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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 15
55. Jahrgang | November
Musikwirtschaft
Urheberrechtsnovelle: ein Korb ohne Geschenke
Symposium in Berlin über die Leiden junger Komponisten und
Musiker
Der junge Werther litt, machte sich auf und davon und kam dabei
vom Regen in die Traufe. Sein Beispiel zeigt: Weglaufen und den
Kopf in den Sand stecken ist meistens keine Lösung. Auch nicht
für junge Komponisten und Musiker. Sinnvoller ist es, sich
mit den jeweiligen Leiden auseinanderzusetzen, um möglichst
in der Lage zu sein, sie anschließend, wenn schon nicht zu
heilen, so doch wenigstens so gut wie möglich zu lindern.
Genau dies hatte Artur-Axel Wandtke im Sinn, als er ein Symposium
mit dem Titel „Die Leiden der jungen Komponisten und Musiker
– Irrwege des Uhreberrechts?“ veranstaltete. Der Inhaber
des Lehrstuhls für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht
an der Berliner Humboldt-Universität hatte Juristen, Politiker
und Kreative zum Austausch über aktuelle Fragen der Urhebervergütung
und des Urheberrechts eingeladen. „Da die Musikkultur im Allgemeinen
und die Rechte der Komponisten und Musiker im Besonderen mehr denn
je im Mittelpunkt eines global agierenden Marktes stehen, ist die
rechtspolitische Wirkungsrichtung des Urheberrechts immer wieder
neu zu hinterfragen“, erklärte Wandtke zur Begrüßung.
Dass die Diskussion von den anwesenden Juristen dominiert wurde,
darf nicht verwundern. Zu kompliziert ist die Materie, als dass
sich das Gros der Musiker tatsächlich mit den Paragrafen, Fachbegriffen
und Regelungen auskennen könnte.
Anders Jörg Evers, Präsident des Deutschen Komponistenverbandes,
der sich mit den aktuellen Gesetzgebungsverfahren in Deutschland
wie Europa bis in die Details befasst hat. Seine Bedenken brachte
er im Einführungsvortrag zum Ausdruck: „Der Komponist
zwischen den Mühlsteinen der Entwicklung im nationalen und
europäischen Urheberrecht“.
Worum geht es in der aktuellen Diskussion? Veränderungen zeichnen
sich in der deutschen Gesetzgebung ebenso ab wie im europäischen
Regelwerk. Gefahren für deutsche Urheber lauern im so genannten
„Korb 2“, der vom Bundesjustizministerium vorgelegten
Novelle des Urheberrechts: ein Versuch des Bundesjustizministeriums,
so Evers, den bisher praktizierten Urheberschutz in einen Geräteherstellerschutz
umzuwandeln. Tatsächlich betreffen die neuen Regelungen vor
allem das Verhältnis zwischen den Urhebern auf der einen, den
Herstellern von Geräten zur Vervielfältigung urheberrechtlich
geschützter Werke auf der anderen Seite.
„Ja zur Privatkopie“ – dies ist und bleibt Grundsatz
des Urheberrechts. Bezogen auf Musik-CDs heißt dies: Wer eine
CD kauft und diese für seinen Freund brennt, damit dieser sie
sich zu Hause anhören kann, begeht kein Verbrechen. Erst wenn
Kopien in großem Umfang und für kommerzielle Zwecke gebrannt
werden, kommen Polizei und Staatsanwaltschaft ins Spiel. Der Urheber
der so kopierten Musik allerdings darf unter dem Recht zur Privatkopie
nicht leiden. Seine Musik wird in diesem Fall konsumiert, ohne dass
er dafür angemessen vergütet wird. Aus diesem Grund sieht
das Urheberrecht Pauschalabgaben beim Verkauf von Vervielfältigungsgeräten,
also zum Beispiel Kopierern oder CD-Brennern, vor, die den Verwertungsgesellschaften
zur Verteilung an die Urheber ausgezahlt werden. Die Regelung der
Pauschalabgaben soll nun neu gestaltet werden: Ein „Paradigmenwechsel“
bahnt sich hier an, so Jörg Evers: „Vom Urheberrecht
hin zu einem Nutzer- und Verwerterrecht“. Punkt Eins: Die
Höhe der Abgaben, die bisher vom Gesetzgeber festgelegt (und
seit 1985 nicht mehr erhöht) wurden, sollen künftig zwischen
den Beteiligten selbst ausgehandelt werden. Sie sollen darüber
hinaus nicht mehr als fünf Prozent des Gerätepreises betragen
dürfen. Diese Koppelung der Vergütung an den Gerätepreis
ist für Urheber nicht akzeptabel. Das branchenübliche
Preis-Dumping zwischen den Geräteherstellern würde sie
unverhältnismäßig schädigen. Dieses hat übrigens
auch der Bundesrat festgestellt, der in seinem Kommentar im Hinblick
auf die Fünf-Prozent-Regelung von einem „enteignungsgleichen
Eingriff“ spricht. Evers zitierte eine Studie der Zentralstelle
für Private Überspielrechte (ZPÜ) vom Mai 2006: Bei
Verabschiedung der 5-prozentigen Koppelung würde das Vergütungseinkommen
der ZPÜ für die Urheber um circa 40 Prozent sinken, im
Bereich der CD-Brenner sogar um 75 Prozent. Für viele Urheber
würde dies das wirtschaftliche Aus bedeuten.
Punkt Zwei: Ebenso kritisch sieht Evers die so genannte Bagatellklausel,
die der Gesetzentwurf vorsieht. Die Abgabepflicht auf Geräte
soll dann ganz wegfallen, wenn die Nutzung für Vervielfältigung
„unterhalb eines nennenswerten Umfangs von 10 Prozent“
liegt. Der „totale Wegfall der Vergütung kann weder angemessen
noch gerecht sein, noch der Sicherung der Urheberansprüche
dienen“, so Evers. Wandtke fasste es aus der Sicht des Urheberrechtlers
zusammen: „Mit der anstehenden Reform wird ein Weg beschritten,
der historisch gesehen einen Systemwechsel des deutschen Urheberrechts
bedeutet und nicht die rechtliche Stellung der Kreativen stärkt.
Der Gesetzentwurf enthält einen Korb für die Komponisten
und Musiker ohne Geschenke.“ Das wollte Irene Pakuscher, Ministerialrätin
des Justizministeriums, nicht auf sich sitzen lassen. Ein intensiver
Blick in den „Korb 2“ offenbare durchaus Geschenke auch
für die Kreativen. Was sie allerdings auspackte, waren weniger
Geschenke als selbstverständliche Bestandteile einer Urheberrechtsregelung,
für die dankbar zu sein den Urhebern wohl kaum einfallen wird.
Dass der Anspruch auf angemessene Vergütung auch weiterhin
im Gesetz verankert sein wird, bedarf keiner Schenkerlaune des Gesetzgebers,
sondern sollte selbstverständliche Ausgangsbasis jeder Diskussion
sein. Das Gleiche gilt für die Beibehaltung der Privatkopie,
die so lange Bestand haben muss, wie niemand in der Lage ist, einen
funktionierenden Kopierschutz für CDs und andere Trägermedien
zu etablieren. Von den Qualitäten des „Korb 2“
hatte die Ministerialrätin am Ende ihres Vortrags wohl kaum
einen der anwesenden Juristen oder Urheber überzeugt.
„Wer verdient eigentlich an den Handyklingeltönen?“,
lautete die Frage, mit der sich Rechtsanwalt Martin Schaefer in
seinem Vortrag beschäftigte. Ein Milliardengeschäft wie
das der Ruftonmelodien ruft automatisch viele offene Hände
auf den Plan. Die rechtliche Frage heißt: Hat der Urheber,
der die Rechte für seine Werke zur Nutzung als Ruftonmelodie
an die GEMA abgetreten hat, weitere Ansprüche an die Nutzer
im Rahmen seines Urheberpersönlichkeitsrechts? Bedeutet die
Tatsache, dass die Melodien verändert oder bearbeitet werden,
dass der Komponist über die GEMA-Vergütung hinaus an den
Klingeltönen verdienen darf? Eine juristisch so verzwickte
Frage konnten auch die Teilnehmer des Symposiums nicht einhellig
beantworten. Stefan Müller von der GEMA konnte jedenfalls berichten,
dass von dem, was an Klingeltönen insgesamt verdient wird,
nur ein sehr geringer Anteil an seine Gesellschaft zur Ausschüttung
an die Urheber fließt. Er zeigte Verständnis für
die Forderung der Komponisten, weitere Ansprüche geltend machen
zu dürfen. Anschließend führte Stefan Müller
die Anwesenden in die Geheimnisse des GEMA-Verteilungsplans ein.
Und zeigte: So geheimnisvoll ist das System eigentlich nicht. Die
vier Leitprinzipien: Leistungsprinzip, Kulturelle Förderung,
Soziale Förderung und das Prinzip der kollektiven Rechtewahrnehmung,
also der Solidarität derer, die viel fürs Inkasso tun,
mit denjenigen, an denen die GEMA sehr viel weniger verdient, bestimmt
die Aufteilung der Einnahmen, die wiederum in den Bereichen Aufführungs-
und Senderecht, Vervielfältigungen und Online-Lizenzierung
vergeben werden.
Im Verlauf eines Symposium-Tages lässt sich die Urheberrechtsgesetzgebung
nicht revolutionieren. Knackpunkte aufzudecken und zu benennen,
sie im Kreis von Experten zu diskutieren sowie kreative Musiker
und Juristen ins Gespräch zu bringen, um die Leidensdiagnostik
und deren Heilprozess voranzubringen: Das hat der Tag in der Humboldt-Universität
auf jeden Fall erreicht.