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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 5
55. Jahrgang | November
Magazin
Plädoyer für einen anderen Menschen
Dem Komponisten und Dirigenten Hans Zender zum siebzigsten Geburtstag
Am 22. November dieses Jahres wird der Komponist, Dirigent und
Theoretiker Hans Zender seinen 70. Geburtstag feiern können.
Ohne ihn, das darf ohne Umschweife gesagt werden, sähe die
kulturelle Landschaft in Deutschland (und nicht nur hier) anders
aus. Denn aufgrund seines stets wachsam die flankierenden Verhältnisse
bedenkenden künstlerischen Tuns hat sein Wort Gewicht. Und
Hans Zender hat es immer wieder erhoben, wenn etwas im Argen liegt.
Das Arge aber ist an der Tagesordnung. Zender steht ihm als gutes
Gewissen der abendländischen Kultur entgegen.
Prophetischer
Mahner, präziser Dirigent. Foto: Charlotte Oswald
Zender wurde zur nachdrücklichen Stimme in einer mehr und
mehr dem Kommerz und der Verflachung geopferten Kultur. In einem
2004 erschienenen Aufsatz (in „Musik & Ästhetik“)
schrieb er am Schluss: „Es haben in unserer Gesellschaft alle
nebeneinander Platz; es besteht keine Notwendigkeit, alles in einen
Topf zu werfen! Aber man muss von denjenigen, welche Kunst fördern,
subventionieren, am Leben halten, eines verlangen: Sie sollen genau
hinschauen und wissen, was sie tun! Wollen sie Kultur fördern
(Rumsfelds ‚Altes Europa‘) oder Kulturindustrie (Rumsfelds
‚Neues Europa‘)? Geld geben für Gummibärchen
oder für ökologischen Landbau? – Wir sind mündige
Menschen, die differenzieren wollen. Wir sind zwar schon lange nicht
mehr, wie uns die Pisa-Studie gezeigt hat, das Volk der Dichter
und Denker, und die Verkümmerung der Kunstpflege trägt
zu dieser Tatsache viel mehr bei, als das öffentliche Bewusstsein
gemeinhin notiert. Deswegen sind wir aber noch lange nicht Vollbürger
von Huxleys ‚Brave New World‘, in der die Leute von
Soma-Pop leben, in ewigem ‚fun‘ dahinvegetierend ...
Noch nicht.“
Diese Emphase bestimmte alles Denken und Tun in Zenders Leben.
Er will nicht akzeptieren, dass mit Kultur (oder was man dafür
bezeichnet) Schindluder getrieben wird. Wo andere (die an den Hebeln
medialer Macht, aber durchaus auch Kunstschaffende) sich einlassen
auf die so genannten neuen Verhältnisse, auf Quoten und Statistiken,
die sich ein demokratisches Mäntelchen umhängen, um diktatorisch
zu agieren, da sagte Zender immer Nein. Und er sagt es mit der Überzeugung,
dass Kultur nur durch freies kulturelles Tun und nicht etwa durch
vorgeblich strukturelle Anpassung zu retten sei. Wohl kaum jemand
möchte in einer Welt der ökologischen, ethischen, moralischen
oder kulturellen, letztlich auch ökonomischen Verarmung leben
(und alles hängt miteinander zusammen!), aber viele davon resignieren,
weil sie die von Profitinteressen diktierten Verhältnisse als
unabdinglich sehen: so als gebe es den mündigen Menschen gar
nicht, der noch die Wahl hat. Hans Zender hat dies nie akzeptiert.
Über Hans Zender zu schreiben, heißt über das
Verhältnis von Kunst und Gesellschaft nachzudenken. Denn immer
wieder insistiert er auch in seinen Kompositionen darauf, wenngleich
natürlich mit ganz geweitetem Horizont. Das zieht sich in verschiedenen
Strängen durch sein Werk. Seine ersten beiden Opern „Stephen
Climax“ nach Joyce und „Don Quijote de la Mancha“
nach Cervantes knüpfen an Konzepte multiperspektivischer Wahrnehmungen
von Bernd Alois Zimmermann an und beziehen sich somit ganz direkt
auf unsere medial durchfurchte Welt mit ihren Überlagerungen
und Schichtungen von Eindrücken. In vielen anderen Arbeiten
rekurriert Zender auf philosophische Gedanken des Zen-Buddhismus,
also auf die ostasiatische Sicht des Verhältnisses von Mensch
und Natur.
Die Konsequenz des Hörens bei Zender ließ ihn hier auch
zu mikrotonal gefärbten musikalischen Skalen greifen, die bewusst
wegrücken von abendländischer Determinierung. Und schließlich
reflektieren Arbeiten wie etwa die kühne Bearbeitung von Schuberts
„Winterreise“ unsere durch die Interpretationsgeschichte
verschobene Wahrnehmung der klassischen oder romantischen Tradition.
Weiter-Komponieren wird hier als Form der Interpretation aufgefasst
und Bearbeitungen dieser Art graben nach Verschüttetem ebenso,
wie sie Verbiegungen und Deformationen des Verständnisses offenlegen.
Seine bislang letzte Oper „Chief Joseph“ beleuchtet
die Geschichte der amerikanischen Indianer und das westliche Niederwalzen
ihrer tiefen Einsichten. Es ist ein Appell an den Begriff der Freiheit,
der unter dem Vorwand des Fortschritts gnadenlos niedergemacht wird.
Die Worte des Indianerhäuptlings benennen Prinzipien, die auch
Zender in unserer Gesellschaft neu bedacht und verwirklicht sehen
möchte: „Lasst mich ein freier Mann sein – frei,
zu reisen, frei, anzuhalten, frei, zu arbeiten, frei, Handel zu
treiben, dort, wo ich es möchte, frei in der Wahl meiner Lehrer,
frei, der Religion meiner Väter zu folgen, frei, für mich
selbst zu denken, zu reden und zu handeln – und ich werde
jedes Gesetz achten oder die Strafe auf mich nehmen.“
Es ist dies Unbedingte, die Schärfe der kritischen Analyse
unserer Normen, die wir der ganzen Welt verordnen wollen, die Zender
und sein Werk bestimmen und unerlässlich machen. Er ist prophetischer
Mahner, vielleicht einer der letzten, bevor es zu spät ist.