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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 42
55. Jahrgang | Oktober
Bücher
Abendländisches Musikerbe erhalten
Zukunftsfähige Musikschule: eine Einführung in die
Musikpädagogik für Musikschullehrer
Anselm Ernst: Die zukunftsfähige Musikschule. Eine Einführung
in die Musikpädagogik für Musikschullehrkräfte, Musik
Verlag Nepomuk, Aarau 2006, 176 S., 21,00 €, ISBN 3-907117-19-0
Der Freiburger Professor für Musikpädagogik legt hier
nach seinem Klassiker „Lehren und Lernen im Instrumentalunterricht“
ein neues Werk vor, das gemäß seines Titels und Untertitels
gleichzeitig Grundfragen der Musikpädagogik erörtert wie
auch ein Idealbild der Musikschule zeichnet und für dieses
beredt plädiert. Gerade auch Studierende, die sich ihre Zukunft
an einer Musikschule erhoffen, werden – wenn sie auch im Untertitel
nicht genannt sind – mit grundlegenden Gedanken zum angestrebten
Arbeitsfeld konfrontiert. Selbstverständlich kann bei einem
solchen Anspruch nicht alles völlig neu und originell sein;
Ernst vereinigt jedoch in seinem Buch Thesen und Diskussionsbeiträge
zu den wichtigsten einschlägigen Fragen auf relativ knappem
Raum, skizziert wissenschaftliche Hintergründe, stellt Bezüge
zur Erziehungs- und Bildungstheorie her und formuliert in der Konsequenz
immer wieder teilweise auch provozierende Anforderungen an die Praxis.
Den Kern des Buches bilden Ernsts Vorstellungen von der Institution
Musikschule. Er versteht sie ebenso als Bildungsinstitution wie
als rational organisierten „Betrieb“, der sich zu behaupten
und auch Dienstleistungsfunktionen zu erfüllen habe, ohne dabei
allerdings aus dem Blick zu verlieren, dass er „über
eine dienstrechtlich verordnete Leistung hinaus“ einen menschlichen
und pädagogischen „Mehrwert“ vertritt. Dementsprechend
wichtig sind für Ernst die Atmosphäre und Kommunikationskultur,
aber auch die fachliche Professionalität und die ständige
Reflexions- und Innovationsbereitschaft. Vor allem aber soll die
Musikschule „offen“ sein: offen für jede Art von
Musik, für jede Art von Klientel – Kinder, Erwachsene,
Migranten, Behinderte –, für unterschiedlichste Kooperationspartner,
Aufgaben und Angebote. Hier befindet sich der Autor auf einer Linie
mit dem vom Verband deutscher Musikschulen (VdM) entwickelten Leitbild
der „offenen Musikschule“. Als zentral sieht Ernst das
Erhalten des abendländischen Musikerbes an. Doch könnten
Menschen je nach ihrer individuellen Lebenssituation auch in Musikkulturen
anderer Provenienz eine Heimat finden, wenn sie sich tiefgreifend
und identifizierend damit auseinandersetzten. Bildung erwachse so
aus der Entscheidung des Subjekts. Davon unbeschadet weist Ernst
der Musikschule gerade auch in der Vermittlung der heute viel beschworenen
Schlüsselkompetenzen – genannt werden etwa Leistungsmotivation,
Selbstbeherrschung, Selbstbewusstsein, Konzentration, Kooperationsfreude
und Toleranz – eine entscheidende Rolle zu. Aspekte des Umgangs
mit anderen und mit sich selbst sind für Ernst neben den speziellen
Fachkompetenzen ebenso Bestandteil musikalischer Bildung wie Strategien
des Lernens und Übens. Dankenswerterweise betont der Autor
dabei, dass Persönlichkeitsbildung sich aber nicht automatisch
ereigne, sondern gezielt angestrebt werden müsse.
Nach einer knappen Behandlung der Elementaren Musikpädagogik,
speziell der Musikalischen Früherziehung, der Ernst die Aufgabe
zuweist, die Kinder in der „musikalischen Muttersprache“
heimisch werden zu lassen, wendet er sich dem frühen Instrumentalunterricht
zu, den er als Voraussetzung an ein spezifisches Analogon der „Schulreife“
bindet und in der Regel als Gruppenunterricht verwirklicht sehen
möchte. Hier nun werde die „Muttersprache“ um vielfältige
musikalische „Dialekte“ und „Fremdsprachen“
erweitert. Gemäß der in seinem ersten Buch entfalteten
Didaktik wird dem Unterricht eine Vielzahl von Lernfeldern zugeschrieben.
Wenn der Autor eine Vielzahl von Lernformen und Zugängen zu
einem Musikstück vorschlägt, so mag das eine Anregung
für manches eingespielte Unterrichtsverhältnis darstellen:
Neben der an allen Parametern ausgerichteten Gestaltung nennt Ernst
das Singen, Klatschen, Erfassen, Komponieren, Improvisieren, Imitieren,
Blattspielen, Analysieren, mentale Einprägen und Beschreiben.
Ebenso multidimensional wie den Unterricht versteht Ernst auch den
Begabungsbegriff und die Musikalität, die er beide jeweils
in einem eigenen Kapitel behandelt. Gerade Ernsts Verständnis
der Musik als sprachanaloges Regelsystem sowie seine Theorie eines
dem Spracherwerb entsprechenden, Regeln erschließenden Musiklernens
stellen originelle Elemente des Buches dar. So stehen praxisnahe
Themen wie etwa Wettbewerbe und Leistungstests in der Musikschule
neben theoretischen Erörterungen, etwa der Wechselwirkungen,
die die Begabung ausmachen. Dabei argumentiert der Autor durchweg
ebenso wohl überlegt wie auch engagiert. Ein kleines Glossar
und eine umfangreiche Literaturliste beschließen den Band,
der sich insgesamt durch die Breite der Themen und die Klarheit
der Linie auszeichnet und sicher mit Gewinn gelesen werden wird.