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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 9
55. Jahrgang | November
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Stings Wunsch
Auch Popstars werden älter, und irgendwann wachsen sie in
die Rolle von Pensionären der Medienindustrie hinein, denen
die kreischenden Teenies nicht mehr scharenweise zu Füßen
liegen. Eine Band wie die Rolling Stones scheint das nicht zu kümmern;
mit Hilfe von PR-Maschinerie, Lightshow und dichtem Bühnennebel
inszenieren sie die Story vom ewig jungen Protestrocker auch noch
als Untote des Showbusiness. Der 1951 geborene Gordon Matthew Sumner
alias Sting geht einen anderen Weg. Schon mehrfach machte er mit
ungewöhnlichen Aktivitäten Schlagzeilen: Als Gutmensch
mit seiner Stiftung zum Schutz des Regenwalds, als politisch Engagierter
mit seinem Engagement für Amnesty International und als Vortragsredner
an Universitäten, was ihm mit zwei Ehrendoktortiteln vergolten
wurde. Sein Streben nach Höherem zeigt sich nun wieder in seiner
neusten CD mit Liedern von John Dowland.
Für seinen Ausflug in die englische Renaissancemusik präsentiert
er sich optisch entsprechend seriös: ein ernsthafter Mann im
reifen Alter, mit forschendem Blick und einer Laute im Arm. Seine
Firma, die Deutsche Grammophon, stellt diesen Eindruck ins Zentrum
ihrer aufwendigen PR-Kampagne. Ein durch Klassik veredelter Popstar,
ein neues Geschäftsmodell? Bildet doch der flächendeckende
Deppensound auf Dauer keine solide Einkommensbasis mehr. Das gleiche
Label brachte im Frühjahr schon das zwischen Pop und E-Musik
angesiedelte Stilmischmasch des World Music-Komponisten Osvaldo
Golijov auf den Markt. Nun lässt es in der Hoffnung auf neue
Kundschaft einen Versuchsballon mit historischem Crossover steigen.
Aber wer soll diese Dowland-Lieder hören? Die phongestählten
Popmusikjünger werden kaum massenhaft Gefallen an den melancholischen
Liedern finden, und das Klassikpublikum ist zu anspruchsvoll, um
dem eintönigen Gesangsstil des Popsängers mehr als einen
Reiz des Exotischen abzugewinnen. Bleiben jene lifestyligen Musikfans,
nach denen sich die neuen Klassik-Plätscherwellen der Öffentlich-Rechtlichen
sehnen und für die Klassik nur eine Sozialprestige verheißende
Farbe unter verschiedenen Musikrichtungen darstellt, die man so
eben mal ausprobiert. Heute Prince, morgen Mozart, übermorgen
Sting.
Die Schwäche dieses neuen Crossover-Experiments liegt aber
nicht im Marketing, sondern im künstlerischen Bereich: Gesangskulturen
lassen sich nicht einfach im copy/paste-Verfahren von einer historischen
Ebene auf eine andere verpflanzen. Das heute verbreitete undifferenzierte
Hören mag sich daran nicht stören, es findet vielleicht
gerade diese postmodernen Stilmontage besonders reizvoll: ein unbekannter
Komponist, eine irgendwie alt, aber unproblematisch klingende Musik
und ein Medienstar als Interpret. Wer hingegen mit der Musik aus
der Frühzeit der bürgerlichen Epoche ein wenig vertraut
ist, wird von der Indifferenz, mit der Dowlands Lieder heruntergesungen
werden, gelangweilt sein.
Man hört einen an handfeste stimmliche Ausdrucksweise gewöhnten
Sänger, der Unterricht in Alter Musik genommen hat und seine
neuen Kenntnisse nun schülerhaft anwendet: Der Legatogesang
wirkt flach, der leicht heisere Ton bildet eine farblich eintönige
Dauerpatina, der Ausdruck ist starr und eindimensional. Mit dem
gezwungenen Einfachheitsgestus kollidiert ei-ne überzüchtete
Aufnahmeästhetik, die die auf natürliches Körpermaß
zugeschnittenen Lieder in einen virtuellen Raum einsperrt. Das alles
mag für die Popmusik des späten Industriezeitalters passen.
Bei der Vokalmusik des 16. Jahrhunderts, in der das frühbürgerliche
Subjekt auf der Suche nach sich selbst sein unsicheres Weltgefühl
in feinsten musikalischen Nuancen zum Ausdruck bringt, wirken diese
Mittel leer, wenn nicht sogar grob.
Da nützt es nichts, wenn Gordon Mat-thew Sumner sich an John
Dowland heranschmeißt, indem er ihn zum „first travelling
popstar“ und seine Lieder flugs zu Popsongs erklärt.
Erfolg als gemeinsamer Nenner für völlig verschiedene
Dinge hat noch nie getaugt. Sting bleibt Sting, auch wenn er gerne
einmal aus seiner medialen Existenz heraustreten möchte und
sich dazu ein hohes Vorbild ausgesucht hat. Die musikalischen Welten
sind inkompatibel. Aus dem Popgeschäft gibt es kein Zurück.