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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 38
55. Jahrgang | Oktober
Rezensionen
Zwischen Hollywood und Mississippi
TV-Shows des „King“: „’68 Comeback Special“,
„Elvis, Aloha from Hawaii“
Um „God’s Own Country“ zu „verstehen“,
muss man den großen Stimmen Amerikas lauschen: dem Crooner
Frank Sinatra („The Voice“), der Country-Ikone Johnny
Cash („The Man in Black“), dem „King“ Elvis
Presley und dem bellenden Poeten Bob Dylan, dem letzten Überlebenden
dieses Quartetts, dem es jüngst sogar gelungen ist, mit seinem
unglaublich altmodischen Album „Modern Times“ nach genau
dreißig Jahren noch einmal die Spitzenposition der US-Charts
zu erobern. Was alle miteinander verbindet? Sie alle heulten gerne
den Mond an, den die Amerikaner 1969 ja auch noch erobern mussten.
Wenige Monate vorher, am 3. Dezember 1968, fand bei NBC ein denkwürdiges
TV-Event statt: das „’68 Comeback Special“ des
„King“, das schlicht den Titel „Elvis“ trug.
Nebenbei bemerkt, auch bei dieser Gelegenheit sang Presley wieder
ein Mondlied: „When My Blue Moon Turns To Gold Again“.
Nachdem Sony-BMG vor einiger Zeit schon eine Luxusversion dieses
legendären Konzerts veröffentlichte, gibt es nun auch
eine entschlackte Fassung der Show auf DVD, zusammen mit dem TV-Special
„Elvis, Aloha From Hawaii“ von 1973.
Als Elvis, the Pelvis, im Sommer 1968 in den NBC-Studios in Burbank
diese Weihnachtsshow aufnahm, war es höchste Zeit für
ein Comeback gewesen. Denn nach seiner Entlassung aus der US-Armee
Ende der Fifties war der Rock’n’Roll-King zahm geworden.
In den Sixties erschienen fast nur noch Soundtrackalben zu seinen
unzähligen Filmen, die im Übrigen nicht alle so schlecht
waren, wie immer wieder nachgeplappert wird. Gezähmt hatte
ihn natürlich sein Manager Colonel Tom Parker, der sich dieses
NBC-Spezial ganz anders vorstellte: Der King sollte darin zwanzig
Weihnachtslieder singen. Wie in den frühen „Sun“-Records-Aufnahmen
brachte Elvis für den Pop-Mythomanen Greil Marcus in einer
Handvoll Songs in dieser Show eine „brennende, verzweifelte
Art von Leben ..., die sich sonst in seiner Musik nicht wiederfinden
lässt.“ Eine denkwürdige Session, ein Neubeginn,
ein magischer Moment. „Da also war Elvis“, schreibt
Marcus, „da stand er in einem Auditorium, vor sich Fernsehkameras
und ein Live-Publikum, da stand er zum ersten Mal seit fast einem
Jahrzehnt, nachdem er sich endlich hinter einer Wand von Schranzen
und Speichelleckern hervorgetraut hatte, die er bezahlte, damit
sie ihn verbargen. Und alle schauten zu. Er saß auf der Bühne
in schwarzem Leder, umgeben von Freunden und einer ruppigen kleinen
Combo, die Menge raunte, er sang und redete und machte Witzchen,
und all der Unmut, den er über die Jahre in sich hineingefressen
hatte, begann, aus ihm herauszubrechen. Er hatte immer ja gesagt,
aber diesmal sagte er nein – nicht ohne Humor, aber beinahe
mit einem sarkastischen Anflug von Schuld, als hätte er sein
Talent und sich selbst verraten. Been a long time, baby.“
Als Leitmotiv ziehen sich durch die Show zwei Lieder, die für
die Vergangenheit und die Zukunft stehen: Leiber & Stollers
Hollywood-Rock-Nummer „Trouble“ und Jerry Reeds Nashville-Klassiker
„Guitar Man“. Zwischen Country & Soul sollten dann
auch die Songs seiner kommenden Memphis-Sessions pendeln, dem letzten
musikalischen Höhepunkt seiner Karriere. Von nun an ging’s
bergab. Den Anfang vom Ende kann man entdecken in der TV-Show, die
am 14. Januar 1973 über Satellit angeblich in die Wohnzimmer
eines Drittels der Weltbevölkerung übertragen wurde: „Elvis,
Aloha from Hawaii“. Der King ist müde geworden. Vergleicht
man die Interpretationen der Songs, die er in beiden TV-Shows gesungen
hat, „Blue Suede Shoes“ oder „Hound Dog“,
miteinander, geht dieser Vergleich zu Gunsten des Comeback-Specials
aus. Und doch schimmert immer wieder etwas vom alten Performance-Genie
durch, wie in „Dixie“.
„I wish I was in Dixie“, sang Bob Dy-lan vor ein paar
Jahren in der bizarren Untergangsphantasie „Masked And Anonymous“,
aber es war Elvis, der 1973 in Hawaii diese Südstaatenhymne
einem weltweiten Fernsehpublikum vorsang. „Dixie“ war
Teil der „American Trilogy“, zu der auch „The
Battle Hymn of the Republic“ und das Sklavenlied „All
My Trials“ gehört, die zum merkwürdigen Höhepunkt
der Show wurde. Greil Marcus brachte es auf den Punkt: „Wenn
Elvis das singt, gibt er zu verstehen, dass seine Bühnenpersönlichkeit
und die Kultur, die er aus Blues, Las Vegas, Gospel, Hollywood,
Gefühlsmatsch, Mississippi und Rock ’n’ Roll gemacht
hat, jedes Amerika in sich bergen kann, das man eventuell heraufbeschwören
möchte. Es ist ziemlich lincolnhaft; Elvis begreift, dass der
Bürgerkrieg nach wie vor noch nicht vorbei ist, also spielt
er die Union.“