[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 8-9
55. Jahrgang | November
Magazin
Keine „Kultur auf Seife“, nicht so aggressiv wie Coca
Cola
Beobachtungen eines Lehrers zur Aktion „ZukunftsMusiker“
der Drogeriemarktkette „dm“
In Deutschland wird viel und gerne gejammert: über den Verfall
der Kultur und den Mangel an privater Initiative, den Rückzug
der öffentlichen Hand und vieles mehr. Dem stellte sich in
diesem Jahr Götz Werner mit der Initiative „ZukunftsMusiker“
entgegen. Über seine Drogeriemarktkette „dm“ brachte
er Musiklehrer und Kinder im Grundschulalter zusammen. Musikalische
Erstkontakte sollten geknüpft werden. Werners Ausgangspunkt
waren ganz private Betrachtungen. Seine eigenen Kinder musizieren,
und ihn faszinierte die Kombination aus gleichzeitiger Sammlung
und gespreizter Wahrnehmung. Ein Erleben, das er in die Breite der
Gesellschaft tragen wollte.
Zu diesem Zweck warb „dm“ 400 Musikpädagogen
an, zur Hälfte über die Filialen, die anderen über
Kontakte mit dem Verband deutscher Musikschulen (VdM). Insgesamt
1.600 Kinder erhielten auf diesem Weg einen sechswöchigen Schnupperkurs
in Gesang oder auf einem Instrument. Die Zuordnung von Kindern,
Lehrern und Wunschinstrument war nicht immer einfach und führte
gerade in der Anfangsphase der Initiative zu langen und wiederholten
Telefonaten. Das „Sponsoring“ der Orchesterinstrumente
übernahm Yamaha, die Bereitstellung oblag den Händlern.
Sie trugen das unternehmerische Risiko, da sie die Instrumente Yamaha
ganz normal abnehmen mussten, und spekulierten auf einen Verkauf
am Ende des Kurses.
Instrumentenbau:
einfache Mittel, große Wirkung. Foto: Arthen Kommunikation/dm
Weitere Module des Projektes waren Instrumentenbaukurse in den
Filialen und das Klingende Mobil des Klingenden Museums Berlin.
Insgesamt waren 12.000 Kinder Nutznießer der Aktion. Auch
der eine oder andere Marketinggag war mit im Programm: Ein Rekordversuch
mit 200 Ensembles. Am 6. Mai um 11 Uhr ertönte der erste Tusch
vor den „dm“-Märkten. Die Durchführung und
Organisation der Schnupperkurse lag weitestgehend bei den Lehrern,
von „dm“ als „Musikbotschafter“ betitelt.
In Wohnzimmern, Proberäumen, nachmittags in Schulräumen
oder in einer Kindertagesstätte erhielten die Kinder die ersten
Stunden. Stolze kleine Menschen mit nagelneuen Instrumenten kamen
zur Tür hinein. Gemeinsam auspacken, zusammenbauen und der
Klarinette die ersten Töne entlocken, das hatte im besten Sinne
etwas von Weihnachten – spannend, ein wenig feierlich und
sehr neugierig. Die Form des Unterrichts war freigestellt. Eine
Mischung aus Gruppen- und Einzelunterricht wurde gewünscht,
die Bedeutung des Miteinanders beim Musizieren sollte auf jeden
Fall deutlich werden.
Erst einmal mit einem Ton rhythmisch arbeiten, ohne Noten nur nach
dem Gehör spielen und eben: zusammen. Da die Schnupperkurse
in die WM-Zeit fielen, gab es bald ein von den Kindern formuliertes
Ziel: die Nationalhymne spielen können! Für Ballack und
Poldi feurig intoniert, eine ganz neue Erfahrung.
Auch die Instrumentenbau-Workshops in den „dm“-Filialen
liefen gut. Ein paar Töne auf der Panflöte aus Isolationsrohr
oder einer Oboe mit Strohhalmmundrohr locken schon die ersten neugierigen
Kinder an. „Wie geht das? Darf ich auch mal?“ Die Aktion
läuft fast immer lehrbuchartig ab: Vormachen weckt Interesse,
das Nachmachen bringt Spaß: Mädchen sägen zum ersten
Mal, coole Jungen checken fachmännisch das Werkzeug. „Mein
Papa hat auch so einen Bohrer!“ Die Mütter absolvieren
in der Zeit den Einkauf und sind meistens perplex, wie simpel Materialien
und Herstellung sind. Das Spielen mit dem Garnröllchen ist
leider schon lange aus der Mode.
Bedauerlicherweise haben gerade die Eltern und Kinder der bildungsfernen
Schichten das Angebot nur wenig wahrgenommen. Bildungsferne beinhaltet
eben auch die Unfähigkeit, Chancen zu erkennen, und fordert
wohl auch andere Konzepte der Ansprache als Flyer und Plakate. Was
bei Handys und Payback geht, funktioniert offensichtlich nicht bei
Kultur.
Auch wenn die Auswertung der Initiative noch läuft, haben
zumeist Kinder aus mittelständischen Haushalten die Schnupperkurse
als Entscheidungshilfe bei der Instrumentenwahl genutzt. Von den
vier Kindern, die dem Autor zugeteilt wurden, stammte eines aus
einer Musikerfamilie, zwei spielten bereits ein Instrument, und
das vierte absolvierte gleichzeitig noch ein Instrumentenkarussell
in der örtlichen Musikschule.
Diese Beobachtungen treffen sich leider mit der aktuellen Diskussion
um den Ausstieg des Prekariats aus der Gesellschaft. Zurzeit wird
bei „dm“ darüber nachgedacht, wie die Chancenblinden
erreicht werden können. Bisher hat sich das Unternehmen bewusst
die Werbung an Schulen versagt, aber vielleicht gibt es Wege, an
sozialen Brennpunkten präsent zu werden, ohne gleich aggressiv
wie Coca Cola zu agieren. – Die Initiative „ZukunftsMusiker“
wäre nicht komplett gewesen ohne die Abschlussveranstaltung
am 22. September dieses Jahres. Bis dahin war man noch geneigt,
das Projekt als „Kultur auf Seife“ abzutun, Sponsoring
ist halt kein Altruismus. Ein Job, der kommt und vorübergeht,
und vielleicht bleibt ja ein Schüler hängen. Aber als
dann in Baden-Baden Götz Werner auf die Bühne kam und
die Geschichte seiner Kinder erzählte, war er einfach überzeugend.
Seine Schilderung war ernst und sachlich, aber auf schöne Art
verschmitzt und er stolz auf das Geleistete. Der Ton stimmte. Rund
und richtungweisend wurde der Abend durch das Spiel junger Spitzenensembles.
Die junge Streicherphilharmonie gab eine Carmenbearbeitung zum Besten,
musizierte auf eine Weise innig, unschuldig und leidenschaftlich,
dass es alten Hasen die Tränen in die Augen trieb. Noch deutlicher
und programmatischer konzertierte das Venezuelan Brass Ensemble.
Hier saßen junge Musiker aus den Vorstädten und den Slums
auf der Bühne. Das ist eine andere Form der Intensität,
wenn Kultur ein Überlebensmittel ist, und nicht eine Möglichkeit
unter vielen, oder „nur“ eine ausgeübte Begabung.
Dieses Ensemble ist quasi die Vision, die ich aus Baden-Baden mitnahm.
An dem folgenden Wochenende gab es eine Menge Workshops für
die Musikbotschafter. In diesen zweieinhalb Tagen stellte sich eine
bei freiberuflichen Einzelkämpfern selten gewordene Empfindung
ein: ernst genommen, umsorgt und gebraucht werden, schlicht wichtiger
Teil zu sein in einer Initiative, die auf gekonnte Art die Waage
hält zwischen kaufmännischen Tugenden und gesellschaftlichem
Handeln. Der selbstbewusste Satz: „Warum machen wir das alles?
Weil wir es uns leisten können!“, bleibt in guter Erinnerung.
Das Zusammentreffen in Ettlingen war sowohl Ausgießen des
Geistes als auch Nachdenken über die Fortsetzung.
Alles spricht dafür, dass die Initiative „ZukunftsMusiker“
weitergeht. Uns allen ist klar, Kultur ist und darf kein Luxusgut
werden. Jede Kunst ist wesentlich für das Menschsein. Es wäre
besser, wenn in der Diskussion über die Notwendigkeit jedweder
künstlerischen Ausbildung etwas mehr Selbstbewusstsein herrschte.
Ist es nötig, immer nur auf die Synergieeffekte musikalischer
Praxis hinzuweisen? Muss Kunst sich in unserer ökonomisch geprägten
Zeit ständig rechtfertigen? „Schaut her, es nützt
ja was.“ Wer ein Instrument spielt, der kann auch besser rechnen
und führt sich in der Gruppe besser auf. Diese Effekte sind
gewiss nützlich, aber Musik treiben, ist ein Wert an sich,
und der Welt Klänge hinzufügen ist einfach nur schön
und menschlich.