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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 1
55. Jahrgang | November
Leitartikel
Jugend-Wahn
Was haben wir an dieser Stelle schon heftig die Existenzberechtigung
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durchbuchstabiert: Wir
klärten schlüssig, dass er die Legitimation für den
Gebührenempfang maßgeblich seinem Kulturauftrag entnimmt.
Dass die Pflege von Minderheiten-Interessen und eine umfassende
Informations-Pflicht zu seinen Kernaufgaben gehören.
Gelegentliche Zweifel an „Zwangs-Gebühren“ generierten
die Landes-Sender selbst: MDR, NDR, RBB und HR durch plump quotenspekulatives
Schreddern ihrer Kulturkompetenz, durch bisweilen gnadenlose Programm-Trivialisierung.
Der SWR noch unter seinem Finanz-Oberinspektor Peter Voß außerdem
mittels Teil-Demontage seiner Klangkörper. Zärtlich warnten
wir: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk schafft sich
selbst ab.“
Weitgehend ausgespart von der Kritik blieben WDR und BR, die trotz
gelegentlicher Schwindelanfälle in den Intendanz- und Direktionsetagen
dank respektabel gepflegter Kulturwellen wenigstens ihr Soll erfüllten.
Zumindest in Bayern könnte damit bald Schluss sein: Auf Quotenhatz
nach Hörer-Frischfleisch neigt Hörfunkdirektor Johannes
Grotzky anscheinend dazu, die Klassik-Welle Bayern 4 (immerhin 170.000
Nutzer täglich) ins technisch unausgereifte digitale Nirvana
zu verbannen, um die terrestrischen UKW-Frequenzen einer sogenannten
„jungen Welle“ zuzuschustern. Seine mediale Schrotflinte
richtet er auf die 14- bis 29-Jährigen.
Welch ein Kurzschluss. Hätte Grotzky selbst mal als aufmerksamer
Zuhörer die diesjährigen Münchner Medientage besucht,
wären ihm solche möchtegern-populistischen Hirn-Flatuleszenzen
geräuschlos entwichen. Die Veränderung des Rundfunkhörer-Verhaltens
gestaltet sich dank Internet, Podcast und User-generiertem Content
im Web dramatisch. Die als Zielgruppe angepeilten „Kids“
sind für den konventionellen Funk weitgehend verloren. Sie
surfen, chatten, loaden up und down. Dies belegen die Einschalt-Analysen
aller Jugendwellen lückenlos. So dümpelt im Südwesten
„Das Ding“ bei 1,4 Prozent, der hippe Sender „Fritz“
schwand binnen Jahresfrist von 7 auf gut 5 Prozent Einschaltquote.
Öffentlich-rechtliche Mainstream-Wellen wie RadioEins vom RBB,
Eins Live (WDR) sowie die immer ähnlicher klingenden Ausstrahlungen
von Bayern 1 und Bayern 3 verlieren kontinuierlich an Zuspruch,
die Altersstruktur der „User“ wandert vom „Twen“
ins „Mid-Age“.
Wohlgemerkt: Wir hätten gar nichts gegen ein Jugendradio,
wenn es denn, siehe oben, einen Sinn machte und nicht gegen die
bescheidenen Kultur-reservate im öffentlich-rechtlichen System
ausgespielt würde. Das Jugendradio gehört genuin ins Web.
So bekäme – durch eigenständige redaktionelle Kompetenz
– das Internet-Angebot unserer Rundfunkanstalten eine glaubwürdige
Legitimation: Es könnte sich vom meist flachen Selfmade-Schrott
der Blogs und dem Marketing-Geflacker der Industrie-Podcaster und
Download-Plattformen qualitätvoll abheben. Somit würde
vielleicht sogar einer Kommunikations-Degeneration entgegengewirkt,
die an den Umgang in antiautoritären Kindergärten vor
dreißig Jahren erinnert. Und: Zwei hochfinanzierte, zudem
auch noch werbegefütterte Berieselungswellen pro Landessender
sind im öffentlich-rechtlichen Hörfunk genug. Sollte in
diesem akustischen Flachbett überhaupt Differenzierung möglich
sein, wäre hier größeres Redakteurs-Engagement angebracht.
Gegen die Verbannung der Klassik-Frequenzen in die reale Unhörbarkeit
ist jedenfalls Sturm zu laufen. Zumal gemeinsam mit Bayern 4 Klassik
auch die renommierten Klangkörper des Bayerischen Rundfunks
ins Abseits zu geraten drohen.
Bei seiner Generalversammlung hat sich der Deutsche Musikrat soeben
energisch gegen solche Banausen-Planungen gewandt, der Bayerische
Musikrat stellte ein Unterschrifts-Formular auf seine Website, das
ausgedruckt werden kann. Besuchen Sie bitte: www.bayerischer-musikrat.de
– und machen Sie von Ihrem Recht Gebrauch, gegen weitere Verblödungs-
und Verödungs-Tendenzen hierzulande Ihre Stimme zu erheben.
Da wird lauthals über Bildungsnotstand, Landes-Flucht und
Unterschicht-Problematik gejammert – und die wenigen kleinen
Korrekturinstrumente sollen dann auch noch blindwütigen Ökonomie-
und Quotenfetischisten zum Opfer fallen. Es ist zum – Davonlaufen.