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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 33
55. Jahrgang | November
Deutscher Kulturrat
Jetzt die Chance nicht verschenken
Zur Verankerung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz
Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags plant für den
11.12.2006 eine öffentliche Anhörung zum Staatsziel Kultur.
Diese Anhörung gehört zum parlamentarischen Verfahren
der Behandlung des Gesetzesentwurfs der FDP-Bundestagsfraktion „Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Kultur)“
Drucksache 16/387 (18.01.2006). Nach der ersten Lesung im Deutschen
Bundestag wurde dieser Gesetzesentwurf an den Rechtsausschuss weiterverwiesen,
der den Gesetzesentwurf federführend berät.
Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Kultur
in Deutschland“ hatte in ihrem Zwischenbericht im Juni 2005
dem Deutschen Bundestag die Handlungsempfehlung unterbreitet, das
Staatsziel Kultur im Deutschen Bundestag zu verankern. Empfohlen
wurde eine Ergänzung des Grundgesetzes um einen Artikel 20
b mit dem Wortlaut: „Der Staat schützt und fördert
die Kultur.“ Dieser Handlungsempfehlung ging eine Anhörung
führender Verfassungsrechtler voraus. In der Enquete-Kommission
wurde das Für und Wider des Staatsziels Kultur sehr genau abgewogen.
In der Anhörung kamen sowohl die Befürworter des Staatsziels
Kultur zu Wort als auch die Gegner, so dass die Enquete-Kommission
sich am Ende entscheiden musste, welche Argumentation sie sich zu
eigen macht. Bemerkenswert an der Entscheidung der Enquete-Kommission
ist, dass sie einstimmig gefasst wurde. Das heißt, alle fraktionsgebundenen
Mitglieder der Enquete-Kommission wie auch die Sachverständigen
fassten die Entscheidung, dem Deutschen Bundestags die oben genannte
Ergänzung zum Grundgesetz vorzuschlagen.
In „politik und kultur“, der Zeitung des Deutschen
Kulturrates, kamen in der Ausgabe 4/2005 die Befürworter und
die Gegner des Staatsziels Kultur zu Wort. Autoren dieser Ausgabe
waren die Verfassungsrechtler Peter Badura, Max-Emanuel Geis, Ulrich
Karpen und Bodo Pieroth, die Bundestagsabgeordneten Eckhardt Barthel,
Wolfgang Gerhardt und Angela Merkel sowie die Ministerpräsidenten
Dieter Althaus, Ole von Beust, Peter Müller, Jürgen Rüttgers
und Henning Scherf.
Zur Bundestagswahl 2005 fragte der Deutsche Kulturrat die im Deutschen
Bundestag vertretenen Parteien, ob sie sich für ein Staatsziel
Kultur in der nächsten Legislaturperiode einsetzen werden.
Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, FDP und SPD sprachen
sich klar für die Verankerung des Staatsziels Kultur aus, CDU/CSU
wollten die Pro- und Contra-Argumente unvoreingenommen prüfen.
Die vollständige Antwort der Parteien kann in der Ausgabe 5/2005
von „politik und kultur“ nachgelesen werden. Im Rahmen
der Debatte um die Föderalismusreform forderten die Befürworter
des Staatsziels Kultur, dass im Zuge dieser Reform das Staatsziel
Kultur im Grundgesetz verankert werden sollte. Dabei war den Befürwortern
bewusst, dass die Einfügung des Staatsziels Kultur in das Grundgesetz
föderalismusneutral ist.
Die umfassende Grundgesetzänderung sollte allerdings genutzt
werden, das Staatsziel Kultur zu verankern. Da sich bei der Einbringung
der Föderalismusreform in den Deutschen Bundestag der Vorsitzende
der SPD-Fraktion Peter Struck in seiner Rede klar für die Aufnahme
des Staatsziels Kultur zusammen mit dem Staatsziel Sport in das
Grundgesetz ausgesprochen hat, bestand einige Hoffnung, dass zumindest
eine Debatte darüber einsetzen würde. Diese Hoffnung wurde
noch dadurch genährt, dass der frisch gewählte Vorsitzende
der SPD, Ministerpräsident Kurt Beck, bei der Vereinigung des
Deutschen Sportbunds mit dem Nationalen Olympischen Komitee zum
Deutschen Olympischen Sportbund sich ebenfalls noch einmal für
die Aufnahme des Staatsziels Kultur und des Staatsziels Sport ausgesprochen
hat. Trotz dieser Befürworter wurde das Anliegen bei der Föderalismusreform
nicht weiterverfolgt und das Staatsziel Kultur nicht im Grundgesetz
verankert. Als Argument wurde dabei stets vorgetragen, dass der
mühsam gefundene Kompromiss zur Föderalismusreform nicht
noch einmal aufgeschnürt werden sollte.
Zusammen mit der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel
hatte der Deutsche Kulturrat im Mai 2006 eine Tagung zum Staatsziel
Kultur durchgeführt, um der Debatte erneute Schubkraft zu verleihen.
In der Ausgabe 4/2006 von „politik und kultur“ setzten
sich Max Fuchs, Karl Ermert und Ulrich Karpen mit dem Thema auseinander.
Die Ausgabe 4/2006 von „politik und kultur“ kann unter
der nachfolgenden Adresse von der Website des Deutschen Kulturrates
heruntergeladen werden (www.kulturrat.de).
Bei der Wolfenbütteler Tagung formulierte Ulrich Karpen, der
zunächst als klarer Gegner eines Staatsziels Kultur im Grundgesetz
auftrat und sich so auch bei der Anhörung der Enquete-Kommission
„Kultur in Deutschland“ positionierte, einen dreistufigen
Vorschlag, wie das Staatsziel Kultur in das Grundgesetz aufgenommen
werden sollte. Er schlägt als neuen Artikel 20 b Grundgesetz
vor: „Kultur ist Auftrag von Bund, Ländern und Gemeinden.
Alle Träger öffentlicher Gewalt schützen, pflegen
und fördern die Kultur. Jedermann ist die Teilhabe an Kulturgütern
zu ermöglichen.“
Es wird sehr spannend sein, ob die anstehende Beratung im Rechtsausschuss
des Deutschen Bundestags dazu beitragen kann, noch mehr Gegner des
Staatsziels Kultur im Grundgesetz davon zu überzeugen, dass
Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden sollte. Dabei
ist klar, dass ein Staatsziel Kultur nicht automatisch eine Erhöhung
der Kulturförderung bedeutet. Es geht vielmehr darum, dass
bei Ermessensentscheidungen dieses Staatsziel in die Waagschale
geworfen werden kann. Es bleibt spannend, wer mehr überzeugen
kann, die Befürworter oder die Gegner.
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
und Sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen
Bundestags „Kultur in Deutschland“ in der 15. und der
jetzt laufenden 16. Legislaturperiode