[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 47
55. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Überraschungen auf bayerische Art
Uraufführung von und mit Klaus Obermayer
Ein privater Mäzen gibt eine Komposition in Auftrag und sorgt
auch noch für die öffentliche Uraufführung: Laut
erschalle das Lied vom braven Mann! Der Begünstigte (vom Publikum
einmal abgesehen): Klaus Obermayer, dessen musikalische Handschrift,
markant und unverwechselbar, dennoch immer wieder für Überraschungen
gut ist. Ort: Der große, bis auf den letzten Platz gefüllte
Saal des „Theaters in der Au“ am Mariahilfplatz in München.
Klaus Obermayer ist eine Persönlichkeit, die sich in mehreren
Disziplinen übt, ohne sich zu verheddern: Im Konzert trat er
nicht nur als Komponist, sondern auch als Fagottist im Verein des
Bläserquintetts „simple music for five“ in Erscheinung.
Dieses Ensemble tourt zur Zeit äußerst erfolgreich durch
ganz Bayern, und reißt bei zeitgenössischer Musik selbst
ein konservatives Publikum zu amüsierten Beifallsstürmen
hin: Neue Musik mit Unterhaltungswert, aber ohne Plattitüden
...
Obermayer geht als Komponist da mit bestem Beispiel voran. Von
seinen Werken nur soll hier die Rede sein. Freilich zeigte das Ensemble
schon bei Mozarts Divertimento, KV 213, oder dem einfallsreichen
und charmanten Es-Dur-Quintett von Antonio Rosetti, dem genialischen
Mozart-Zeitgenossen, enorme Spielfreude mit viel Sinn für ausdrucksvolle
Details. Obermayers „Wedding-Music“ von 1996 machte
in diesem Umfeld eine gute Figur: Unerschöpflich schienen die
Einfälle, die Motive purzelten übereinander, gegeneinander,
aber nie durcheinander: Der Komponist führte den Hörer
sicher durch ein lustvolles Labyrinth. Der ausgelutschte Hochzeitsmarsch
klingt an – banal? Keineswegs, denn kaum erkannt, schmuggelt
der Komponist den Ohrwurm wieder in Obermayer‘sche Motivkonstellationen
zurück. Nur ein Gag? Das ist wohl mit das Geheimnis dieses
mit vitalem, aber auch grimmigem Humor gesegneten bayerischen Tonschöpfers,
dass seine Bonmots, seine Kapriolen und Pointen niemals nur Kabarett
sind, sondern – Musik! So nützt sich der Witz auch bei
mehrmaligem Hören nicht ab.
Solostücke sind ein harter Prüfstein – nicht nur
für den virtuosen Solisten, sondern in erster Linie für
den Komponisten: Leidet diese Musik an substantieller Auszehrung?
Wird’s wenigstens eine etüdenhafte Tour de force? Oder
kommt ein echtes Kunst-Stück dabei heraus, bei dem jedes weitere
Instrument nur stören würde? Klaus Obermayer hat „I
have a surprise for you“ für Oboe solo seiner phänomenalen
Ensemble-Kollegin Izumi Tsuboike nicht nur gewidmet, sondern auf
den (zierlichen) Leib geschrieben. Titel wie „unbekümmert“,
„amüsante Unterhaltung“ oder „flatterhaft,
leichtsinnig“ könnten neckische Genrestücklein vermuten
lassen. Dieses 2005 komponierte Werk ist aber ein großer Wurf
in kleinen Formaten! Es ist natürlich auch ein Kraftakt: Wie
Izumi Tsuboike das mit dem Atem hinbekommt, ist ihr Geheimnis. Sie
hat sich den Obermayer‘schen „Überraschungen“
(und Herausforderungen!) mit all ihrem Können, ihrer Musikalität
und ihrer engagierten Persönlichkeit gestellt und somit die
Tiefe dieser Miniaturen ausgelotet – es sind Psychogramme,
die an die Nieren gehen, unaufdringlich zwar und mit vergnüglichem
Ernst; „auf bayerische Art“ halt, wie das fünfte
Stück überschrieben ist. Riesenbeifall für die Solistin
und – wie das sonst ja nicht unbedingt zu sein pflegt –
auch für den Komponisten. Von den fünf ausführenden
Musikern wurden bis jetzt nur zwei genannt. Höchste Zeit, die
restlichen drei nachzureichen: die Flötistin Michiko Bering-Inagaki,
auf der Klarinette Jeanette Höfer und Peter Blania, Horn.
Wohltuend, wie sehr diese fünf in ihrer Persönlichkeit
so unterschiedlichen Musiker sich dem Ensemblegeist zuliebe zurücknehmen
können, ohne deshalb an virtuoser Brillanz zu verlieren. Fürsorglich
und sensibel war Klaus Obermayer darauf bedacht, in seinem neuen
Werk „Advances“ alle Vorzüge seiner Kollegen zum
Leuchten zu bringen – ohne die eigenen hintanzustellen ...
Diese „Annäherungen“ wirken wieder wie mit leichter
Hand hingeschrieben, doch ließen schon die kurzen Notenbeispiele
im Programmheft erahnen, mit welch feinem Pinsel hier gearbeitet
wurde. Neu in der Farbpalette sind die quintig abgedunkelten Klänge
in der „Introduction“, die sich nachdrücklich und
suggestiv dem Bewusstsein einprägen, als ob sie verkünden
wollten: Macht euch auf etwas gefasst! Mehr und mehr „traut“
sich Obermayer nun weit geschwungene Melodiephrasen von elegischer
Expressivität (3. Satz) zu schreiben und schafft damit ein
Gegengewicht zu seiner oft burlesk vertrackten und trickreichen
Rhythmik. Die subtilen melodischen Linien verschlingen sich zum
dichten Gewebe, und mit langem Atem werden weite Spannungsbögen
anmutig gezogen. Im 2. Satz (Intermezzo 1) verwandeln sich die bei
Obermayer sowieso oft schon perkussiven Staccati und Synkopen plötzlich
in Rhythmus pur: Die Bläser schlagen mit Stäbchen gegen
ihre Notenständer, als ob abgestandene Manierismen einer vormaligen
Avantgarde augenzwinkernd ironisiert werden sollten. Klaus Obermayer
meidet Abstraktionen, er formt mit sicher zupackendem Griff das
sperrige Material, um uns den farbigen Abglanz des Lebens hören
zu lassen.
Als Hommage auf den bayerischen Gstanzlsänger Roider Jackl
wirkt diese Uraufführung wie ein Gegenentwurf zum pervertierten
Bayerntum des Oktoberfests: „I sing hoit am liabstn aloa,
do kon i sogn, was i moan, denn wenn ma mit da Masse mitsingt, woas
ma nia, ob des stimmt.“ Das singt doch der Komponisten-Fagottist
leibhaftig im letzten Satz höchstselbst; dieser Coup kommt
so plötzlich und überraschend, und doch schlüssig
und zwingend. Vielleicht sollte man den Slogan von der „Erweiterung
des Kunstbegriffs“ einmal auf Grund der Obermayer‘schen
Vorgaben neu durchdenken!?