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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 35
55. Jahrgang | November
Bayerischer Kulturrat
Multitalente mit großer Begabung
Die Bayerischen Kunstförderpreise 2006 wurden vergeben –
Von Manfred Elsberger
Die mit je 5.000 Euro dotierten Bayerischen Kunstförderpreise
in den Sparten Musik und Tanz, Darstellende Kunst, Bildende Kunst
und Literatur wurden von Kunstminister Thomas Goppel in München
bekanntgegeben. „Der Bayerische Kunstförderpreis ist
Anerkennung für das bisher Geleistete und soll zugleich Ansporn
und Unterstützung in ideeller und materieller Hinsicht für
den eingeschlagenen künstlerischen Werdegang der jungen Preisträger
sein“, betonte der Kunstminister. Die Preisträger müssen
über eine außergewöhnliche Begabung verfügen
und durch hervorragende Leistungen hervorgetreten sein.
Die Preise in der Sparte Musik und Tanz gehen in diesem Jahr an
Alessandro Pereira, Claus Raible, Laura Konjetzky und Marko Zdralek.
Der Tänzer Alessandro Pereira aus Brasilien studierte klassisches
Ballett sowie Jazz und Contemporary-Dance. Er tanzte als Solist
unter verschiedenen international bekannten Choreographen. Mit Bravour
meistert er die unterschiedlichen Anforderungen sowohl im klassischen
Ballett als auch im Bereich des modernen Tanzes und setzt sie jeweils
im Sinne des Choreographen ideal um. Seit der Spielzeit 2003/2004
tanzt er im Ensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Der
Pianist, Arrangeur und Komponist Claus Raible studierte Jazzklavier
an der Musikhochschule Graz.
Sein Klavierspiel ist geprägt von einer sehr farbigen Harmonik,
klaren Melodielinien und einer kraftvollen Rhythmik. Er geht damit
jenseits modischer Strömungen des heutigen Jazzklaviers einen
eigenen Weg, der ihm auch international schon viel Anerkennung eingebracht
hat. Die in München geborene Pianistin Laura Konjetzky hat
insbesondere als Pianistin und Interpretin zeitgenössischer
Musik sowie als Improvisatorin und Komponistin auf sich aufmerksam
gemacht. Dabei sucht sie stets ungewöhnliche Aufführungsorte
und Mittel, die über das normale Klavierspiel hinausgehen,
wie z. B. Präparationen und Performance-Elemente. Mit Laura
Konjetzky wird eine Künstlerin gefördert, die den Mut
hat, eigene und riskante Wege zu gehen. Der Komponist Marko Zdralek
studierte an der Hochschule für Musik München und an der
Hochschule für Musik in Würzburg. Zdraleks Kompositionen
sind immer von großer Ernsthaftigkeit geprägt. Sein an
Gehalt reiches Oeuvre umfasst Kammermusik, Orchesterwerke ebenso
wie elektronische Werke und Vokalwerke. Die Preise in der Sparte
Darstellende Kunst gehen an die Schauspieler Marina Galic und Maximilian
Brückner sowie die Sängerinnen Silke Evers und Daniela
Sindram.
Die Jury würdigt bei Marina Galic, die zur Spielzeit 2002/2003
an das Bayerische Staatsschauspiel kam, besonders ihre aufregende
Sperrigkeit, die dem Zuschauer Gelegenheit zur Auseinandersetzung
bietet. Ihr ungewöhnliches Talent macht sie zu einer wichtigen
Schauspielerin im Ensemble des Bayerischen Staatsschauspiels. Maximilian
Brückner, seit 2003 am Münchner Volkstheater, hat sich
dort kontinuierlich zu einem Schauspieler entwickelt, der es versteht,
in jeder Rolle auf neue Art und Weise zu überraschen und zu
fesseln. Er erkennt in jeder Figur ihre Besonderheit.
Die Sopranistin Silke Evers kam zur Spielzeit 2003/2004 an das
Mainfranken Theater Würzburg. Die besondere stimmlich-sprachliche
Gestaltung ihrer Gesangspartien gepaart mit ihrem schauspielerischen
Talent und ihrer unaufdringlichen Intensität macht sie zu einer
ebenso intelligenten wie eindrucksvollen Darstellerin. Bei Daniela
Sindram (seit 2003 Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper)
hebt die Jury neben ihrer Stimme ihren besonderen Mut hervor.
Die Sängerin hat an der Bayerischen Staatsoper in der letzten
Zeit auch in größeren Rollen zunehmend auf sich aufmerksam
gemacht. Ihre weitere Entwicklung sei viel versprechend. In der
Sparte Bildende Kunst werden die Künstlerinnen und Künstler
Ingrid Floss, Christian Hiegle, Michael Schrattenthaler, Veronika
Veit und Florian Tuercke ausgezeichnet. Die Malerin Ingrid Floss
wurde 1970 in Köln geboren, studierte an der Akademie in München
und legte dort ihr Diplom als Meisterschülerin ab. Seit 2000
hat sie an Ausstellungen im In- und Ausland mitgewirkt. Sie ist
eine Malerin, die gegenstandslos arbeitet und nach der puren Form
der Farbe strebt. Sie formuliert auf sehr persönliche Weise
grundlegende visuelle Themen, die in der malerischen Tradition des
letzten Jahrhunderts in München und Bayern liegen. Christian
Hiegle wurde 1973 in Landau in der Pfalz geboren und studierte an
der Nürnberger Akademie Malerei, wo er als Meisterschüler
abschloss. Seine Bilder sind keine verschlüsselten Pinselgrübeleien,
sondern Bilder, die ohne Gags oder modische Tendenzen auskommen.
Sie sind sicher, einfach, dicht und souverän gemalt. Der in
Kufstein geborene Künstler Michael Schrattenthaler studierte
an der Akademie der Bildenden Künste in München und tritt
seit 1990 mit installativen Großprojekten an die Öffentlichkeit.
In diesen zeigt sich seine außergewöhnliche Fähigkeit,
mit sparsamen Mitteln Räume völlig neu zu definieren,
dabei vielfältige Assoziationen freizusetzen und die Wahrnehmung
der Betrachter zu schärfen. Schrattenthalers Installationen
markieren vor dem Hintergrund einer extrem bildlastigen Kunstszene
einen bewusst kargen, asketischen Gegenpol. Die in München
geborene Bildhauerin Veronika Veit hat ebenfalls an der Akademie
der Bildenden Künste in München studiert. Sie greift in
ihren Werken mit Vorliebe gewöhnliche Dinge der Alltagswelt
auf und formt sie in Skulpturen, Installationen und Fotografien
zu Objekten einer künstlichen Modellwelt um, wobei sie in der
digitalen Bildwelt ebenso zu Hause ist wie im traditionellen Bildhauerhandwerk.
Florian Tuercke erhält den Preis im Spezialfach Performance.
Er wurde 1977 in Nürnberg geboren und studierte an der Nürnberger
Akademie, wo er als Meisterschüler abschloss. Tuercke schafft
Klanginstallationen, bei denen drei Komponenten zusammenwirken:
der jeweilige Ort der Aufführung und der skulptural ausgebildete
Klangkörper, der auf der exakten Mitte von durch den Raum gespannten
Klaviersaiten balanciert. Als dritte Komponente kommt die klangliche
Struktur, der performativ-klangliche Eingriff in den Raum, hinzu.
Alle drei Aspekte ergänzen sich zu einer Einheit, akustische
und visuelle Ästhetik fließen ineinander.
In der Sparte Literatur gehen drei Preise, einer davon dotiert
von der Kester-Haeusler-Stiftung, Fürstenfeldbruck, an die
Lyrikerin Nora Gomringer, die Autorin Katja Huber und den Dramatiker
Nuran Calis. „Die Texte der diesjährigen Kunstförderpreisträger
thematisieren auf individuelle und intensive Weise die Suche junger
Menschen nach ihren Wurzeln, nach Identität und Zugehörigkeit.
Aus oft überraschenden Blickwinkeln, in sehr unterschiedlichen
Tonlagen werden Lebensfragen gestellt, die für die junge Generation
typisch sind,“ sagte Kunstminister Thomas Goppel zu den Vorschlägen
der Jury. Eine Sprachkünstlerin mit Geist und Witz ist die
1980 geborene Lyrikerin Nora Gomringer. Schon im Gedichtband „Silbentrennung“
von 2002 präsentierte sich eine selbstbewusste lyrische Stimme,
vielseitig begabt, experimentierfreudig und reflektiert. Innerhalb
der deutschen Poetry-Slam-Szene, aber auch darüber hinaus hat
Nora Gomringer als aktive Literaturvermittlerin und mehrfache Preisträgerin
längst einen Namen. In der Sprechtextsammlung „Sag doch
mal was zur Nacht“ (2006) ist auf einer CD die stimmgewaltige
Ausdruckskraft der Autorin zu hören, die sie auf der Bühne
schon oft unter Beweis gestellt hat. Der Poetry Slam, den Nora Gomringer
repräsentiert, stellt eine in der bayerischen Literaturszene
besonders lebendige und produktive Strömung dar. Die Autorin
Katja Huber, Jahrgang 1971, wird für ihren ersten Roman „Fernwärme“
(2005) ausgezeichnet. Katja Huber zeigt in diesem Roman ihre Fähigkeit
zum vielschichtigen, nuancierten Erzählen. Wie ein Kaleidoskop
fächert der Text die Stationen einer Familiengeschichte über
mehrere Generationen hinweg auf, die sich zwischen Deutschland und
Russland bewegt. Ihre Versiertheit mit dem Metier des Hörspiels
bringt Katja Huber in humorvollen, pointierten Dialogszenen zur
Geltung. Nuran David Calis, geboren 1976, hat in der deutschen Theaterszene
schon vielfach Beachtung erfahren. Seine Stücke, häufig
angesiedelt in Erfahrungsräumen randständiger Jugendkultur,
verarbeiten in authentischer, zum Teil auch provokativer Weise soziale
Realitäten und verweisen auf entstehende Parallelgesellschaften.
Die Menschen in Calis’ Stücken „Dogland“,
„Dog Eat Dog“ „Café Europa“ und „Schwarz“
suchen nach Heimat, Zugehörigkeit und einer lebbaren Zukunft.
Calis’ Stücke zeichnen sich durch temporeiche Szenenmontage
und eindringliche Dialogführung aus. Die Grenzen zum Surreal-Traumhaften
oder zur Groteske sind häufig fließend.
Kunstminister Thomas Goppel wird die Bayerischen Kunstförderpreise
am 16.11.2006 um 18.00 Uhr im Kaisersaal der Münchener Residenz
überreichen.