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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 37-38
55. Jahrgang | November
Bücher
Neubeginnen. Wiederanknüpfen. Querstehen.
Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn haben die ersten Bände
des „querstand“ bei Stroemfeld herausgegeben
Wir sind mit ihnen aufgewachsen und sind an ihnen gewachsen. Am
Schluss, nach 25 Jahren, waren es rund 100 Ausgaben. Einhundert
Mal Nachdenken über Komponisten. Jedes der sandfarbenen Bändchen
(gern haben wir sie angefasst – gut lagen sie in der Hand)
schien auf seine Weise den „Zwielicht“-Schlussvers verinnerlicht
zu haben: Hüte dich, sei wach und munter. „Musik-Konzepte“,
herausgegeben von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, eine andere
Form, der Moderne zu huldigen. – Es war einmal. Mit Heft 120/21/22
„Bruckners Neunte im Fegefeuer der Rezeption“ ist diese
Geschichte an ihr Ende gekommen. text + kritik, der alte Münchner
Verlag seit dem Gründungsjahr 1977, hat eine Kündigung
verschickt. Warum genau, bleibt bis heute einigermaßen im
Dunkeln.
Jetzt (noch ist der Vulkan nicht erloschen) sind die ersten beiden
Bände der Nachfolgezeitschrift erschienen, die nächsten
zwei angekündigt. Gefunden hat man in KD Wolff einen Verleger,
der für den kratzbürstigen Modernismus der geschassten
Herausgeber einiges übrig hat – dank der großzügigen
Unterstützung durch die Ernst von Siemens Musikstiftung auch
einiges übrig haben kann. Und, keine Frage: Die Modulation
von text + kritik zu Stroemfeld ist keine schlechte.
Es ist das Format, das den Neubeginn signalisiert. Den grafischen
Vorschlägen ihres neuen Verlages folgend, haben sich die Herausgeber
vom Griffig-Handlichen der „Musik-Konzepte“ verabschiedet.
„querstand“ ist breiter, höher, schwerer geworden,
ist – anders als die Vorgänger-Reihe – außen
rau und innen glatt. Haptisch wie optisch stellt sich ein Katalog-Gefühl
ein. Hier – so sprechen die jetzt vorliegenden Bände
über Messiaens einzige Oper „Saint Francois d’Assise“
und zu Janaceks Musiktheorie – hat man Gewichtiges in der
Hand.
Allerdings – das latent Prunkvolle des Formats will nicht
überreden, nicht überblenden, schon gar nicht die Inhalte.
Das Gestaltungsprinzip verantwortungsbewusster Architekten gilt
auch in diesem Fall: „form follows function“. Wer den
Debut-Band der neuen „querstand“-Reihe aufschlägt
– eine materialgesättigte 300-Seiten Analyse zu Messiaens
Franziskus-Bild und zur Musik der Franzikus-Oper –, dem springen
die Veränderungen ohne weiteres ins Auge.
Anders als die sandfarbene Innenwelt der „Musik-Konzepte“
herrscht im „querstand“ blütenweiße Aufbruchs-Stimmung.
Man ist lesefreundlicher geworden, hat auch im Schriftgrad noch
einen Point zugelegt, was insbesondere dem Studium der Anmerkungen
entgegenkommt. Vor allem aber die Notenbeispiele laden nun tatsächlich
zum Mitlesen und Nachspielen ein. Kurz: Format und Aufmachung wollen
das Geschriebene nachvollziehbar machen. In anderen Worten: Auch
nach dem Ende der Avantgarde und dem Aufstieg des neuen Sensualismus
– Kunst ist „event“, ist „Verzauberung“
– auch nach dem Zuendegehen der Moderne, deren gesellschaftskritischer
Anspruch einst die Mehrheit einer gar nicht so schweigsamen Minderheit
geeinigt hat, sind Metzger/Riehn Aufklärer, skeptische Aufklärer
geblieben, halten sie fest am Erkenntnischarakter von Kunst: „querstand“
prangt in fetten Lettern zu quer gelegtem „e“ auf der
Umschlagseite. Trotzig hält der Untertitel das alte Panier
hoch: „Musikalische Konzepte“.
Und doch – man reibt sich die Augen – wie konnte es
überhaupt dazu kommen, dass zwei Herausgeber, die noch 2002
die Glückwünsche zum 25-jährigen Bestehen ihrer „Musik-Konzepte“
entgegennehmen konnten (mit dem alten Weggefährten Dieter Schnebel
als Festredner in der Berliner Akademie und dessen Lob auf ein „Kompendium
der Fortschrittsgeschichte“, wie konnte es überhaupt
dazu kommen, dass den eben noch Gepriesenen nur ein Jahr später
vom Verlag text + kritik gekündigt wurde?
Ob die Vorwürfe und Vorhaltungen des „Musik-Konzepte“-Herausgebers
(Neue Folge) Ulrich Tadday, (nachzulesen auf der Homepage des Münchner
Verlags) den Grund dafür wirklich benennen oder doch eher verschleiern,
ist strittig. Angeführt werden dort noch einmal jene Argumente,
die das nicht-populistische Musikverständnis, eines, das Quote
und Kommerz ignoriert, seit jeher begleitete. Ventiliert wird einerseits
der bekannte Dogmatismus-Vorwurf – Unausgewogenheit, Voreingenommenheit
in der Auswahl: „Wenn man die über 100 Bände der
,Musik-Konzepte‘ überschaut, fällt zunächst
auf, dass etwa 50 bis 60 der sogenannten ,Heroen‘ der Musikgeschichte
nicht behandelt worden sind … Es gibt nicht einmal einen Band
über Richard Strauss.“ Zum anderen, was Darstellung und
Vermittlung angeht, steht der Vorwurf der Hermetik im Raum. „Fehlender
Dienst am Leser“, moniert Tadday.
So philiströs diese Vorhaltungen auch sein mögen –
jede Konzeption, die den Namen verdient, besteht nun einmal darin,
etwas Bestimmtes zu wollen und anderes nicht – die Sache selbst
scheint durchaus komplizierter zu sein als diese Invektiven vermuten
lassen. Heinz-Klaus Metzger jedenfalls beteuert, dass derartige
Vorwürfe in 25 „Musik-Konzepte“-Jahren niemals
Gegenstand der Debatte gewesen seien, „auch nicht andeutungsweise“.
Was zur Debatte stand, habe die „redaktionelle Unabhängigkeit“
und die „kaufmännische Ehrlichkeit“ berührt,
womit im einen Fall die vom Verleger verschleppte Anpassung der
Herausgeberhonorare an den gestiegenen Verkaufspreis gemeint ist,
im anderen Fall geschmäcklerisch motivierte Formalien wie Schreibweisen
und Ähnliches. Darin, im „zerrütteten“ Verhältnis
zum Verleger, sehen die Betroffenen Grund und Ursache dieser brüsken
Kündigung.
Wie auch immer. In der Sache hat für Metzger/Riehn das alte
Konzept bis heute seine Gültigkeit behalten. „Wir haben
die ,Musik-Konzepte‘ 1977 begründet, um zu versuchen,
der herrschenden Kriterienlosigkeit entgegenzutreten. Die Auswahl
der Komponisten – und das betrifft die Vergangenheit wie die
Gegenwart und hätte auch die Zukunft betroffen – hat
und hätte sich nicht nach dem Kriterium des Publikumserfolgs
oder des kommerziellen Erfolgs dieser Komponisten gerichtet.“
Im Übrigen werde, so Metzger, leicht übersehen, dass die
„Musik-Konzepte“ (Alte Folge) wie deren „querstand“-Fortsetzung
als eine Reihe über Komponisten aller Zeitalter gedacht war
und ist, weswegen jede Auswahl von Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts
immer auch jene Fallhöhe mitzuberücksichtigen habe, die
durch den Rang der großen Meister seit Dufay und Josquin nun
einmal vorgegeben sei.
Zugleich war und ist Musik für Metzger/Riehn durch und durch
gesellschaftlich konnotiert. Die Wurzeln der von ihnen vertretenen
Wertungs-Ästhetik reichen zurück in die Erfahrung des
politischen Totalitarismus, um damit mittelbar – ob nun intendiert
oder nicht – noch das Lebensreformpathos des deutschen Idealismus
mitzutransportieren, wie es etwa bei Schiller formuliert ist. Darin
mag eine Provokation für all jene liegen, die den kategorischen
Imperativ des wertungsfreien Pluralismus im Munde führen, um
dann doch nur die Gesetze eines mittlerweile globalisierten Marktgeschehens
zu exekutieren, von dem sie gehört und gelesen haben mögen,
von dem sie als Musikforscher allerdings nichts wissen wollen. Wichtig
für den Leser ist das Fazit, dass ihm, so wie die Dinge liegen,
im „querstand“ die Fortsetzung der „Musik-Konzepte“
mit anderen Mitteln begegnet. Unmittelbar ablesbar ist dies daran,
dass das Messiaen-Thema und die kommentierte Übersetzung der
Musiktheorie Leos Janaceks ursprünglich als Sonderbände
der „Musik-Konzepte“ erscheinen sollten. Und noch mit
den demnächst folgenden Nono- und Eisler-Heften erfüllen
die Herausgeber alte Verpflichtungen. Man steht im Wort gegenüber
den Autoren. Ein aussagekräftiges Urteil über den Weg
des „querstands“ werden somit erst die kommenden Jahre
ermöglichen. Gleichwohl – so viel Neugierde darf sein:
Gegenüber dem Rezensenten haben die Herausgeber den Schleier
schon mal ein wenig gelüftet. Zu erwarten sind demnach Sammelbände
„über die fälschlich so genannte Minimal-Musik und
die wahre“, über die „prophetische Rolle“
Ferrucio Busonis, über das letzte, utopische Opernprojekt Debussys.
Versprochen ist ein Band zu den Orgelsonaten Mendelssohns, einer
zur jungen russischen Avantgarde und – vielleicht –
einer zum Komponisten Matthias Pintscher, ein anderer – möglicherweise
– zu Paul-Heinz Dittrich und Erhard Grosskopf und auch die
französischen Spektralisten hätten, so Metzger, eigentlich
einen „querstand“ verdient. – Zukunftsmusik, die
ins Gegenwärtige hineinscheint und ihre Konturen erhellt. Deren
Querstände, das schönste chromatische Auswildern in andere
Stimmverläufe, inbegriffen.