet man hier nie Teilnahmegebühren. Häufig
kann man sich auch nicht selber bewerben, sondern muss von unabhängigen
Personen vorgeschlagen werden, manchmal bestimmt der Preisgeber
eine Jury oder eine einzelne Person, die diese Auswahl trifft. Da
man selber quasi nie in der Hand hat, einen solchen Preis oder ein
solches Stipendium zu bekommen, ist hier Betrugsabsicht quasi nie
zu finden, die Betrogenen sind wenn überhaupt eher die Stipendiengeber
selber, die vielleicht überteuerte Studios in fremden Städten
anmieten, um ihre Preisträger zum Beispiel während eines
Stipendiums unterzubringen. Aber dies soll uns nicht kümmern
…
Solche Preise sind übrigens steuerfrei! Abschließend
sollte man darauf hinweisen, dass manche Wettbewerbe sich erst bei
Preisgewinn als unseriös herausstellen, nämlich dann,
wenn der erfreute Gewinner sich vor Ort befindet, und plötzlich
feststellt, dass viele der Versprechungen des Wettbewerbs nicht
oder nur teilweise eingehalten werden. Die Preisträger sind
also auch auf persönliche Erfahrungsberichte angewiesen, denn
allein aus der Wettbewerbsbeschreibung geht nicht immer eine dubiose
Absicht hervor.
Zusammenfassung
Zusammenfassend sollte man also bei solchen Elementen eines Wettbewerbs
erhöhte Vorsicht walten oder es gleich bleiben lassen:
Teilnahmegebühren über 50 Euro.
Zwangsinverlagnahme durch einen Kleinverlag, den keiner kennt.
mögliche Preisgewinne sind dem Arbeitsaufwand gegenüber
ungenügend hoch.
Verpflichtung zu Arbeiten, zu denen man eigentlich nicht bereit
ist, zum Beispiel dem Schreiben von zehn Sinfonien für Maultrommelorchester
bei Preisgewinn.
Der Preis wird nur ausgezahlt, wenn man persönlich zu
einer „Endausscheidung“ anreist, diese Reise wird
aber nicht vom Veranstalter finanziert.
Die Jury besteht aus obskuren Namen, von denen man noch nie
in seinem ganzen Leben gehört hat, oder die Jury ist überhaupt
nicht genannt.
Bisherige Preisträger sind nirgendwo bekannt oder nur
auf Webseiten, die seit Jahren nicht aktualisiert wurden. Keinerlei
Förderung oder Unterstützung von Preisträgern ist
zu beob-achten.
Der Wettbewerb nennt sich „international“, aber
seit 30 Jahren gewinnen immer nur Bürger des Landes, in dem
der Wettbewerb stattfindet.
Es wird nicht erwähnt, was mit den eingesandten Noten
geschieht, oder es gibt keine Möglichkeit, eine kleine Extra-Gebühr
zu entrichten, die das Zurücksenden der Noten garantiert.
Gewinn des Wettbewerbs verpflichtet einen Komponisten, Mitglied
einer seltsamen „Association“ zu werden, die sich
auf mysteriösen Webseiten selber feiert (klingt erfunden,
kommt aber tatsächlich vor).
Der Wettbewerb findet in Italien statt,
oder – noch schlimmer – in der Toskana.