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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 45
55. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Gegenwartsmusik, wie hältst du es mit der Politik?
Das Leipziger Festival „MachtMusik“ stellt die Gretchenfrage
Alles spricht von Systemen. Auch die Kultur- und Sozialwissenschaften.
Sie beschreiben beispielsweise die Politik als ein großes,
in sich geschlossenes soziales System, das nach eigenen Regeln und
Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Ebenso interpretieren
sie die Musik beziehungsweise das Musikgeschäft als etwas Eigenständiges
mit Systemcharakter. Eine äußerst spannende, aber leider
nur schwer zu beantwortende Frage ist, wie beide Systeme miteinander
wechselwirken. Dass sie es tun, scheint jedenfalls unzweifelhaft.
Wie sonst hätte das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig
e.V. (FZML) auf die Idee kommen können vom 13. bis 23. September
ein „Festival für politische Musikkultur“ unter
der Überschrift „MachtMusik“ zu veranstalten?
Schon der Titel ließ vermuten, dass die Initiatoren strukturelle
Kopplungen zwischen Politik- und Musiksystem voraussetzen. Im Programmtext
bestätigte sich dieser Verdacht: „Musik war immer Gradmesser
politischer Gegebenheiten. Sie ließ sich häufig mit den
Verhältnissen ein, war anbiedernd und machtbesessen oder auch
gefährlich und subversiv. Sie wurde genauso benutzt, wie sie
verändern wollte, genauso kritisiert, wie sie selbst polemisierte.“
Die
Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot. Foto: FZML
Die zentrale Frage auf der Agenda der Festivalmacher war also nicht,
ob es überhaupt eine wechselseitige Beziehung von Musik und
Politik gibt, sondern wie sich diese in der Gegenwart gestaltet.
Um der Komplexität der Fragestellung gerecht zu werden, setzte
man in Leipzig auf eine bewusst undogmatische und ergebnisoffene
Diskussion und ließ nicht selten die Musik für sich sprechen.
Die Gefahr, die Frage nur zu umkreisen, ohne sie zu beantworten,
nahm man damit in Kauf – und das war auch gut so. Bereits
die das Festival eröffnende Podiumsdiskussion mit Thomas Christoph
Heyde (Komponist/Festivalkurator), Torsten Möller (Musikwissenschaftler/-journallist),
Eiko Kühnert (Kulturwissenschaftler/Beauftragter für Extremismus
und Gewaltprävention) und Martin Büsser (Publizist) zeigte,
dass das Thema viele Facetten und Fallstricke hat, die es zu bedenken
und zu vermeiden gilt. Wie zu erwarten war, förderte die Diskussion
sehr schnell verschiedene Begriffe von Politik und Musik zutage.
Je nach biographischem Kontext redete man entweder über den
Punk der 80er-Jahre und die ehemals eindeutige politische Separation
von musikalisch sozialisierten Jugendgruppen, die an Bedeutung verloren
habe (Büsser), oder man sprach von der Tradition des politischen
Komponierens in der Nachfolge Nonos, die bis in die späten
70er-Jahre hinein zu verfolgen sei (Möller), oder ganz allgemein
über die musikalischen Mittel zur Umsetzung politischer Inhalte
und die Symbole und Codes in politisch-extremen Musikszenen (Kühnert),
außerdem aber auch über die Diskurslastigkeit der Neuen
Musik und das Problem der Erkennbarkeit von politischen Anspielungen
in Werken zeitgenössischer Komponisten (Heyde). Die zaghafte,
aber durchaus sachliche Plauderstunde wurde von einem Live-Set des
Noise-Electronica-DJs Alec Empire beschlossen, der die physische
Wirkkraft von Musik unter Beweis stellte und mit seinen hirnzermarternden
Krachattacken ein radikales Statement abgab. Der exakte politische
Inhalt seiner Performance erschloss sich aber nur denjenigen, die
der akustischen Lebensgefahr trotzten und den Raum nicht verließen.
Laut ging es auch auf dem Konzert der Skeptiker zu, jener legendären
deutschen Punkband, die seit 1986 das linke Fußvolk mit Klassikern
wie „Wehr dich!“ oder „Klassenkampf“ versorgt.
Eindeutige Aussagen über vermeintlich klare Sachverhalte schallten
aus den Boxen, allesamt in grobes musikalisches Leinen gehüllt,
und sie verfehlten ihre aufreizende Wirkung nicht: Das irotragende
Publikum pogte vor der Bühne um die Wette oder stand, wenn
schon etwas älter, bierselig und von der Nostalgie tränengerührt
im Hintergrund, dabei stets politisch lächelnd.
Beim ersten der beiden Konzerte mit avantgardistischer Kunstmusik
hätte man zwar ebenso emotional-ausgelassen Anteil nehmen dürfen,
das musikalische Material legte jedoch eine besinnlichere Rezeptionsweise
nahe. Kammermusikalische Werke von Henze, Lachenmann, Schenker und
Nono standen auf dem Programm und das Forum Ensemble beziehungsweise
diverse Solisten trugen sie vor. Die Sopranistin Stefanie Wüst
zum Beispiel intonierte Luigi Nonos Komposition „La fabbrica
illuminata“ aus dem Jahre 1964, welche auf Texten von G. Scabia
und C. Pavese basiert und den Arbeitern/-innen einer italienischen
Fabrik gewidmet ist. Die frühe 4-Kanal-Komposition verwertet
Geräusche eines Walzwerkes ebenso wie gesprochene, gesungene
und geflüsterte Passagen eines Arbeiter/-innen-Chores. Stefanie
Wüst deklamierte darüber mit viel Feingefühl eindringliche
Worte zur menschenunwürdigen Situation eben jener Arbeiter/-innen
und belebte die mehr als vierzig Jahre alte schaurig-schöne
Komposition zu neuem Leben. Wie aus weiter Ferne vernahm man das
rastlose Rufen des wohl politischsten Komponisten der Nachkriegsgeneration
und machte sich unweigerlich Gedanken über den Status quo politisch-engagierter
Kunstmusik.
Diesem konnte man im Rahmen ei-nes zweiten Konzertabends nachspüren,
bei dem das Ensemble Mosaik neuere Werke zeitgenössischer Komponisten/-innen
aufführte. Die vorgestellten Stücke von Helmut Oehring,
Olga Neuwirth, Rolf Riehm und Chaya Czernowin bedienen sich allesamt
abstrakter Sujets und lassen politische Intentionen nur auf den
zweiten oder dritten Blick erkennen, wenn überhaupt.
Auch das uraufgeführte Stück „3 x kurz –
3 x lang, simple pieces for opportunists“ des Festivalkurators
Thomas Christoph Heyde verzichtet auf einen klar benennbaren Polit-Kontext.
Es bezieht sich stattdessen auf den international bekannten SOS-Morsecode
sowie auf einen eher ideellen „Notruf der Ungehörten“.
Mit MC Torch hatte man einen deutschen HipHoper der ersten Stunde
geladen, der einst mit außergewöhnlich politischen Texten
auf sich aufmerksam machte. Merkwürdigerweise lieferte er in
Leipzig nur einen szenetypischen „Ich-bin-der-Größte“-Auftritt
ab, der zwar Stimmung unter den anwesenden Graffiti-Kids verbreitete,
aber mit Politik wirklich nichts zu tun hatte. Um die kümmerten
sich junge Poeten aus dem gesamten Bundesgebiet, die sich auf einem
Poetry Slam vereinten und verschiedene Formen der Sprechkunst durchexerzierten.
Leider fehlte diesen Beiträgen nun wiederum der musikalische
Bezug.
Die schwierige Balance zwischen Wort, Musik und Politik gelang
schließlich am letzten Abend des Festivals. Der „Wettbewerb
Politisches Lied/Song“ führte Musiker/-innen aus dem
In- und Ausland zusammen, die im Vorfeld von einer Jury ausgewählt
worden waren und sich nun in den Sparten E- und U-Musik um Kopf
und Kragen spielten. Am Ende gewann Diego Uzal aus Chile mit der
Uraufführung seiner Komposition „Work in Progress: Manifest.
Etüde zu „avoir l’apprenti dans le soleil“
in der Rubrik E-Musik und die deutsche Band „Fön“
mit dem Song „Sonst noch Wünsche“ den U-Musik-Preis
der Jury. Den Publikumspreis nahm das Duo Die Aebte mit nach Hause,
weil sich dessen „Klapperstorch“-Song durchgesetzt hatte.
Eigentliche Gewinner waren jedoch die Mitglieder der Bolschewistischen
Kurkapelle Schwarz-Rot, die den Wettbewerb musikalisch-beschwingt
und politisch-heiter begleiteten. Der ironisch-bissige Frontmann
der ungewöhnlichen Berliner Blaskapelle hatte kurzerhand die
Moderation der Veranstaltung übernommen und ließ nichts,
aber auch rein gar nichts unkommentiert. Mit einem persönlichen
und nicht ganz unernsten Fazit brachte er schließlich die
Besonderheit des Festivals auf den Punkt: „Ich glaube, dass
die wahrhaft politische Tat dieses Festivals darin besteht, dass
man E- und U-Musik gleichberechtigt zusammenführt, denn es
geht ja letztlich auch im Musikbusiness um Macht, und nicht nur
in der Politik.“