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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 13
55. Jahrgang | November
Kulturpolitik
Perlenprinzessin trifft auf Plastikpiraten
Bericht über eine Uraufführung während der 26.
Bundesschulmusikwoche in Würzburg
Schule ist ein Ort des Lernens und ein Ort kultureller Begegnung
– an diesen beiden Orten, so könnte ein Fazit der Diskussionen
während der Bundesschulmusikwoche 2006 lauten, sieht sich die
moderne Musikpädagogik zu jeweils gleichen Teilen angesiedelt.
Und die Basis des musikpädagogischen Tuns ist, frei nach Telemann,
nach wie vor das Singen. Die folgende Berichterstattung über
die 26. Bundesschulmusikwoche des VDS, die unter dem Titel „Stimme(n)“
stand, kann nicht auf die gesamte Fülle der Themen, Konzerte,
Foren und Weiterbildungsveranstaltungen eingehen, sondern will einige
wenige exemplarisch herausheben. Etwa die unten beschriebene Uraufführung
des Duos pianoworte gemeinsam mit Schülern der Mönchberg-Volksschule
Würzburg. Weiter wurden an dem Wochenende vom 27. bis 30 September
eine Reihe von Projekten und Persönlichkeiten ausgezeichnet,
die für das Selbstverständnis des VDS, aber auch für
den State of the Art der Schulmusik heute stehen. Lesen Sie dazu
die Kolumne „Preise zur
VDS-Bundesschulmusikwoche“ auf Seite 11.
„Die
Plastikpiraten und die Perlenprinzessin“: Schüler
der Würzburger Mönchberg-Volksschule beim Konzert.
Musikvermittlung ist kein Idyll, sondern Pflichtaufgabe. So lautete
es in der Juni-Ausgabe der nmz zum Kongress „Musikvermittlung“
des Deutschen Musikrates in Wildbad Kreuth. Auf dieser Tagung war
auch das duo pianoworte aus Niedersachsen mit einem Workshop vertreten.
Aus dem Auftritt ergab sich eine Einladung des Verbandes Deutscher
Schulmusiker (VDS) zur Bundesschulmusikwoche in Würzburg. Zudem
kam die Idee auf, zur Kongressthematik „Stimme(n)” passend
auch noch eine Komposition neu zu schaffen. Das Ergebnis war Ende
September zu sehen und zu hören: die musikalische Geschichte
„Die Plastikpiraten und die Perlenprinzessin“.
Die Künstlergemeinschaft duo pianoworte, bestehend aus Helmut
Thiele (Sprecher) und Bernd-Christian Schulze (Klavier), darf wohl
zu Recht als herausragender Sachwalter der „Pflichtaufgabe“
Musikvermittlung gelten. Seit über zwölf Jahren sind sie
mittlerweile im deutschsprachigen Raum unterwegs und entführen
mit ihren Konzertmelodramen „in Welten, die man bisweilen
schon verloren glaubte“, wie das Musikblatt 1996 schrieb.
Ihr Publikum für dieses heute kaum noch zu erlebende Genre
sind überwiegend Kinder. In den Zeiten medialer Reizüberflutung
versucht das Duo allein mit zwei elementaren Ausdrucksformen Aufmerksamkeit
herzustellen.
Der Brückenschlag zum Verständnis der Musik wie der Sprache
ist dabei bewusst gewählt, das Ergebnis im besten Fall die
Anregung kindlicher Fantasie. Der gebürtige Wiener Thiele und
der aus Norddeutschland stammende Schulze beschränken sich
jedoch nicht auf die Reproduktion überlieferten Repertoires,
sondern suchten bald nach Beginn der Zusammenarbeit den Kontakt
zu Komponisten sowie Textern. So entstanden in den zurückliegenden
Jahren zahlreiche Werke sowohl für Kinder als auch Erwachsene:
märchenhaft, lustig, nachdenklich – berührend. Anerkennung
fand diese Arbeit in der Resonanz des Publikums ebenso wie in Preisverleihungen,
die wichtigste wohl 2002 der Schallplattenpreis Echo in der Sparte
„Klassik für Kinder“ für die CD-Aufnahme „Ophelias
Schattentheater“.
Im Vordergrund der Arbeit steht jedoch nach wie vor die aktive
Verbindung mit dem Publikum, und so gehörte auch in Würzburg
zur Uraufführung der Musikgeschichte „Die Plastikpiraten
und die Perlenprinzessin“ eine Zusammenarbeit mit Kindern.
In diesem Fall waren es Schüler der Klasse D 4 der Mönchberg-Volksschule
Würzburg. Zur Erarbeitung in der Schule hatte die Komponistin
Juliane Klein einzelne Szenen des Werkes in „Bausteine“
gefasst.
Mit Unterstützung der Klassenleiterin galt es, diese einzustudieren,
um sie dann in den Handlungsverlauf während der Aufführung
zu integrieren. Lautmalerische Buchstabenspiele, Klangkulissen und
Sprechstücke erforderten von den Kindern sowohl Fantasie als
auch rhythmisches Feingefühl. Begleitet wurde die Arbeit mit
den Schülern durch einen Workshop, den das duo pianoworte im
Rahmen der vom VDS veranstalteten Bundesschulmusikwoche gestaltete.
Circa 20 Teilnehmer suchten in 90 Minuten im „Eigenversuch“
nachzuvollziehen, was die Kinder in tagelanger Vorbereitung geleistet
hatten, und stellten dabei durchaus fest, dass dies höchst
anspruchsvoll war. Möglichkeiten der musikpraktischen Umsetzung
des Werkes wurden diskutiert wie auch konzertorganisatorische Fragen
geklärt. Und so warteten die zwei Künstler, die sie unterstützenden
Schüler und die Workshop-Teilnehmer gespannt auf das Ergebnis
in Form der Uraufführung in der Aula des ehemaligen Mozart-Gymnasiums.
Möglich wurde diese erst durch die finanzielle Förderung
der Pro Musica Viva – Maria Strecker-Daelen-Stiftung. Als
Vorlage zur Vertonung durch Juliane Klein diente der Text von Inge
Becher. Mit beiden Künstlerinnen verbindet das duo pianoworte
bereits eine längere Zusammenarbeit. Dies wurde im Verlauf
des Konzertes deutlich. Musste man zunächst noch befürchten,
dass die Geschichte aus dem Kinderzimmer der Lebenswelt von Viertklässlern
doch schon zu weit entrückt sei, so wurde man schnell eines
Besseren belehrt. Von der ersten Minute baute sich Spannung auf,
die zumindest die erwachsenen Besucher an E.T.A. Hoffmanns „Nussknacker
und Mäusekönig“ erinnert haben dürfte.
Zeitgemäß gesellten sich jedoch zur Prinzessin und ihren
Soldaten (den Plastikpiraten) ein Staubsauger und ein Computer,
der für die vorübergehende Missachtung des traditionellen
Spielzeugs sorgte, am Ende aber gleichberechtigt in die Gemeinschaft
integriert wurde – ein kleines Lehrstück über Toleranz,
zauberhaft gewandet. Dafür sorgten auch der sparsame Einsatz
von Klangbildern durch Spieluhren, über die schiefe Ebene rollende
Glasperlen vom Kleid der Prinzessin, eine Kalimba und das vom Pianisten
präparierte Klavier. Dieses Verfahren wurde bereits vor dem
Konzert für das Publikum erklärt. Die Komposition changierte
zwischen tonaler und atonaler Struktur, Leitmotivik half, den roten
Faden zu verstärken. Dazu gelang es Helmut Thiele und Bernd-Christian
Schulze, in einem ausgewogenen Verhältnis von aktiven, verhaltenen
und reflektierenden Momenten durch die Handlung zu führen.
Nicht zuletzt trugen die Schüler mit ihren harmonisch eingefügten
Stücken zu einer ganz besonderen Wirkung bei, wenn sie voller
Anteilnahme die Piraten charakterisierten oder in einem rhythmischen
Sprechchor die Handlung vorantrieben. Ein gemeinsamer Chor mit dem
Publikum rundete schließlich das Konzert ab.
Fazit: Die Uraufführung, die Arbeit mit den Schülern
sowie die Qualifikation im Workshop stellten eine gelungene Symbiose
auf dieser Bundesschulmusikwoche dar. Dem duo pianoworte bleibt
zu wünschen, den eingeschlagenen Weg solcher Integration von
Kindern in den Handlungsablauf ihrer musikalischen Geschichten fortzusetzen,
weil es damit einen eigenen Qualitätsmaßstab innerhalb
der Konzertpädagogik setzen kann.
Am Ende könnte somit die unbedingt nötige Pflichtaufgabe
der Musikvermittlung nicht gleich zum Idyll, aber zur erfolgreichen
Kür werden.