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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 40
55. Jahrgang | November
Rezensionen-CD
Vom Pionier der „Raummusik“
Henry Brant: Music for Massed Flutes. The New York Flute Club
New World Records 80636-2
Henry Dreyfuss Brant, ein drahtiges Männlein von 93 Jahren,
hat sie alle persönlich gekannt: Edgar Varèse und George
Antheil, Aaron Copland und viele andere Komponistengrößen
der USA. Wenn der kauzige Sonderling, der 2002 den Pulitzer Prize
für seine eigenwillige Musik gewann, mit tiefer Stimme und
verschliffenem Akzent erzählt, werden Erinnerungen an ein ganzes
Jahrhundert wach: Wie er 1929 mit seiner Familie von Montreal nach
New York übersiedelte, sich während der großen Depression
in Nachtclubs mit Jazz durchschlug und für die Hollywoodstudios
in Los Angeles Filmmusik orchestrierte. Oder später an der
Columbia University und der Juilliard School in New York lehrte.
Und seit den 1950er-Jahren einen Kompositionsstil entwickelte, der
ihn zum Pionier der „Spatial Music“ machte, einer „Raummusik“
mit unterschiedlichsten, weit voneinander im Raum postierten Instrumental-
und Vokalgruppen, die oft mehrere Dirigenten erforderte. „Orbits“,
ein Stück für Sopran, Orgel und 80 Posaunen findet sich
da ebenso wie die 1984 aufgeführte gewaltige Freiluft-Sinfonie
„Fire in the Amstel“ in den Grachten Amsterdams, mit
100 Flöten, Jazz-Schlagzeugern, Glockenspielen, Blechbläserbands
und Drehorgeln.
Gerne erkundet Brant auch den Klangreichtum einer ganzen Instrumentenfamilie,
etwa der Flöte. Die jüngst erschienene CD nun versammelt
höchst originelle Flötenstücke aus allen Lebensphasen
Brants, die keiner standardisierten Form folgen und zeigen, dass
dieser phantasievolle Einzelgänger in jedem Musikstil zu Hause
ist: Ghosts and Gargoyles von 2001 lässt immer wieder Anklänge
an Palestrina geisterhaft-klangschön aufscheinen, und die auratische
Mass in Gregorian Chant for Multiple Flutes (1984) nach Melodien
aus dem „Graduale Romanum“ umhüllt den Hörer
antiphonal mit Unisono-Fragmenten und deren fein verästelten
Auflösungen. In einem frechen Stilmix aus Jazz und Jahrmarkt
präsentiert sich schließlich „Angels and Devils“,
eine quirlige Seminararbeit des 18-Jährigen von 1931. Vibrierend
und hellwach, mit entspannter Konzentration auf die eingestreuten
kontemplativen Ruheinseln und mit dabei hörbarer Freude am
oft überdrehten Spielwitz Brants, agieren die bis zu 20 Flötisten
vom „The New York Flute Club“. Dieses Flöten-Ensemble,
gegründet 1920 und damit fast ebenso betagt wie der 1913 geborene
Henry Dreyfuss Brant, erweist sich als würdiger Interpret dieses
„zweitältesten lebenden Komponisten der Vereinigten Staaten,
nach Elliott Carter“.