nmz 2006/10 | Seite 24
55. Jahrgang | Oktober
Musikbildung
Ein Schloss der Musen und ihr Meisterhaus
Villa Musica und die Landesmusikakademie Rheinland-Pfalz in Engers
Schloss Engers ist ein Idyll des Rokoko, am rechten Rheinufer
zwischen Koblenz und Neuwied gelegen. Die weißblau leuchtende
Fassade und die imposanten Risalite mit ihren Mansardendächern
ziehen die Blicke auf sich, gleichgültig, ob man auf dem Schiff,
mit dem Fahrrad oder Auto hier vorbeikommt. Doch was so idyllisch
scheint, ist in Wahrheit von quirliger Betriebsamkeit: ein Musenschloss,
das sich ganz der Förderung junger Musikerinnen und Musiker
verschrieben hat.
Seltenes
Ensemble: Kurfürstlicher Barock und preußischer
Neobarock
am Rhein. Foto: Landesmusikakademie Rheinland-Pfalz
Wo einst ein sinnenfroher Kurfürst seiner Jagdlust frönte,
wird heute Musik gemacht: von den Stipendiatinnen und Stipendiaten
der Landesstiftung Villa Musica Rheinland-Pfalz und von all jenen
Ensembles, die in die rheinland-pfälzische Landesmusikakademie
gekommen sind. Es ist eine Symbiose zweier Landesinstitutionen,
die den ganzen Weg von der Förderung musikalisch hoch begabter
Schüler bis hin zur Kammermusikelite der deutschen Hochschulen
in sich vereinen. Die beiden Häuser bieten Ensembles und Solisten,
Chören und Orchestern, Blaskapellen und Vokalgruppen, prominenten
Dozenten und Dirigenten ein Heim auf Zeit im Dienst des Nachwuchses.
Nah am Wasser gebaut, ist diese doppelte Musikbildungsstätte
dennoch kein Kind von Traurigkeit. Rheinischer Frohsinn paart sich
im Neuwieder Stadtteil Engers mit idealen Voraussetzungen für
konzentriertes Proben und Konzertieren.
Operation Kammermusik
Als die Landesregierung Rheinland-Pfalz das Schloss 1990 erwarb,
empfahl sich bald die Landesstiftung Villa Musica mit einem idealen
Nutzungskonzept. Die Stiftung setzte auf das Miteinander von prominenten
Dozenten aus der ganzen Welt und handverlesenen Musikstudenten in
Kammermusik der unterschiedlichsten Besetzungen. Das Schloss bot
dafür die idealen Voraussetzungen, nachdem es jahrzehntelang
als Klinik genutzt und nun auf die Zwecke der Musik umgerüstet
worden war. Aus jedem Krankenzimmer wurde ein gemütliches Gästezimmer
zur Unterbringung der Musiker, aus jedem OP ein Probenraum. Der
Saal der Diana, die reich dekorierte Mitte des Barockbaus, entpuppte
sich als Kammermusiksaal von idealer Akustik und bezauberndem Flair.
Seit 1995 kann all dies für die Zwecke der Villa Musica und
zur Freude des Publikums bespielt werden. In den vergangenen elf
Jahren füllten sich in Schloss Engers weit über 400 Konzerte
mit Publikum, mehr als 1.000 junge Musikerinnen und Musiker haben
sich im Schloss fortgebildet. Freunde und Kenner der klassischen
Kammermusik bewundern regelmäßig den Schlagabtausch zwischen
den durch Probespiele ausgewählten Stipendiaten und den Dozenten
der Stiftung, unter denen sich prominente Namen finden. Denn am
Schnittpunkt dreier Autobahnen gelegen (A 3, 48, 61), ist Schloss
Engers auch für die Jetsetter der Musik unschwer zu erreichen.
Sie sind und waren hier zu Gast, Namen wie Ulf Rodenhäuser
und Sabine Meyer, Myriam Fried und Pinchas Zukerman, Menahem Pressler
und Robert Levin, Ingo Goritzki und Klaus Thunemann, Reinhard Goebel
und Andrew Manze, Thomas Brandis und Ulf Hoelscher.
Prinzip Villa Musica
Sie alle haben ein Ziel: den besten Studentinnen und Studenten
der deutschen Musikhochschulen den letzten Schliff in der Kammermusik
zu verleihen. Das tun sie seit nunmehr 20 Jahren, denn im November
2006 feiert Villa Musica ihren 20. Geburtstag. Die Stiftung wurde
1986 von der Landesregierung Rheinland-Pfalz und dem damaligen Südwestfunk
gegründet, um den musikalischen Nachwuchs zu fördern und
Konzerte im ganzen Bundesland zu veranstalten. Beide Ziele vereinen
sich zum „Prinzip Villa Musica“.
Schloss Engers dient als „Akademie für Kammermusik“
und zugleich als Mitte eines Netzwerks aus Veranstaltern, bei denen
die Ergebnisse der Kurs-Projekte gleich klingend vorgestellt werden.
Aus einem Stamm von rund 120 Stipendiatinnen und Stipendiaten, die
nach erfolgreichem Probespiel für drei Jahre kostenlos die
Angebote der Stiftung wahrnehmen können, rekrutiert sich die
Besetzung jedes Projekts, das in der Regel von zwei Dozenten betreut
wird. So lenken etwa im Mendelssohn-Oktett Nicolas Chumachenco an
der ersten Geige und Martin Ostertag am zweiten Cello die Geschicke
des Ensembles, nehmen die sechs Stipendiaten in ihre Mitte und erarbeiten
mit ihnen das Werk zwischen Montag und Freitag bis zur Konzertreife.
Am Wochenende erklingt es dann in drei verschiedenen Konzertsälen
in Rheinland-Pfalz, etwa in der Villa Ludwigshöhe im pfälzischen
Edenkoben, im Hüttenhaus in Herdorf ganz im Norden oder im
Kurfürstlichen Palais in Trier, in Mainz, Worms oder Bingen.
Schloss Engers steht im Zentrum eines Netzwerks, das mehr als 40
Mitveranstalter in ganz Rheinland-Pfalz umfasst. Rund 130 Konzerte
jährlich sind das Ergebnis der Proben im Schloss. Ihre Programme
sind oft ausgefeilt, tragen die Handschrift von Ulf Rodenhäuser,
dem Spiritus Rector des Kursbetriebs bei Villa Musica. Gemeinsam
mit dem Künstlerischen Leiter Klaus Arp und einem Künstlerischen
Beirat legt er die Marschroute für die kammermusikalischen
Erkundungen jeder Saison fest. Mehr als 2.000 Raritäten wurden
in dieser konsequenten Kammermusik-Archäologie bislang zu Tage
gefördert, stets gepaart mit den großen Werken, die jeder
Kammermusiker kennen und beherrschen sollte – von Mozarts
Streichquintetten über das Beethoven-Septett und die Brahms-Sextette
bis hin zu den Kammersinfonien von Schönberg.
Eingebettet ist dieses hoch konzentrierte Musizieren in eine fest
gefügte Struktur. Ein Vorstand mit dem amtierenden Staatssekretär
für Kultur an der Spitze trifft bei der Stiftung die wesentlichen
Entscheidungen, ein prominent besetztes Kuratorium wacht über
die Belange der Institution. Die Rendite des Stiftungskapitals deckt
einen Großteil der Kosten jeder Saison ab. Dies sind die wesentlichen
Pfeiler des Systems, das Villa Musica Rheinland-Pfalz in Deutschland
zu einer ganz besonderen Institution macht. Denn wo leistet sich
eine Landesregierung sonst eine Stiftung, die einzig und allein
der Kammermusik und ihrer Zukunft gewidmet ist? Ihr Aushängeschild
ist Schloss Engers, das schmucke Palais des Kurfürsten von
Walderdorff, dem Künstler wie Johannes Seitz oder Januarius
Zick ein Paradies auf Erden schufen. Heute kommen die paradiesischen
Klänge der Kammermusik hinzu.
Die Landesmusikakademie zieht ein Wechselhaft war die Geschichte
von Schloss Engers nach dem Ende des alten Reiches und des Kurstaats
Trier. Erst regierten hier die Nassauer, dann ließen sich
die Preußen nieder und errichteten eine Kadettenanstalt –
mit allem, was dazu gehört. Bald waren Nebengebäude nötig,
so auch das 1901 bis 1903 errichtete „Meisterhaus“.
Von der preußischen Domänenverwaltung im neobarocken
Stil erbaut, diente es zunächst der Kriegsschule als Lazarett,
bevor es samt dem Schloss von der katholischen St.-Josefs-Gesellschaft
erworben wurde. Die karitative Einrichtung, die Schloss Engers zur
Klinik umbaute, richtete im Nachbarhaus Wohnungen für Handwerksmeister
ein, daher der Name „Meisterhaus“.
Im Jahr 2000 erwarb die Stiftung Villa Musica das Haus, um hier
mit Unterstützung des Landes Rheinland-Pfalz eine zentrale
Landesmusikakademie einzurichten. Es war die erste in Rheinland-Pfalz,
ein Bundesland, das bis dato über kein festes Gebäude
für seine Landesmusikakademie verfügt hatte, obwohl Letztere
schon 1982 vom Landesmusikrat gegründet worden war. Ihre Aktivitäten,
bisher sozusagen ambulant betrieben, wurden damit stationär.
2003 konnte Ministerpräsident Kurt Beck die Landesmusikakademie
Rheinland-Pfalz im Meisterhaus zu Engers einweihen.
Seitdem steht sie, getragen von einem gemeinnützigen Verein,
als klassische Belegakademie allen Musikausübenden offen, die
in Eigenregie an ihren selbst gesetzten musikalischen Zielen arbeiten
möchten. Die Gastbelegungen weisen, typisch für eine Landesmusikakademie,
ein breites Spektrum auf: Chöre, Orchester, Bands, Schulensembles,
die Landesjugendensembles – seit kurzem gemeinsam auftretend
unter der Dachmarke „Junge Musik Rheinland-Pfalz“ –
und Verbände proben oder tagen gerne in Engers. Kurz: Allen
Gruppierungen der Laienmusik steht die junge Einrichtung offen,
und oft genug geben sie sich buchstäblich die Klinke in die
Hand.
Auch nach seinem Umbau hat das Akademiegebäude die klare Raumgliederung
beibehalten und seinen überschaubaren Charakter bewahrt. In
aller Regel sind die musizierenden Gäs-te unter sich, Parallelbelegungen
gibt es nur selten. Die hohe Funktionalität des Meisterhauses
in Verbindung mit einer Atmosphäre, die dem Charakter eines
geräumigen Wohnhauses gleicht, regt an, konzentriert zu arbeiten,
belebt aber auch die Kommunikation und animiert zu persönlichen
Begegnungen. Liegt es daran, dass sich die Fortbildungsveranstaltungen
für musikpädagogische Berufe aller Art so rasch etabliert
haben? In der Kooperation mit dem Staatlichen Institut für
Lehrerfortbildung und in Absprache mit den Berufsverbänden
werden jährlich rund 20 Lehrerfortbildungskurse für das
Fach Musik angeboten, gemeinsam finanziert – und gut besucht.
Die Auswahl der Inhalte und Dozenten zielt auf die musikpädagogische
Praxis. Begrenzte Kursgrößen lassen bewusst genügend
Spielraum zum eigenen Singen, Spielen, Tanzen, Ausprobieren und
Üben.
Themenorientierte Kurse entwickeln sich oft zum Treffpunkt für
Lehrkräfte unterschiedlicher Herkunft. Musikschullehrerinnen
und Musikschullehrer kommen mit Lehrkräften allgemeinbildender
Schularten zusammen, Erzieherinnen und Erzieher bilden sich im gleichen
Kurs mit Grundschullehrkräften fort oder tauschen ihre Erfahrungen
mit Fachkräften aus dem sozialpädagogischen Bereich aus.
Die Mischung macht’s.
Das gilt auch für Kurse, die der Jugendförderung zugedacht
sind. In Meisterkursen oder Kursen zur Wettbewerbsvorbereitung mischen
sich Jüngere und Ältere. Schülerinnen und Schüler
können sich mit bereits Studierenden vergleichen und schauen
manchmal neidvoll bewundernd auf das, was ihnen ihre Dozenten vermitteln.
Erfahrene Künstler und Pädagogen wie Hans Christoph Begemann,
Maria Egelhof, Gerhard Gnann, Hans-Jürgen Kaiser, Gorjan Kosuta,
Werner Schrietter, das Rennquintett oder das Klavier-Duo Stenzl
– sie und viele andere Meister ihres Fachs kümmern sich
um den musikalischen Nachwuchs. Junge Dozenten wie Oliver Triendl,
Ursula Maria Berg, Sheila Arnold, Kerstin Grötsch tun es ihnen
gleich. Sehr viele von ihnen waren bis vor kurzem noch Stipendiaten
der Villa Musica, ebenso wie Martin Stadtfeld, Thomas Hammes und
Charlotte Balzereit, die ihr Debüt als Unterrichtende unlängst
gaben.
Auch älteren Menschen wendet sich die vielseitige Einrichtung
zu. Erstmals in diesem Jahr fanden Senioren den Weg in das barrierefreie
Meisterhaus, sei es, um einen Samba selbst zu spielen, alte und
neue Lieder zu singen oder an Chorwerken zu feilen. Mit der Landeszentrale
für Gesundheitsförderung Mainz als Partner wurden Fortbildungsangebote
eingerichtet, die Fachkräften in der Pflege und Betreuung demenzkranker
Menschen zeigen sollen: Musik kann als Möglichkeit zur Verständigung
dort weiterhelfen, wo die Sprache versagt.
Zwei Büros genügen, um den rastlosen Betrieb in der Akademie
zu steuern und manchmal auch die Jugendlichen in den Gängen
zur Raison zu rufen. Die 14 Zimmer sind flexibel belegbar, die beiden
Probesäle können auch als Tagungsräume genutzt werden.
Fünf Übungsräume stehen im Untergeschoss zur Verfügung,
dazu ein Studio im Dachgeschoss. Der Blick auf den Rhein inspiriert
auch hier, wie im Schloss, die Musiker. Das Einzige, was man vom
Strom zu fürchten hat, ist das Hochwasser. Es hat zum letzten
Mal 1995 zugeschlagen, wenige Wochen vor dem Einzug der Villa Musica,
als im Schloss die Keller überflutet wurden. Seitdem hat sich
Vater Rhein jeweils am Scheitelpunkt des Hochwassers in gebührendem
Abstand von Instrumenten und Proberäumen wieder in sein Flussbett
zurückgezogen.
Jeder für sich und beide zusammen
Aus allen Nähten platzt Schloss Engers immer dann, wenn hier
das Lan-desjugendorchester Rheinland-Pfalz oder ähnlich große
Ensembles einziehen. Denn im Nutzungskonzept bilden Schloss und
Meisterhaus bewusst eine Einheit, die für größere
Projekte mit bis zu 90 Betten und 10 Proberäumen aufwarten
kann. Das scheint sich auch jenseits der Landesgrenzen herumgesprochen
zu haben. Kein Wunder, dass der Name von Engers auch über die
Landesgrenzen hinausklingt: Ob Hilliard Ensemble, German Brass,
Europa Cantat oder Europäisches Barockorchester – man
ist aufmerksam geworden.
Kein Wunder, dass sich neben den Musikern auch immer wieder andere
Gruppen zur Belegung der Häuser einfinden. Industrie und Verwaltung
nutzen Schloss und Meisterhaus hin und wieder als attraktive Tagungsstätte.
Aber das ist noch längst nicht alles, was die Mauern von Schloss
Engers erzählen könnten. Das aber können Sie nicht
in einer Fachzeitschrift für Musik finden.
Anschriften und Infos:
Villa Musica
Auf der Bastei 3, 55131 Mainz
Tel. 0 61 31 - 925 18 00
Fax 0 61 31 - 16 92 03
E-Mail: info@villamusica.de www.villamusica.de