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nmz-archiv
nmz 2006/11 | Seite 40
55. Jahrgang | November
Rezensionen-CD
Stillere Jubilare
Dmitrij Schostakowitsch, Boris Tchaikovsky, Moisey Weinberg: Cello
Sonatas
Johannes Moser (cello), Paul Rivinius (piano). Aufnahme des SWR
Hänssler Classic, LC 13312 (CD 93.176)
Der 27-jährige Cellist Johannes Moser interpretiert auf seiner
Debut-CD Cellosonaten von Dmitrij Schostakowitsch, Moisey Weinberg
und Boris Tchaikovsky. Schostakowitsch, dessen Geburtstag sich zum
hundertsten Mal jährt, ist einer der stilleren Jubilare im
Mozart-Jahr. Die Entstehungszeit seiner Cellosonate d-Moll op. 40
(1934) liegt nur zwei Jahre vor der Stalin’schen Kulturrevolution,
die die Durchsetzung des sozialistische Realismus als verbindliche
Kunstdoktrin zum Ziel hatte. Es wurden Allgemeinverständlichkeit,
Volkstümlichkeit und Orientierung am künstlerischen Erbe
verlangt. Dieser Forderung scheint das Werk Schostakowitschs oberflächlich
zu entsprechen und doch inhaltlich dagegen zu protestieren, so als
hätte der Komponist die Zeichen der Zeit vorausgesehen.
Zu Beginn der 40er-Jahre suchte Moisey Weinberg Kontakt zu Schostakowitsch
um kompositorische Ratschläge zu erhalten, später entstand
eine Freundschaft zwischen den Komponisten. Weinbergs Kompositionen
wurden wie die seines musikalischen Beraters als volksfeindlich
diffamiert, hinzu kam, dass er sich als Jude mit den antijüdischen
Tendenzen der Stalin’schen Kulturkampagne konfrontiert sah.
Als er zum Volksfeind erklärt wurde, setzte sich Schostakowitsch
für ihn ein und rettete ihn mit einem Brief vor dem Tod. Moiseys
Cellosonate No. 2 op. 63 lässt deutlich die Einflüsse
Schostakowitschs erkennen, auch hier gerät die Spätromantik
an ihre Grenzen.
Die im Jahre 1972 entstandene Cellosonate des Schostakowitsch-Schülers
Boris Tchaikovsky unterscheidet sich insofern von den oben beschriebenen,
als hier Klavier und Cello gleichberechtigt nebeneinander stehen.
Die Sonate ist nicht weniger kraftvoll als die zuvor beschriebenen,
erreicht jedoch ihre Intensität auf andere Weise. Gelegentliche
Einflüsse Schostakowischs sind auch hier zu erkennen, sie äußern
sich aber anders, dezenter als bei Weinberg. Die Zusammenstellung
der Cellosonaten auf der vorliegenden CD, auf der sich die Werke
von Schüler und Freund um das ihres musikalischen Beraters
und Lehrers gruppieren, zeigt gelungen, auf welch grundverschiedene
Weise dessen kompositorische Ideen verarbeitet und fortgeführt
worden sind.
Johannes Moser, der im Jahre 2002 den Tchaikovsky-Wettbewerb in
Moskau gewann, ist der großen interpretatorischen Herausforderung
sichtlich gewachsen. Es gelingt ihm, die jeweiligen musikalischen
Eigenheiten hervorzuheben und sich der inneren Zerrissenheit Schostakowitschs
sensibel anzunähern. Er schafft es, die jeweiligen Stimmungen
einzufangen, die starken Kontraste von Sanftheit und Brutalität
durch den vielseitigen Umgang mit seinem Instrument und unzähligen
Farbnuancen zwischen schwarz und weiß gekonnt darzustellen.
Die besonderen Fähigkeiten des Pianisten Paul Rivinius kommen
besonders in der Sonate Boris Tchaikovskys zum Ausdruck, in der
von einer Begleitung durch das Klavier eigentlich nicht die Rede
sein kann. In dieser Gleichberechtigung der Instrumente erreicht
das Zusammenspiel der beiden Musiker eindeutig seinen Höhepunkt.
Die bei Hänssler Classic erschienene CD zeigt abermals, dass
es sich lohnt, den stilleren Jubilaren dieses Jahres Tribut zu zollen,
neben Schostakowitschs hundertstem Geburtstag ist zu erwähnen,
dass sowohl Weinberg als auch Boris Tchaikovsky im Jahr 1996 verstarben.