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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 18
55. Jahrgang | November
Forum Musikpädagogik
Sentuhan – Die Musik der Welt in Malaysia
Die 27. Konferenz der International Society for Music Education
(ISME) in Kuala Lumpur
Alle zwei Jahre kommen Musiker, Musikpädagogen und Musikwissenschaftler
aus den über 80 Mitgliedsländern der International Society
for Music Education (ISME) bei einer internationalen Konferenz zusammen,
um sich in Vorträgen, Foren und Symposien über Fragen
der Musikerziehung auszutauschen und die verschiedenartigen Facetten
musikalischer Traditionen vorzustellen. Jugendchöre und Instrumentalensembles,
Orchester und Bands, Tanzformationen und ethnische Musikgruppen
führen dabei den Besuchern eindrucksvoll die Vielfalt der musikalischen
Kulturen und Traditionen der Welt vor Augen und Ohren. In der Begegnung
von Musikern über alle Schranken von Rassen und Religionen,
von Staaten und Ideologien hinweg liegt der unschätzbare Wert
dieser Veranstaltung, die ein Schaufenster der vielen verschiedenen
Musikkulturen darstellt.
In diesem Jahr fand die 27. Weltkonferenz der ISME vom 16. bis
21. Juli 2006 in Kuala Lumpur statt und stand unter dem Motto „Sentuhan“,
einem malaysischen Ausdruck, der „Gefühl, Bewegung“
bedeutet und damit auf die Bedeutung und Kraft der Musik verweist,
Menschen anzurühren, zu verbinden und zu bewegen. Wie kaum
ein anderes Land bietet dieses multi-ethnische (Malayen, Chinesen,
Inder) und multi-kulturelle Land mit Muslimen, Buddhisten, Hindus
und Christen geradezu ideale Voraussetzungen für eine derartige
Begegnung der Kulturen, was in einer Zeit umso wichtiger und bemerkenswerter
ist, in der politisch eher ein „Kampf der Kulturen“
die politische Debatte beherrscht, der die Grundlagen humaner Zivilisation
und menschlichen Miteinanders zu zerstören droht. Dass es im
Rahmen der Musik auch anders geht, zeigte eindrucksvoll die ISME-Konferenz.
Im tropischen Klima Malaysias mischten sich die bunten Farben der
üppigen Vegetation mit der Farbenpracht der traditionellen
Trachten und Kostüme, die sich im vielfarbigen Bild der verschiedenen
Kulturen verbanden. Die Gastgeber der Universiti Teknologi MARA
hatten keine Mühe gescheut, den über 700 Teilnehmern aus
circa 80 Ländern den Aufenthalt so angenehm und eindrucksvoll
wie möglich zu gestalten. Den Gästen aus aller Welt sowie
einer großen Zahl von Studenten aus Malaysia wurde in zahlreichen
Einzelvorträgen, diversen Seminaren, Symposien, Workshops,
Poster-Ausstellungen und einer großen Fülle an musikalischen
Aufführungen ein eindrucksvoller Überblick über die
Vielfalt musikerzieherischer Möglichkeiten in unserer global
verbundenen Welt geboten. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass
diese Konferenz von den Medien und der offiziellen Politik sehr
deutlich wahrgenommen wurde, was sich in der Teilnahme von drei
Ministern an verschiedenen Veranstaltungen zeigte. Ein einzelner
Teilnehmer kann die Vielfalt der angebotenen Veranstaltungen gar
nicht vollständig aufnehmen. Aber der besondere Reiz einer
solchen Großveranstaltung besteht gerade auch in den vielen
Begegnungen und Gesprächen am Rande der Veranstaltungen, auf
den Gängen und im Hotel.
So ergibt sich am Ende der Konferenz doch für jeden Teilnehmer
je nach seiner Interessenlage ein ganz individuelles, aber immer
ungemein reichhaltiges Gesamtbild. Daher ist es nicht verwunderlich,
dass die Teilnehmer immer – wenngleich aus den unterschiedlichsten
Gründen – ganz begeistert über die gemachten Erfahrungen
berichten. Überraschend ist vielmehr, dass aus Deutschland
immer auffallend wenige Delegierte an der Konferenz teilnehmen.
Vermutlich liegt das nicht am Desinteresse, was in der Musikerziehung
in der Welt vorgeht, oder an der Gleichgültigkeit gegenüber
internationalen Kontakten, sondern vermutlich an mangelnder Information
darüber, was die ISME ist und für welche Ziele sie steht.
Ein reichhaltiges Informationsmaterial ist diesbezüglich auf
der Homepage (www.isme.org) zu finden.
Bietet die Hauptkonferenz in erster Linie ein großes internationales
Schaufenster der Musiken und Kulturen, findet die inhaltliche Arbeit
sehr konzentriert und intensiv in den Kommissionen statt, zu denen
jeder Zugang hat und die immer in der Woche vor der Hauptkonferenz
eigene internationale Seminare veranstalten, die den Bereichen musikpädagogische
Forschung, Instrumentalpädagogik, Lehrerbildung, Früh-erziehung,
Musikermedizin, Behindertenpädagogik, Musiktherapie, Medien
und kommunale Musik gewidmet sind. In diesen Seminaren werden neueste
Forschungsergebnisse vorgestellt und aktuelle Fragen im Expertenkreis
diskutiert (www.isme.org).
Während einer Weltkonferenz werden aber auch die administrativen
Aufgaben der Gesellschaft erledigt und finden die Wahlen der nationalen
Repräsentanten im Board und der Leitungsgremien statt. So wurde
in Kuala Lumpur ein neues Board of Directors gewählt, dem von
2006 bis 2008 folgende Personen angehören: Polyvios Androutsos
(Griechenland), Diana Blom (Australien), Gunnar Heiling (Schweden),
Victor Fung (USA, Hong Kong), Marvelene Moore (USA), David Forrest
(Australien), Pamela Burnard (UK), Sheila Woodward (USA, Südafrika),
Jamary Oliveira (Brasilien), Josef Scheidegger (Schweiz) und Patricia
Shand (Kanada). Als neue ISME-Präsidentin wurde Liane Hentschke
(Brasilien) in ihr Amt eingeführt und Hakan Lundström
(Schweden) als President Elect gewählt. Diese Wahl spiegelt
eine ausgewogene Repräsentanz der verschiedenen Kontinente
mit ihren unterschiedlichen musikalischen Kulturen und pädagogischen
Traditionen.
Höhepunkt der ISME-Konferenzen bilden in der Regel die großen
Kultur-abende, in denen sich das gastgebende Land mit seiner Musik
vorstellt. Malaysia zeigte dabei eine überraschende Verschmelzung
traditioneller Instrumental-, Klang- und Tanzformen mit dem Sound
und der Technologie der Gegenwart. Im heutigen Bild des wirtschaftlich
aufstrebenden Landes sind Tradition und Moderne, Vergangenheit und
Gegenwart eng miteinander verbunden. Weitere Höhepunkte bilden
jeweils die Konzerte der Ensembles aus den verschiedenen Teilnehmerländern
– auch hier wieder wie seit vielen Jahren bedauernswerterweise
ohne Beteiligung Deutschlands. Unter den Mitwirkenden ragten die
Bands im Finale des Wettbewerbs der malaysischen Windensembles und
ganz besonders das Volksmusik-Ensemble aus dem sibirischen Khanty
Mansyisk heraus. Die sieben jungen Musiker verzauberten das Publikum
mit ihrer fulminanten Darbietung traditioneller russischer Folklore
und wurden vom Publikum enthusiastisch gefeiert. Hier schloss sich
ein Kreis, der mit dem Besuch einer ISME-Delegation im Dezember
2004 in Khanty Mansyisk begann und nun zu einer Wiederbegegnung
und Vertiefung der Beziehungen führte.
Weltkonferenzen sind zwangsläufig Großereignisse mit
einer fast unüberschaubaren Fülle an Informationsmöglichkeiten.
Jeder Teilnehmer wird nach den eigenen Interessen seine persönliche
Auswahl treffen. Dabei erhält er in jedem Fall stimulierende
Impulse für die weitere Arbeit. So vermittelte sich auch in
Kuala Lumpur durch die Vielfalt der Darbietungen ein Gespür
für die Reichhaltigkeit der Kulturen und die Dynamik, die von
der Auseinandersetzung mit Musik ausgeht, und dafür, wie sie
die Kultur einer Gesellschaft prägen und verändern kann.