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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 39
55. Jahrgang | Oktober
Rezensionen
Schleiermacher modern
Kammermusik der Wiener Schule von Schönberg, Berg, Webern,
Apostel, Eisler, Hauer und Spinner; Ensemble Avantgarde: Andreas
Seidel, Violine, Matthias Kreher, Klarinette, und Steffen Schleiermacher,
Klavier.
MDG/Codaex 613 12 17-2
Die Wiener Schule – Lehrer und Gefolgsleute: Anton Webern.
Musik von Webern, Wolpe, Herscovici, Spinner, Focke, Elston, Leich
und Searle; Steffen Schleiermacher, Klavier (auch auf den folgenden
CDs).
MDG 613 1282-2
American Ultramodernists 1920–1950: Dane Rudhyar, Ruth Crawford,
CarI Ruggles und Henry CoweII.
MDG 613 1265-2
Klaviermusik der Darmstädter Schule, Folge 2: Brown, Kagel,
Pousseur, Lachenmann und Stockhausen.
MDG 613 1005-2
Steffen Schleiermacher, Leipziger Hansdampf in allen Gassen der
Moderne, macht es seinen Fans nicht eben leicht, mit seinem immensen
Ausstoß an hochinteressanten CDs Schritt zu halten, die er
überwiegend als Klaviersolist, jedoch auch als Kopf seines
Ensembles Avantgarde für verschiedene Labels aufnimmt. Hier
möchte ich einige neuere Programme für Dabringhaus &
Grimm vorstellen, die er para-llel zu seinem Satie-Zyklus realisierte.
Zunächst eine Trioscheibe mit teils vertrauter, teils obskurer
Kammermusik aus dem Schönberg-Kreis: Weberns Stücke op.
7 und die späte Violinfantasie von Schönberg kennt man,
aber wer könnte dies von den Duostücken op. 28 seines
Gegenspielers Josef Matthias Hauer behaupten? Die Triobearbeitung
vom Mittelsatz des Berg’schen Kammerkonzerts ist immer noch
vertrauter als die Soloklarinettensonatine seines Schülers
Apostel. Die Vier Stücke op. 5 von Berg gehören zum eisernen
Bestand der Klarinettenliteratur, aber wer hat schon die reihentechnisch
komponierte Suite op. 10 des Webern-Eleven Leopold Spinner gehört?
Spinner taucht (mit einer noch zu Weberns Lebzeiten entstandenen
Sonate) auch auf der nächsten CD auf. Im Zentrum eines Überblicks
über von Webern geprägte Komponisten stehen zwei Zyklen:
die vor dem Krieg komponierte „Zemach-Suite“ von Stefan
Wolpe und die zwanzig Klavierstücke des „Tombeau pour
Vincent van Gogh“ (1951) des immer noch zu entdeckenden Niederländers
Fré Focke. Auf kargere Kost muss man sich bei den „American
Ultramodernists“ einstellen, deren (anders als in der Überschrift
angekündigt) fast durchweg in die 20er-Jahre zu datierende
Klavierexkurse einen bewussten Gegenentwurf zur gerade modischen
Neoklassik bilden: Henry CowelI durfte sogar als Entdecker des Clusters
und des SpieIs im Inneren des Klaviers in die Geschichte eingehen.
Die geheimen Fäden des Programms laufen bei Dane Rudhyar zusammen,
dem Schleiermacher bei ART eine eigene CD gewidmet hat. Am haltbarsten
scheinen mir jedoch die Präludien der bereits mehrfach diskographisch
gewürdigten Ruth Crawford Seeger. In der zweiten Folge „Klaviermusik
der Darmstädter Schule“ schließlich begeben wir
uns nach den Pionierwerken der 50er-Jahre ins nächste Jahrzehnt.
Während Earle Brown und Henri Pousseur (der vielleicht eine
Wiederentdeckung wert wäre) ihre Stück auch schon früher
hätten schreiben können, knüpft Kagels „Mimetics
(Metapièce)“ insofern an Cage an, als ein anderes Werk
eines lebenden Komponisten (hier Schleiermacher selber) dazu simultan
zu erklingen hat. Lachenmanns „Echo andante“ steht noch
unter dem Einfluss seines Lehrers Nono, während Stockhausens
Klavierduo „lntervalle“ aus dem Zyklus von Textkompositionen
„Für kommende Zeiten“ (1969) dem Motto gehorchend
in eine andere Ära gehört: die der intuitiven Musik, wo
der Interpret über sich hinauswächst, da er mit einer
eigenschöpferischen Leistung betraut wird.
Wem dies noch nicht reicht: Zwei Folgen „Asia Piano Avantgarde“
sind ebenfalls bereits veröffentlicht. Schleiermacher erkundet
also unermüdlich Haupt- wie Nebenwege des 20. Jahrhunderts.
Dabei geht es ihm weniger um eine qualitative Bewertung irgendwelcher
Raritäten (darum möge sich die Musikwissenschaft kümmern)
als darum, Lichtkegel in die Schattenzonen unserer Repertoire(un)kenntnis
zu werfen. Andere mögen die Fundstücke dann sortieren,
aufpolieren und ergänzen. Doch die archäologische Leistung
wird Schleiermacher keiner streitig machen.
Mátyás Kiss
bei den „American Ultramodernists“ einstellen, deren
(anders als in der Überschrift angekündigt) fast durchweg
in die 20er-Jahre zu datierende Klavierexkurse einen bewussten Gegenentwurf
zur gerade modischen Neoklassik bilden: Henry CowelI durfte sogar
als Entdecker des Clusters und des SpieIs im Inneren des Klaviers
in die Geschichte eingehen. Die geheimen Fäden des Programms
laufen bei Dane Rudhyar zusammen, dem Schleichermacher bei hatArt
eine eigene CD gewidmet hat. Am haltbarsten scheinen mir jedoch
die PräIudien der bereits mehrfach diskographisch gewürdigten
Ruth Crawford Seeger. In der zweiten Folge „Klaviermusik der
Darmstädter Schule“ schließlich begeben wir uns
nach den Pionierwerken der 50er-Jahre ins nächste Jahrzehnt.
Während Earle Brown und Henri Pousseur (der vieIleicht eine
Wiederentdeckung wert wäre) ihre Stück auch schon früher
hätten schreiben können, knüpft Kagels „Mimetics
(Metapièce)“ insofern an Cage an, als ein anderes Werk
eines lebenden Komponisten (hier Schleiermacher selber) dazu simultan
zu erklingen hat. Lachenmanns „Echo andante“ steht noch
unter dem Einfluss seines Lehrers Nono, während Stockhausens
Klavierduo „lntervalle“ aus dem Zyklus von Textkompositionen
„Für kommende Zeiten“ (1969) dem Motto gehorchend
in eine andere Ära gehört: die der intuitiven Musik, wo
der Interpret über sich hinauswächst, da er mit einer
eigenschöpferischen Leistung betraut wird.
Wem dies noch nicht reicht: Zwei Folgen „Asia Piano Avantgarde“
sind ebenfalls bereits veröffentlicht. Schleiermacher erkundet
also unermüdlich Haupt- wie Nebenwege des 20. Jahrhunderts.
Dabei geht es ihm weniger um eine qualitative Bewertung irgendwelcher
Raritäten (darum möge sich die Musikwissenschaft kümmern)
als darum, Lichtkegel in die Schattenzonen unserer Repertoire(un)kenntnis
zu werfen. Andere mögen die Fundstücke dann sortieren,
aufpolieren und ergänzen. Doch die archäologische Leistung
wird Schleiermacher keiner streitig machen.