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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 38
55. Jahrgang | November
Bücher
Wegweiser in Thomas Manns Musikwelten
Über die musikalisch-literarische Begeisterung des Schriftstellers
Mann
Volker Mertens: Groß ist das Geheimnis. Thomas Mann und
die Musik, Militzke Verlag, Leipzig 2006, 288 S., CD, € 34,90,
ISBN 3-86189-747-4
Wenn Musik und Literatur, wie Franz Liszt einst behauptete, seit
„Jahrhun-derten wie durch eine Mauer getrennt“
waren und „die auf beiden Seiten derselben Wohnenden“
sich nur dem Namen nach zu kennen schienen, war es erstmals der
Romantik vorbehalten, diese Anonymität der unmittelbaren Nachbarschaft
zu durchbrechen. Nicht nur Doppelkünstlerfiguren wie E.T.A.
Hoffmann, sondern auch Dichter wie Tieck, Wackenroder oder Novalis
waren es, die den poetischen Nährwert von Musik für die
Literatur erkannten und sich zunutze machten. Einer der prominentesten
Vertreter dieser musiko-literarischen Begeisterung war im 20. Jahrhundert,
neben Marcel Proust oder James Joyce, Thomas Mann. Sein dichterisches
Werk, aber auch seine Briefe und Tagebücher sind voll von musikalischen
Ideen, Themen, Verarbeitungen, Hörerfahrungen.
Obwohl gewiss kein neu entdecktes Thema, so doch meist nur punktuell
aufgearbeitetes, hat der Germanist Volker Mertens das Mann‘sche
Werk nun umfassend ausgewertet und, nach Ausstrahlung einer 25-teiligen
Rundfunk-Reihe, in Buchform gebündelt. Ein sorgsam gearbeitetes
Buch, kenntnisreich, aber nie belehrend, ausgiebig zitierend und
doch sensibel für Detailbeobachtungen. Mertens erweist sich
als verlässlicher Wegführer auf dichtem, mitunter schwer
einsehbarem Gebiet. Allein die Wagner-Rezeption wurde immer wieder
zu einem der meist diskutierten Themen der gesamten Thomas-Mann-Forschung.
Mertens zieht sich vornehmlich auf das Referieren von Gelesenem
zurück. Er zeigt die frühe Begeisterung des jungen Schriftstellers
für Wagner ebenso wie seine Lust, die musikalische Leitmotiv-Technik
auf die Literatur zu übertragen. Mertens zeigt aber auch, wie
sich Thomas Mann mit zunehmendem Alter moralisch von Wagner distanzierte.
Ebenso ausführlich wie kenntnisreich werden auch Manns Beziehungen
zu Richard Strauss und Hans Pfitzner beleuchtet, zu seinem musikalischen
Freund Bruno Walter und zu seinem Ratgeber in Fachfragen Theodor
W. Adorno. Eine willkommene Krönung stellt die beigefügte
Musik-CD dar, auf der Mertens einige von Thomas Manns Lieblingsmusiken
zusammengetragen hat, und zwar nicht in handelsüblichen Neuaufnahmen,
sondern in jenen Einspielungen, die der Schriftsteller selbst nachweislich
in seinem Plattenschrank aufbewahrt hat.
So weit, so gut. Doch auch die Schwächen dieses Bandes wollen
benannt sein. Da sind einerseits die sich summierenden Zitatwiederholungen.
Wenn Mertens das Grammophon-Kapitel aus dem „Zauberberg“
vorstellt und dann fünf Kapitel später in „Thomas
Mann und die Schallplatte“ abermals so grundlegend referiert,
als habe er sich noch nie zu diesem Thema geäußert, drängt
sich dem Leser der Verdacht auf, dass die Manuskripte der Rundfunk-Reihe
für diese Buchausgabe zu Teilen unverändert übernommen
worden sind. Bedauerlich auch, dass Mertens zahlreiche Nachweise
seines immensen Wissens schuldig bleibt, etwa wenn er behauptet,
dass Mann die Schumann‘sche Rückert-Vertonung „Grün
ist der Jasminenstrauch“ durch seine Mutter kennengelernt
habe, da diese „gerne romantische Lieder sang“. Die
Genauigkeit der von ihm mitgeteilten Fakten – etwa im Pfitzner-Kapitel
– und die eher legeren Nachweise im Anhang bilden einen fragwürdigen
Widerspruch. Außerdem lässt Mertens einen gewissen Mut
zur Deutung vermissen. So ausgiebig er aus Thomas Manns Werken und
Notizen zitiert, so gern hätte man sich Mertens, zumindest
an einigen Stellen, als wirklichen Text-Exegeten gewünscht.
Vielleicht ist auch dies der Rundfunktauglichkeit geschuldet, jedenfalls
muss der Leser darauf weitgehend verzichten. Übrigens wäre
für die langen Prosa-Zitate ein – wie bei den Lyrik-Zitaten
– klarer abgegrenztes Layout wünschenswert gewesen. Alles
in allem: Ein Buch mit klarem Für und Wider, konzipiert für
jedermann, für den Literatur- und den Musikneugierigen, nicht
primär für den Wissenschaftler.