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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 40
55. Jahrgang | Oktober
Noten
Ein ganz gemeiner Fehler
Vom Versuch, die Verwirrungen um eine Mozart-Arie aufzulösen
Heute wie früher wird fast immer der obligate Kontrabass
in der Mozart-Arie KV 612 gegenüber der Originalnotation zwei
Oktaven tiefer gespielt. Jedoch darf der Kontrabass als transponierendes
Instrument nur eine Oktave transponiert werden! Mozarts Vater bezeichnete
es als einen in der musikalischen Setzkunst „ganz gemeinen
Fehler“, wenn man ein Soloinstrument in den mittleren und
tiefen Bereich des Klangs der Begleitstimmen einbettet, was in diesem
Fall dem obligaten Kontrabass als Solo-Instrument widerfährt.
Der Kontrabasslehrer an der Akademie für Musik und darstellen-de
Kunst in Wien, Max Dauthage, hat dies auch bereits vor fast hundert
Jahren kritisiert und hat damit „einen Stich ins Wespennest“
riskiert. Doch nichts hat sich geändert. Da jedoch Mozarts
Werk endlich wieder original interpretiert werden sollte, ist den
Meinungen verirrter Verlage, Verleger und den meisten Vertretern
der damit beschäftigten Wissenschaft entgegenzutreten!
Die international anerkannten Musikwissenschaftler Jahn und Abert
begingen in ihren großen Mozartbiographien den Fehler, die
Arie zu beurteilen, ohne die speziellen Besonderheiten des Kontrabasses
zu kennen und zu berücksichtigen. So schrieb Jahn: „...
das Interesse der Arie ruht wesentlich auf der Virtuosität
des Contrabassisten, die aber doch in sehr engen Grenzen eingeschlossen
ist und mit dem Violoncell nur zu ihrem Nachteil zu wetteifern versuchen
kann ... Curiosität ...“. Damit legte Jahn für ein
ganzes Jahrhundert den Duktus fest, dessen sich die nachfolgende
Literatur kritiklos bediente. Auch Abert schrieb: „Seine [Mozarts]
letzte Einzelarie für eine Bassstimme mit obligatem Kontrabass
ist bei aller Gefälligkeit ihres Charakters doch mehr als ein
Kuriosum zu betrachten ...“
Köchel hatte in seinem thematischen Verzeichnis sämtlicher
Tonwerke Mozarts das Urteil von Jahn ungeprüft und fast wörtlich
übernommen: „... diese Arie ist [als] ein durch besondere
Voraussetzungen bedingtes Gelegenheitsstück zu betrachten.
Zwar gefällig, aber nicht bedeutend.“ Auch heute noch
werden Jahns und Aberts falsche Behauptungen von desorientierten
Musikwissenschaftlern gedankenlos wiederholt. Aber eine korrekte,
dem Kunstwerk angepasste Bewertung hätte etwa lauten müssen:
„Irgend etwas an der Arie stimmt nicht, allerdings ist der
Fehler noch nicht erkannt.“
Die Lösung des Problems liegt im Wissen um die Skordatur
(!), für die Mozart das Stück schrieb, und im Wissen um
die Größe des Instruments, auf dem der obligate Kontrabass
in dieser Arie gespielt wurde: Mozart schrieb die Solostimme für
Pichelberger (Kontrabassist bei Schikaneder) und einen Bariton-Kontrabass
mit einer kleinen Mensur (fast gleich dem Cello). Pichelberger war
für sein virtuoses Flageolettspiel bekannt, und Mozart nutzte
in seiner Arie KV 612 diese Fähigkeit für Akkordzerlegungen
und besonders hoch liegende Töne sowie Passagen. Diese spezielle
Skordatur (klingend von oben nach unten: d, A, E, G1; die oberen
Saiten werden gegenüber der Normalstimmung des Kontrabasses
eine Quint, die tiefste Saite nur eine kleine Terz hinaufgestimmt)
bildet auch alle Intervalle – bis auf die tiefen Töne
auf der untersten Saite – zwar transponiert, aber korrekt
ab. Dabei werden alle Töne der originalen (Klang-)Notation
(einschließlich der normalen Oktavtransposition) von Mozart
spielbar; im Gegensatz zu den gedruckten Ausgaben muss keine einzige
Note „umkomponiert“ werden.
Clarissa Bürgschwendtner hat über die Verwirrungen um
KV 612 im Jahr 2005 am Mozarteum eine Diplomarbeit geschrieben und
in Kürze wird von Clarissa und Alfred Bürgschwendtner
ein Artikel in dem Buch „Irrtümer und Fehler“ erscheinen.
Eine praktische Ausgabe des Notenmaterials auf dieser Basis ist
demnächst im Eigenverlag Bürgschwendtner erhältlich,
womit eine große Lücke geschlossen wird. Damit entsteht
eine dem Erstdruck folgende Ausgabe mit verständlichen Anleitungen,
welche diese hochwertige Mozartarie für gute Kontrabassisten
zu einer Krönung ihrer Sololiteratur macht.