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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 17
55. Jahrgang | November
Hochschule
Wo die Moderne Gegenwart ist
Drei Jahre Lucerne Festival Academy – ein Gespräch
Die Lucerne Festival Academy ist ein junger Ableger des Lucerne
Festivals und hat sich ganz der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts
verschrieben. Dennoch steht die Akademie in einer langen Tradition
von Meisterkursen, die seit Beginn der Luzerner Festwochen 1938
immer parallel im Sommer abgehalten wurden. Als Michael Haefliger
1999 die Intendanz der Festwochen übernahm, fanden diese dann
bis ins Jahr 2002 weiterhin statt. 2003 hatte die Preview-Academy
Premiere und dieses Jahr hat sich der erste Dreijahres-Zyklus der
Lucerne Festival Academy vollendet. Der Redaktionsleiter der nmz,
Andreas Kolb, sprach mit der Projektleiterin der Lucerne Festival
Academy, Katharina Rengger, und bat sie um ein erstes Resümee.
neue musikzeitung: Warum keine Meisterkurse mehr,
warum eine Akademie? Katharina Rengger: Das Angebot an Meisterkursen
ist riesig. Uns ging es darum, was ein Festival wie das Luzerner
speziell bieten kann. Das Lucerne Festival stellt durch die zeitliche
Dimension, die fünfeinhalb Wochen Dauer, und auch durch die
Schwerpunkte in der Programmation und im Inhalt ein perfektes Gefäß
dar, um ein intensives Akademieprojekt, wie es heute besteht, zu
integrieren.
nmz: Welche Menschen stecken hinter der Lucerne
Festival Academy? Rengger: Michael Haefliger misst in seiner gesamten
Festivalplanung der Musik unserer Zeit einen sehr hohen Stellenwert
bei. Im gemeinsamen Suchen nach den Möglichkeiten, die Luzern
bietet, entstand die Idee der Akademie, die wir dann Pierre Boulez
präsentierten. Er hat keinen Augenblick gezögert und sofort
gesagt: „Das machen wir!“
nmz: Pierre Boulez ist dem Festival schon lange
verbunden, es ist kein Zufall, dass man gerade auf ihn zuging? Rengger: Wenn es eine Person gibt, die als Komponist,
als Dirigent, aber auch als Förderer und Gründer von Institutionen
für die Neue Musik einsteht, dann ist er das. Er hat das Ensemble
Intercontemporain gegründet und das Ircam in Paris. In Luzern
ist er seit Jahrzehnten sehr präsent.
nmz: Die ersten drei Jahre der Akademie sind
vorüber. Welches Fazit würden Sie ziehen? Rengger: Die Lucerne Festival Academy ist ein sehr
lebendiges Projekt, das immer wieder aufs Neue versucht, sich nach
den aktuellen Bedürfnissen auszurichten. Wir haben 2003 sehr
klein begonnen mit der Preview Academy, um erste Schritte zu prüfen
und gewisse Planungsdetails ausprobieren zu können. Später
sind wir in die große Orchesterform gegangen mit rund 120
Musikern plus die ganzen Meisterkurs-Teilnehmer aus den Satelliten-Projekten
der Akademie. 2006 waren wir ein bisschen kleiner besetzt, aber
immerhin noch mit 96 Musikern. 2007 bekommt das wieder wirklich
große Formen mit über 140 Musikern.
nmz: Weil das Curriculum wieder von vorne beginnt? Rengger: Das Curriculum hat eigentlich 2003 begonnen.
Ganz ursprünglich dachten wir, 2003 machen wir ein Vorlaufjahr,
um eben gewisse Abläufe und Inhalte zu testen, und gehen danach
in die effektive Akademie. Wir merkten aber, dass diese kleine Form
eine unglaubliche Qualität in sich birgt, weil man kammermusikalisch
und solistisch sehr präzise und intensiv arbeiten kann. Etwas,
das dann vielleicht in der Orchesterform weniger zum Tragen kommt.
Dann haben wir uns während der großen Orchesterjahre
2004 und 2005 entschieden, diese Form im klein besetzten Repertoire
wieder aufzunehmen.
nmz: Ist die Teilnahmezeit begrenzt? Rengger:Ein Akademist kann maximal drei Jahre in
der Akademie teilnehmen. Jedes Jahr kommen neue Studenten dazu,
andere – etwa 50 Prozent – sind Wiederkehrer. Einige
noch aus der Gründerzeit haben jetzt ihre Jahre hier beendet.
In der Zwischenzeit haben sich aber auch zwei Ensembles gebildet,
die aus der Lucerne Festival Academy hervorgingen. Zum einen das
Ensemble Laboratorium, 16 junge Musiker, alle Instrumente einfach
besetzt. Und dann die Lucerne Festival Percussion Group, bestehend
aus zwölf Schlagzeugern, ein fixes Ensemble, das zur Academy
gehört und auch über die nächsten drei Jahre fester
Bestandteil der Academy bleibt.
nmz: Die Akademie will junge Musiker befähigen,
Neue Musik, Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, auf hohem Niveau
zu spielen. Welchen Kriterien muss ein Bewerber genügen? Rengger: Grundsätzlich ist die Akademie für
jeden offen. Bei den Orchestermusikern gibt es ein Alterslimit von
28 Jahren, wobei die inhaltliche Motivation und auch die Erfahrung,
die mitgebracht werden kann, ebenso wichtig sind wie das Alter.
Die Akademie wird alljährlich im September mittels einer Broschüre
neu ausgeschrieben, die auf unserer Homepage downloadbar ist.
nmz: Wie viele bewerben sich? Rengger: Es bewerben sich eine steigende Zahl,
zwischen 350 und 400. Wie viele genommen werden, hängt auch
vom Repertoire ab, nächstes Jahr werden es 140 sein. Die Zahl
der Musiker, die wir brauchen, wird jedes Jahr neu definiert.
nmz: Was für Möglichkeiten gibt es,
außerhalb des Orchesters teilzunehmen? Rengger: Es gibt Satelliten-Projekte, die jedes
Jahr in enger Verbindung mit dem Orchester stehen und sich aus diesem
Grund jedes Jahr neu definieren. Im kommenden Sommer werden wir
zum Beispiel mit Peter Eötvös einen Dirigier-Meisterkurs
zum Werk „Gruppen“ von Karlheinz Stockhausen haben,
der in Zusammenhang mit dem Orchester stattfindet. Bisher fand bereits
ein Meisterkurs für Pianisten mit Mauricio Pollini statt oder
das Komponistenprojekt, wo speziell junge Komponisten eingeladen
wurden, um für das Orchester zu schreiben.
nmz: Die Lucerne Festival Academy ist –
im Gegensatz zu vielen Meisterkursen – kostenfrei. Wie wird
das finanziert? Rengger: Das jährliche Budget der Lucerne
Festival Academy beträgt rund 1,2 Millionen Schweizer Franken.
Ein sehr großer Teil davon ist gedeckt durch Sponsoren und
Stiftungen. Wir sind in der glücklichen Lage, mit unseren Sponsoren
Institutionen und Personen gefunden zu haben, die nicht einfach
nur Geldgeber sind, sondern die Akademie in ihrem ideellen Grundsatz
unterstützen möchten und auch interessiert sind an der
zusätzlichen Ausbildungsmöglichkeit für junge Musiker
auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik.
Die Palette reicht vom großen Sponsor mit dem großen
Namen bis hin zur Gastfamilie, die bereit ist, Studenten unentgeltlich
aufzunehmen. Wir übernehmen für die Studenten ihre Reise
nach Luzern und zurück, ihre Unterkunft und auch ihre Verpflegung.
Die Teilnehmer sind in Gastfamilien in der Stadt Luzern untergebracht.
nmz: Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit
mit der Musikhochschule Luzern für die Akademie? Rengger: Registerproben und Kammermusikproben finden
alle in den Räumlichkeiten der Musikhochschule statt. Das ist
der praktische Aspekt für die Durchführung. Aber auch
der inhaltliche Aufbau und die Strukturen werden in Absprache mit
der Musikhochschule Luzern konzipiert. Und schließlich sind
wir besonders glücklich über die Teilnahme von Luzerner
Studenten.
nmz: Was gibt es für zusätzliche Kooperationen
mit anderen Instituten? Rengger: Es gab in diesem Jahr ein Triple-Projekt
der Lucerne Festival Academy, der Musikhochschule Luzern und des
Kunsthauses in Zug, die Ausstellung „Harmonie und Dissonanz.
Gerstl – Schönberg – Kandinsky. Malerei und Musik
im Aufbruch.“ Die Ausstellung wurde zu Beginn des Festivals
in diesem Sommer eröffnet und läuft noch bis Dezember.
Während ihrer Zeit im Sommer bespielte die Akademie die Ausstellung,
anschließend die Musikhochschule in ihrem Studienbetrieb.
Welchen Einfluss so etwas im Studienplan bekommt, das ist stark
abhängig von den Gefäßen, die eine einzelne Hochschule
definiert, welchen Stellenwert die zeitgenössische Musik hat.
nmz: Ist in Luzern ein Publikum fürs Neue
vorhanden? Rengger: Wir haben ein sehr breites und vielschichtiges
Publikum. Auf der einen Seite interessieren sich die Gastfamilien
sehr dafür, was ihr jeweiliger Gaststudent tut. Das ist eine
wichtige und tragende Gruppe. Zweitens gibt es unsere Förderer
und Sponsoren, die auch den Betrieb der Academy besuchen.
Sie genießen nicht nur die Resultate im Konzert, sondern sitzen
auch in den Proben und lernen die jungen Menschen kennen und versuchen,
etwas von dem Geist mitzukriegen. Dann gibt es natürlich die
Zeitgenössische- Musik-Freaks, das ist eine ganz treue Gruppe
von Konzertbesuchern, man findet sie überall.
nmz: Kommen auch Agenten? Rengger: Es kommen andere Veranstalter. Das Akademie-Modell
ist langsam bekannt und kann einige Erfolge feiern. Dadurch wächst
auch das Interesse, sich das Projekt anzuschauen und auch einzuladen.
Die Workshops, Ateliers und Begegnungsmöglichkeiten, die wir
rund um die Konzerte schaffen, sind sehr breit und durch viele verschiedene
Besuchergruppen definiert.
nmz: Das Lucerne Festival ist ein Traditionsfestival.
Gleichzeitig ist es Akademie und – mit der Programmschiene
Moderne – ein sehr mutiges Neue- Musik-Festival. Wie gelingt
die Vernetzung dieser drei Schienen? Welche Rolle will die Lucerne
Festival Academy hier übernehmen? Rengger: Das Festival deckt viele verschiedene
Bereiche ab: Das Kerngebiet, das Flaggschiff, sind im Sommer die
Sinfoniekonzerte. Ein Sinfoniekon-
zert bestreitet die Akademie.
Wir haben zwei eigene Produktionen, die wirklich von Grund auf bei
uns organisiert werden, das ist das Lucerne Festival Orchestra mit
Claudio Abbado und das ist die Lucerne Festival Academy. Wir sind
sehr stolz aufu diese zwei flankierenden Projekte, mit dem einen
startet das Festival, mit dem anderen wird das Festival beendet.
Beide sind über eine lange Zeit hier resident. Der Residenzcharakter
ist ein sehr spezieller Aspekt dieser Festivalprojekte. Das Festival
hat Besucher aus Luzern und der Region, aber auch sehr viel internationale
Besucher, die auch für eine längere Zeit in Luzern weilen.
Die Akademie schafft die Verbindung von Luzern durch die Gastfamilien
mit der Internationalität der Studenten. Sie sehen also, es
gibt ganz verschiedene Verknüpfungselemente, mit denen sich
die Akademie im Festival integriert.
nmz: Was ist 2007 geplant? Rengger: 2007 wird es wieder ein groß besetztes
Symphonieorchester geben. Wir haben ein rein ungarisches Orchesterprogramm
mit dem Werk „Lontano“ von György Ligeti, eine
Uraufführung, auf die ich mich sehr freue, das Violinkonzert
„Seven“ von Peter Eötvös mit Akiko Suwanei
als Solistin. Dann „Stele“ von György Kurtág,
ein sehr groß besetztes Orchesterwerk, das er für die
Berliner Philharmoniker geschrieben hat, und nach der Pause Bartóks
„Der wunderbare Mandarin“. Ein sehr süffiges zeitgenössisches
Programm. Das zweite große Orchesterprojekt entsteht wie bereits
erwähnt in Zusammenhang mit dem Meisterkurs Dirigieren zu Stockhausens
„Gruppen“. Es wird ein Konzert stattfinden zum Abschluss
des Meisterkurses, in dem drei ausgewählte Kursteilnehmer im
ersten Teil das Werk dirigieren. Nach einem längeren Pausengespräch
wird das Werk ein zweites Mal aufgeführt, diesmal unter dem
Dirigat von Pierre Boulez, Peter Eötvös und Jean Deroyer.
Das Publikum hat so die Möglichkeit, das gleiche Stück
zweimal unter verschiedenen Dirigenten zu hören. Außerdem
wird es ein sehr ambitioniertes Ensembleprojekt geben, das „Le
Marteau sans Maitre“ und „Sur Incises“ von Pierre
Boulez erarbeitet. Auch die Fortführung der Lucerne Festival
Percussion Group mit vier neuen Werken ist geplant.