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nmz-archiv
nmz 2006/10 | Seite 34
55. Jahrgang | Oktober
ver.die
Fachgruppe Musik
Die Bestimmung des Menschen
Ein großartiges Dortmunder Ausstellungskonzept: „Macht
Musik
Ungewöhnlich, wenn nicht gar einmalig: Ein regierungsamtliches
Institut widmet sich psycho-sozialen Fragen des Arbeitsschutzes
und holt dazu sogar Kunst und Künstler ins Boot, die erfahrungsgemäß
noch mehr Fragen stellen – und wenn überhaupt nur komplexe
Antworten finden, die Arbeitsschutzparagraphen sprengen. Gerade
ist dort die Ausstellung „Macht Musik“ zu sehen. Dabei
geht es weniger um Paragraphen, sondern um einem komplexen Lernort
mit vielen Veranstaltungen, auch für Lehrkräfte. Aber
eben das ist ein Prinzip der DASA am Rande von Dortmund.
Was heißt im Ruhrgebiet schon „am Rande“? Mehr
als 200 000 Menschen finden jährlich den Weg in die „Deutsche
Arbeitsschutzausstellung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz
und Arbeitsmedizin“, trotz des unwirtlichen Namensungetüms,
das allein wie eine Verordnung müffelt. DASA, die Abkürzung
für die zur einzigen Bundesbehörde außerhalb Berlins
und Bonns gehörende Ausstellungshalle, klingt da schon innovativer.
Überdies liegt die DASA verkehrsgünstig und ist sogar
mit einer Schwebebahn zu erreichen. 1993 wurde das Gebäude
als EXPO-Projekt eingeweiht, das mit seinen 13 000 Quadratmetern
so gar nichts mit den herkömmlichen Museen zu tun hat.
Die Mitarbeiter – rund 80 sind es – bezeichnen die
DASA selber als einen Lernort, weil viele Objekte und Technik-Abteilungen
in Funktion zu setzen und in ihrem Umfeld tatsächlich zu begreifen
sind. Eine Druckerei etwa, in der die Schwernisse des Berufs im
Wandel vom Litho-Druck bis zum Medienarbeitsplatz erfahrbar sind.
Erwähnt sei von den vielen Abteilungen noch die der historischen
Eisenherstellung und -verarbeitung, die in einer Region nicht fehlen
darf, in der die Menschen früher davon lebten und darunter
auf andere Weise litten als heute, wo die meisten mit Kohle und
Stahl Beschäftigten ihren Beruf verloren haben oder irgendwie
umgeschult worden sind: So sind dort Großväter zu beobachten,
die ihren Enkelkindern ein Stück ihres Lebens anschaulich machen.
– Und all das ist zur Kunst in Beziehung gesetzt sowie zu
Gedanken, Essays, Aufsätzen und Darstellungen, die sich mit
der „Neuen Qualität der Arbeit – Wie wir morgen
arbeiten werden“ beschäftigen (So der Titel eines profunden
Buches der DASA).
Zwei Ausstellungen haben der langjährige Leiter der DASA,
Gerhard Kilger, und sein Team in diesem Sommer konzipiert, und sie
sind damit an die Grenzen ihres vier Millionen-Sachmittel-Etats
gelangt: „Macht Musik“ die eine – sowie Plastiken
und Objekte von Jürgen Brodwolf die andere. Der renommierte,
in Südbaden lebende Künstler Jürgen Brodwolf (Jahrgang
1932) nahm sich auf eine ganz stille und doch aufwühlende Weise
der Opfer-Rolle des Menschen in der Industriegeschichte dieser Region
an – in Collagen, die fotografisch mit dem Moloch Maschine
umgehen, die mineralische Stoffe ebenso wie Produktionsabfälle
versammeln, so wirken seine faltenreichen Papierfiguren um so fragiler
und larvenähnlicher. Was bewegt sich noch? Allein das Stoffliche?
Den Gegenpart zu Jürgen Brodwolfs Arbeiten bietet die Ausstellung
„Macht Musik“. „Warum macht der Mensch Musik?“
wird als Eingangsfrage für die 13 Themenräume zum Schamanentum,
zur Oper, zur choreographierten Musik, zur Kammermusik bis hin zur
zeitgenössischen gestellt. Besucherinnen und Besucher toben
sich in einem Tonstudio mit Band-tauglichem Instrumentarium aus,
sie nehmen vorsichtig Geige, Bratsche und Cello in die Hand (nicht
eins der Instrumente ist bislang zerstört worden!). Überall
klingt es, lädt ein, zum Klingen zu bringen. Und sie stehen
vor einer sensationellen 30 000 Jahre alten Knochenflöte, die
im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg von Archäologen
gefunden wurde: Tja, warum macht der Mensch Musik?
Gewiss nicht als Ausdruck von Arbeitsschutzbestimmungen, sondern
um seine Bestimmung zu finden und seine Bestimmungen zu überschreiten
und seiner Seele Ausdruck und Halt zu geben. Gerhard Kilger stellt
darüber hinaus in seinem Katalog-Vorwort fest: „Personalmanager
haben längst erkannt, dass im globalen Wettbewerb die menschlichen
Potenziale wie Schaffenskraft und Kreativität den Ausschlag
geben werden. Auch hierfür bietet die Musik eine noch kaum
entdeckte Grundlage.“ Grundlagenforschung treibt diese Ausstellung
indessen nicht, darum bemühen sich Katalogbeiträge. Autoren
sind unter anderem der Donaueschingen-Verantwortliche Armin Köhler,
der sich dem Geräusch als ästhetischer Kategorie in der
neuen Musik widmet. Brigitte Fassbaender, Pierre Boulez, Albert
Mangelsdorff, Ernst Pöppel und Joachim Kaiser sind in Gesprächen
zu vernehmen.
Die Ausstellung hingegen versucht eher Phänomene sichtbar
zu machen und führt dazu in ein „Music Village“
mit 13 Häusern nach dem Vorbild eines indischen Ortes, in dem
man sich angeblich durch Geräusche und an Klängen orientieren
kann. Auf den Gängen, den Wegen, mischen sich die akustischen
Signale, und da die Besucher selber etliche Häuser „bespielen“
können, entsteht ein polyphoner bewegter Sound-Mix. Das Verblüffende
daran ist, dass die didaktischen Angebote – von der Frühgeschichte
über die Sphärenmusik bis hin zu den zeitgenössischen
Musiken – eine Stärke besitzen, die die Besucher als
„Musik“-Experimentatoren jede Scheu vergessen lässt.
Fast beiläufig ist etwas über den Instrumentenbau, über
Musikwiedergabe, -produktion, -kult und Musik und Heilung oder Religion
– und eben Macht im historischen Kontext zu erfahren.
Das für ungezählte Bereiche zu zeigen, ist das Verdienst
der DASA. Wenngleich in Fragen der Macht auch die Grenzen der reinen
Ausstellung deutlich werden: Erst die weitgespann-ten Aufsätze
von Christian Kaden zu „Macht und Musik“ und von Aldo
Venturelli zur „Vergeistigung der Macht und der Traum einer
mediterranen Musik“ (über Nietzsche) geben dem Ausstellungsthema
eine Bodenhaftung und sie fundieren das offensichtlich Schwärmerische,
das sich optisch leicht im Kulthaften zu verlieren scheint. Aber
um diese Gefahr weiß man bei der DASA und bietet deswegen
Führungen und Vorträge an. Wer etwa weiß heute unter
uns über das Tun und Wirken von Schamanen und ihrer Musik?
In der DASA wird es demnächst sogar „zum Anfassen“
geboten.
Burkhard Baltzer
Bis 15. Oktober in Dortmund. Es ist ein Katalogbuch erschienen.
www.dasa-dortmund.de