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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 4-5
55. Jahrgang | November
Magazin
Der Hüter des Wahren Schönen Guten
Ein sehr persönlicher Rückblick auf fünfundzwanzig
Jahre Alte Oper Frankfurt · Von Stefan Piendl
„Veni, creator Spiritus, mentes tuorum visita“ –
aus dem Nichts kulminiert ein majestätischer Orgelakkord mit
der größten sinfonischen Orchester- und Chorbesetzung
der Musikgeschichte bereits in den ersten Takten zu einer saalfüllenden
Klangpracht, die diesem neuen Konzerthaus vom ersten Moment an zu
aller Ehre gereicht. Es ist der 28. August 1981, übrigens Goethes
Geburtstag, und Michael Gielen, das Frankfurter Opernhaus- und Museums-orchester,
acht Solisten und mehrere Chöre eröffnen die Alte Oper
Frankfurt musikalisch mit Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 8. Mit Mahlers
Hymnus beginnt bei weitem nicht nur für Frankfurts Bürger
und Musikliebhaber eine beglückende, neue Ära: „Komm,
Schöpfer Geist; Nimm Wohnung in den Herzen der Deinen!“
Michael
Hocks, Intendant und Geschäftsführer der Alten
Oper Frankfurt. Foto: Charlotte Oswald
Derweil habe ich in unserer Wohnung zu Hause Platz genommen und
verfolge einigermaßen interessiert dieses Geschehen vor dem
Fernseher. Ich bin gerade mal sechzehn Jahre alt und ahne noch nicht,
dass ich mich in diesem neuen Konzertsaal an einigen hundert Abenden
„DEM WAHREN SCHOENEN GUTEN“ – so prangt es verheißungsvoll
in Sandstein gemeißelt über dem Opernplatz – werde
hingeben dürfen. Das TV-Gerät kann die Klangfülle
von Mahlers Sinfonie natürlich nicht übertragen, nicht
ins heimische Wohnzimmer „rüberbringen“. Das Werk
bleibt mir noch verschlossen und so weiß ich auch nicht, dass
ich hier schon meinem später tief verehrten Lieblingskomponisten
lausche. Was an diesem Abend aber am weitesten außerhalb meines
Vorstellungshorizontes liegt, ist die Möglichkeit, dass mich
in 25 Jahren der Chefredakteur einer Musikzeitung dazu einladen
wird, einen Artikel zum Jubiläum der Alten Oper zu schreiben.
Keine Chronik mit den objektiv wichtigsten Meilensteinen ist gefragt,
sondern ein persönlicher Rückblick soll es sein, und auf
meine Nachfrage hin darf es sogar eine Liebeserklärung werden.
Man kann es kaum prägnanter auf den Punkt bringen als Frankfurts
Oberbürgermeisterin Petra Roth: „Die Alte Oper ist nicht
nur eines der schönsten Konzerthäuser, sie ist auch eines
der besten. Namen zu nennen wäre müßig – denn
alle Großen sind schon in der Alten Oper aufgetreten.“
Stimmt.
Da fügt es sich glücklich, dass die Jubiläumsfeierlichkeiten
in diesem Jahr mit dem „Auftakt“ quasi zusammenfallen.
Jenem Festival, dass Michael Hocks, seit 1998 der erfolgreiche Geschäftsführer
und Intendant der Alten Oper, ab 2001 jeweils zu Saisonbeginn veranstaltet.
Im konzeptionellen Mittelpunkt von „Auftakt“ stehen
jeweils ein Komponisten- und ein Interpretenporträt.
Dabei wagt Michael Hocks durchaus einiges, wenn beispielsweise
ein so sperriger Komponist wie Helmut Lachenmann oder die hier noch
wenig bekannte Kaija Saariaho das Publikum locken sollen. Und den
Musikerpersönlichkeiten im Zentrum des „Auftakt“,
wie in diesem Jahr zum wiederholten Mal der jungen Geigerin Julia
Fischer, bietet er mit seinem Festival ein einzigartiges Umfeld.
Überhaupt hat Michael Hocks als Förderer der ersten Stunde
einen wichtigen Anteil an der kometenhaften Karriere von Julia Fischer.
Es ist wohl kein Zufall, dass sie auch in Frankfurt, von Thomas
Rietschel, dem Präsidenten der Hochschule für Musik, zu
Deutschlands jüngster Professorin ernannt wurde. So wird es
der Intendant auch gern gelesen haben, was ihm seine Aufsichtsratsvorsitzende
Petra Roth für das Jahresprogramm gleich schriftlich gab: „Nachdem
die berühmten ,Frankfurt Feste‘ in den 90er-Jahren geopfert
wurden, gelang Michael Hocks mit der Reihe ,Auftakt‘ ein hervorragender
Neubeginn. Er wagte und gewann.“
„Er wartete und bekam“ war hingegen alljährlich
zu Saisonbeginn das Motto für mich als Teenager. Das bedeutete
vor sechs Uhr morgens aufstehen, um sich kurz nach sieben an Frankfurts
Hauptwache in die Schlange zu stellen. Es galt eines der heiß
begehrten Jugendabos des Radio-Sinfonieorchesters Frankfurt, das
in diesen Jahren mit Eliahu Inbal seine Glanzzeit feierte, zu ergattern.
Diese „Frühschicht“ teilte ich mir in jährlichem
Wechsel mit meinem langjährigen Konzertfreund Harald Petz und
so kamen wir an Tickets zum Preis einer Kinokarte. In der Alten
Oper gab es aber auch allabendlich Restkarten für Studenten
zu 10,- DM und es war für mich natürlich unerlässlich,
ständig über einen Studenten-Ausweis zu verfügen
– was mir auch immer gelang obwohl das keine Selbstverständlichkeit
war, schließlich war ich nie an einer Universität eingeschrieben.
Mag der jugendliche Drang in die Konzerte – mein Rekord
waren acht Abende nonstop hintereinander während der „Frankfurt
Feste“ – diese Form der Urkundenfälschung noch
als Kavaliersdelikt erscheinen lassen, so war der unbändige
Wunsch, wenigstens einmal Leonard Bernstein, Sergiu Celibidache
und Herbert von Karajan live zu erleben, für weitaus dreisteres
Vorgehen verantwortlich. Natürlich waren Konzertekarten für
derartige Ereignisse für Jugendliche weder erhältlich
noch erschwinglich und so beschlossen wir, es eben ohne Karten zu
versuchen. Da wir das Haus inzwischen wie unsere Westentasche kannten,
gelang uns dies auch jedes Mal. Erwischt wurden wir dann allerdings
ausgerechnet im Konzert der Berliner Philharmoniker mit Karajan.
Ohne Karten waren wir natürlich auf frei gebliebene Plätze
angewiesen und nach der Pause waren unsere ursprünglichen Sitze
von den inzwischen eingetroffenen Karteninhabern besetzt worden.
Da die ersten Musiker bereits wieder auf die Bühne kamen wurde
es langsam eng für uns. Weit und breit gab es nur noch zwei
freie Plätze, und zwar ausgerechnet in der ersten Reihe am
Rand, in deren Mitte auch der Frankfurter Oberbürgermeister
saß. Kaum hatten wir uns gesetzt, wurden wir von einer Platzanweiserin
darum gebeten, unsere nicht vorhandenen Karten vorzuzeigen –
denn wir hatten uns ausgerechnet auf die Plätze der beiden
Bodyguards des Bürgermeisters niedergelassen! Wir standen aber
einfach nicht wieder auf, sondern verwickelten die Frau in eine
herzerweichende Story über unsere Eltern, die mit unseren Karten
in der Tasche doch nur weiter hinten säßen. Endlich kam
von Karajan auf die Bühne, das Publikum klatschte, die Hostess
gab ratlos und entnervt auf und die wartenden breitschultrigen Bodyguards
trollten sich tatsächlich aus dem Saal! Bei Leonard Bernstein
haben wir uns nach dem Konzert sogar bis in seine Garderobe durchgeschlagen.
Der Anblick, wie er im Bademantel und mit Cowboystiefeln (!) aus
der Dusche kommt, in der einen Hand den Whiskeybecher und in der
anderen eine Zigarette, sowie der herzliche Wortwechsel mit ihm
gehören für mich natürlich zu den unauslöschlichen
Erinnerungen an die Alte Oper.
Eine Erfolgsstory wie die der Alten Oper ist heute ohne bürgerschaftliches
Mäzenatentum und Sponsoren aus der Wirtschaft kaum mehr denkbar.
Ein Etat von gut fünf Millionen Euro aus dem Stadtsäckel
ist sicher nicht die Spitze des vorstellbaren kommunalen Engagements,
allein die „Frankfurt Feste“ hatten seinerzeit für
wenige Wochen Festival in der Alten Oper mehr als das Doppelte zur
Verfügung. Gleichwohl muss eingeräumt werden, dass es
auch Städte in Deutschland gibt, die weit weniger engagiert
mit ihrer Musikszene umgehen als Frankfurt. Dennoch ließe
sich ohne die „Gesellschaft der Freunde der Alten Oper Frankfurt“
manches nicht realisieren. Für Hocks ist der Verein die „verlässliche
Basis für alles programmatisch Sperrige und Unbequeme, was
wir in diesem Hause realisieren möchten“, merkt er darum
dankbar an. So sind denn auch das Ensemble Modern und die Junge
Deutsche Philharmonie aus den Programmen nicht mehr wegzudenken.
Unter der umsichtigen Führung von Frau Dr. Gabriele Haid sind
in diesem Verein die musikliebhabenden Bürger in bemerkenswerter
Weise ebenso Mitglied wie die wichtigen Unternehmen im Rhein-Main-Gebiet.
Die Namen im Kuratorium spiegeln das Who’s who der Frankfurter
Banken- und Wirtschaftswelt wider.
Dank der Gesellschaft der Freunde hatte ich sogar einmal die Ehre,
eine Künstlergarderobe in der Alten Oper benutzen zu dürfen
– um dann an einem Adventsnachmittag vor fast zwanzig Jahren
als Nikolaus gekleidet Frankfurter Kinder zu bescheren. Einige Unternehmen
engagieren sich aber noch über ihre Mitgliedschaft im Förderverein
hinaus und Hocks weist nicht ohne Stolz darauf hin, dass die optischen
Nachbarn der Alten Oper wie zum Beispiel die Deutsche Börse,
die Hessische Landesbank und die Deutsche Bank auch zu den besonders
engagierten Förderern gehören.
Für viele Besucher ist gutes Essen und Trinken in Verbindung
mit einem gelungenen Konzert nicht wegzudenken. In den ersten Jahren
war es nach den Konzerten kaum möglich, noch einen Platz im
beliebten „Opernkeller“ zu ergattern. Etwas anders verhielt
es sich aber leider mit dem dazugehörigen Gourmet-Restaurant
„Die Zauberflöte“ und so fiel die Gastronomie in
der Alten Oper denn auch in einen viel zu langen, traurigen Dornröschenschlaf.
Es gehört zu den besonderen Verdiensten von Michael Hocks,
auch dies nachhaltig wieder zum Positiven gewendet zu haben. Das
Restaurant „Opera“ im grandiosen Alten Foyer, das Hocks
gegen teilweise erbitterten Widerstand als Raum für die Gastronomie
erst erkämpfen musste, gehört zu den ersten Adressen Frankfurts,
und an einem lauen Sommerabend ist ein Dinner auf dem Balkon über
dem Opernplatz zusätzlich noch mit einer unschlagbaren Kulisse
gesegnet.
So waren meine Frau Jutta und ich dann auch sehr glücklich,
als wir unsere Hochzeit in diesem einmaligen Ambiente des alten
Foyers feiern konnten. In erster Linie deshalb, weil wir uns schließlich
auch in einer Konzertpause in der Alten Oper kennengelernt haben.
Und auch sie hat ihren eigenen Erinnerungen an dieses Haus. Angefangen
mit dem Spielen in der jahrzehntelang vor sich hinschlummernden
Ruine bis hin zu der Lieferung der medizinischen Erstausstattung
für die Hausapotheke der Alten Oper, die sie als Apothekerin
persönlich vorgenommen hatte.
Apropos Opernplatz: Da hört der Spaß für den Hausherren
allerdings auf. So engagiert er in seinem Konzerthaus für die
Gastronomie kämpft, so leidenschaftlich tut er es dagegen,
wenn es um den Opernplatz, „einen Platz, der in Deutschland
seinesgleichen sucht“, geht. Straßenfeste mit Holzbuden
und Küchenzelten will er in die legendäre Frankfurter
„Fressgass’“ verbannt sehen und kompromisslos
kündigt er seinen „Aufstand bis gegen das letzte Klohäuschen“
an. Recht hat er.